Die Heidenwelt und der Erlöser Christus

Leben Jesu im Schoße der Verheißungen

Die Heidenwelt und der Erlöser Christus Jesus

Joh. 1, 5. Und das Licht leuchtete in der Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht begriffen. – 9. Dieses war das wahre Licht, welches alle Menschen, die in diese Welt kommen, erleuchtet. – 10. Es war in der Welt, und die Welt ist durch dasselbe gemacht worden, aber die Welt hat ihn nicht erkannt.

Während sich Israel aller Wohltaten der Offenbarung erfreute, ging der übergroße Teil der Menschheit den Weg des Unglaubens. Indessen war auch er nicht ausgeschlossen vom Heil durch Jesus Christus.

Entstehung des Heidentums und unglücklicher Zustand der Heidenwelt.

Dass der Götzendienst schon bei den Enkeln Adams entstand, ist kaum wahrscheinlich; sicher aber bestand er schon zur Zeit Abrahams (Gen. 31, 19. 30. 34; Judith 5, 7; Jos. 24, 2; Gen. 35, 2) und breitete sich immer mehr aus. –

Ursache des Götzendienstes

Ursache der Entstehung des Götzendienstes ist vor allem die Erbsünde, welche gleich in so schrecklichen Verheerungen auftrat (Gen. 4, 8). Eine fernere Ursache waren fleischliche Verirrungen und weltliche Bestrebungen bei den Kainiten (Gen. 4, 19. 21. 22; 6, 1. 2. 11) und Chamiten nach der Sündflut (Gen. 410, 8f); endlich der Stolz, der sich schon beim Turmbau von Babel so unverhohlen aussprach (Gen. 11, 4). Alles das musste nach und nach die reine Gotteserkenntnis trüben und das Herz für alles Böse empfänglich machen.

Dazu kam dann der Einfluss des bösen Feindes, der durch Versuchung und wohl auch durch Erweise höherer Macht die Menschen von Gott abwendete und zur Anbetung seiner geheimnisvollen Macht verführte (Offb. 12, 9). –

Auf diese Weise entstand aus der Gottvergessenheit die Vielgötterei und aus der Vielgötterei durch Vergötterung der Leidenschaften, der Naturkräfte und gewaltiger Menschen die wirkliche Götzen- und Bilderanbetung mit Gottesdienst und Opfern; stetige und gesetzliche Gestalt erhielt er in dem götzendienerischen Staatswesen. So trat das satanische Weltreich, das Heidentum, in die Geschichte, und der „Fürst der Welt“ übte seine Tyrannei weithin über Geschlechter und Völker (Weish. 14, 12-31; 15, 1-19).

Geistesverwirrung und Unsittlichkeit

Wie traurig und elend aber der Zustand der armen Heidenwelt, wie groß die Geistesverwirrung, die innere schwäche und Unsittlichkeit und das Unglück waren, das sagt genugsam der hl. Paulus (Röm. 1, 18-32; 3, 10-19). Im Genuss aller zeitlichen Güter war die Welt arm an Wahrheit, unglücklich durch Sklaverei und Unsittlichkeit, und das Ende war Zusammenbruch alles religiösen und sittlichen Lebens. Nirgends war kräftige Hoffnung. Die Priesterschaft war überall stumm und die Forschung nach Wahrheit strandete auf der Sandbank des Zweifels. Unzucht gehörte zur Religion und Grausamkeit zum Gottesdienst. So war das Leben wohlfeil und eine Bürde geworden und endete alles in Lebensüberdruss, in Todesangst, in Verzweiflung. Entweder musste eine göttliche Dazwischenkunft eintreten, oder alles war verloren.

Und warum ließ denn Gott das zu? Das Böse musste sich eben ausbilden und ausleben; die Hindernisse mussten sich aufhäufen; der Kelch der Weltlust musste geleert sein; alle Mittel mussten sich als unzureichend ausweisen, alle Hoffnung sich täuschen, alle sittlichen Schranken mussten niedergerissen werden, die Weisheit und Macht des Menschen mussten sich als erfolglos und ohnmächtig erproben gegen die Verderbnis; dann konnte Gott erfolgreich eintreten und beweisen, dass er allein zu helfen vermag. Alle hat er eingeschlossen in Ungläubigkeit, damit er alle begnadige (Röm. 11, 32) und niemand sich rühmen konnte, geholfen zu haben.

Beziehungen des Erlösers zur Heidenwelt

Dieser Beziehung waren drei.

Erbsegen des Heilandes

Erstens war die Heidenwelt aufgenommen in den Ratschluss des Heiles durch den Messias. Im Erbsegen des Heilandes waren ja alle Völker mit einbegriffen. Dieser verheißt Gott Abraham (Gen. 12, 3; 18, 18; 22, 18), Isaak (Gen. 26, 4), Jakob (Gen. 28, 14). Der Herrlichkeit des Herrn wird die ganze Erde voll sein (Num. 14, 21). Alle Völker werden zum Berg des Herrn kommen (Is. 2, 22). Der Heiland ist das Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen (Joh. 1, 9); er ist das Licht der Heidenvölker (Luk. 2, 32), ihr Hirt (Joh. 10, 16), und so sendet er auch seine Apostel an alle Völker (Matth. 28, 19).

Gott will alle selig machen, Juden und Heiden, das ist der beständige Lehrsatz des hl. Paulus in seinen Briefen (Röm. 3, 29; 1. Tim. 2, 4).

Mittel des Heiles durch das Naturgesetz und durch Strafen

Zweitens gab Gott den Völkern auch Mittel, das Heil zu erringen. Vor allem ordnete er sie zum Heile hin durch das Naturgesetz (Röm. 2, 14. 15. 16); dann auch durch offenkundige Strafgericht, wie dergleichen vollzogen wurden an Sodoma, an den Ägyptern, an den Kanaanitern (Jos. 12), an Sennacherib (Is. 37, 29), Balthasar (Dan. 5) und Antiochus (1. Makk. 6, 11).

Ferner ließ Gott den Heiden ausdrückliche Offenbarungen zukommen über den wahren Gott, den Messias, so durch Job und Balaam (Num. 24, 4). Zwei heidnische Frauen wurden in den Bund aufgenommen, Rahab (Josue 6, 25) und Ruth (1, 16), und glänzen selbst in dem Stammbaum des Herrn (Matth. 1, 5). Gott fügte es auch schon durch die Lage des Landes, das er Israel zur Wohnstätte angewiesen hatte, dass der Reihe nach alle Weltmonarchien, die Ägypter, die Assyrer, die Babylonier, die Perser, die Griechen und Römer, mit dem erwählten Volk in innigste Berührung kamen.

Namentlich durch die mehrfache Wegführung in die Gefangenschaft gelangten jüdische Fürsten, Propheten und Heilige, hervorragende Männer, wie Jonas, Tobias, Ezechiel, Daniel (3, 98f; 4, 31; 6, 26), an die Höfe der alten Herrscher und verbreiteten dort die Kenntnis des wahren Gottes und der heiligen Schriften. Noch mehr war dieses später der Fall durch die starke Auswanderung der Juden nach Ägypten, in die griechischen Kolonien Kleinasiens und nach dem Abendland, wo sie überall Gemeinden gründeten und um sich einen Kreis von Heiden sammelten. In Alexandrien vollzog sich bekanntlich die Übersetzung der Heiligen Schrift durch die Siebenzig. Auch die Sibyllenbücher wirkten zur Kenntnis und Erwartung des Messias unter den Heiden mit.

So erwies sich das gelobte Land wirklich als die Brücke und den Weg der Völker, als den Mittelpunkt und „Nabel der Erde“ (Ez. 38, 12), und das Volk Israel in seinem priesterlichen Beruf (Ex. 19, 6) als den Missionar und Apostel der alten Welt.

Religiöser Verfall der Heidenvölker

Drittens benutzte Gott die politische Entwicklung und den religiösen Verfall der Heidenvölker selbst, um sie für Christus vorzubereiten (Is. 45; Hab. 2, 14). Eine Weltmonarchie nach der andern kam, eine größer und mächtiger als die andere; die eine verschlang die vorhergehende, so dass zur Zeit der römischen Weltherrschaft der ganze bekannte Erdkreis eine große politische Einheit bildete. Alle Schranken der Nationalität, Sprache und des Kultus waren gefallen. Die Welt hatte ein Herz und ein Haupt in Rom, und alle Straßen führten zu diesem Punkt der Einheit. Freilich, welche Einheit! Aber auch dieses war ein Mittel zur Verbreitung des Reiches Christi und eine Vorbereitung der Welt auf Christus.

Wie die Monarchien, so hatten sich auch die Religionen ausgelebt und allgemeine Gleichgültigkeit gegen dieselben erzeugt. Man sah nach und nach im Götzendienst, die Orakel nicht ausgenommen, nur Menschenwerk und Menschentrug; die Philosophen und die Dichter zumal machten die ganze Götterlehre lächerlich und verabscheuungswürdig. Äußerlich hielt nur Staatsinteresse den Götzendienst noch aufrecht und innerlich die Verderbtheit der Sitten. So herrschte überall ein tief empfundenes Ungenügen, ein Suchen und Sehnen nach sicherer Wahrheit, nach einem klaren und festen Sittengesetz und vor allem nach einem erhebenden Vorbild.

Alle aufgedrungenen Apotheosen, alles Heranziehen von Mysterien und fremdem Gottesdienst halfen zu nichts, als die Verwirrung, den Unmut und die Sehnsucht zu steigern. Es ist rührend, manche Stimmen dieser Sehnsucht aus dem Heidentum zu hören. „Wir müssen warten, bis jemand kommt, der uns lehrt, wie wir opfern müssen“ (Plato im Phädon). Warum musste ich jetzt geboren werden? Warum nicht etwas später? (Hesiod, Virgil) Die Stoa erklärt, nach so viel tausend Jahren sei das Ideal der Tugend noch nicht erschienen. Wie entzückt fühlte sich ein Tullius, wenn es ihm gegönnt wäre, es zu schauen! Es war auch eine ganz allgemeine Erwartung, dass vom Orient ein großer Herrscher ausgehen werde (Tacitus, Suetonius).

So bereitete Gott das Heidentum auf den Messias vor. Die Ernte war reif. In der Tat nahmen die Heiden das Christentum williger auf als die Juden. Das Bedürfnis der Erlösung bei den Heiden war tiefer und bewusster und der Dank viel demütiger.

Schlussfolgerungen

Der Schlussfolgerungen aus dem Gesagten sind drei.

Was die Abkehr von Gott durch die Sünde macht

Erstens sehen wir so recht an dem unglückseligen Zustand des Heidentums, was die Abkehr von Gott durch die Sünde aus dem Menschen und aus dem ganzen Menschengeschlecht macht. Die Sünde macht die Völker unglücklich (Sprichw. 14, 34).

Das Heidentum kennzeichnet die Wege des Geschöpfes ohne Gott, sie sind ein Niedergang von Stufe zu Stufe des Unglücks, der Erniedrigung und Gottlosigkeit. Was vermochte die Kultur von abermal tausend Jahren gegen die Verderbnis der Sünde und der Leidenschaften? Die Blüte ihrer Arbeit und Anstrengung war am Ende der Stoiker, dieser Ausbund an Gefühllosigkeit, von Stolz und Selbstvergötterung. Konnte er der Retter sein? Es nutzte also alles nichts ohne Christus. Er allein ist uns Weisheit, Rechtfertigung und Erlösung geworden (1. Kor. 1, 30; vgl. Bar. 3, 9. 14).

Wie liebenswürdig Gott und unser Erlöser ist

Zweitens sehen wir, wie liebenswürdig Gott und unser Erlöser ist. Er ist nicht bloß Gott und Erlöser der Juden, sondern auch der Heiden und aller Menschen. Das war die große Verirrung der Juden, dass sie allein Anteil an dem Erlöser haben wollten und alles andere fern hielten vom Heil. Nicht so unser Gott. Er ist der Gott aller, weil alle seine Geschöpfe sind, wie es so schön heißt:

„Wie ein Stäubchen in der Waage ist vor dir die gesamte Welt, und wie ein Tropfen Morgentau, der niedersinkt zur Erde. Aber du erbarmst dich aller, weil du alles vermagst, und scheinst nicht zu sehen die Sünden der Menschen um der Buße willen. Denn du liebst alles, was da ist, und hassest nichts von dem, was du gemacht hast, denn nicht hast du im Hass etwas geschaffen. Wie wäre aber etwas bleibend, wolltest du es nicht? Du schonst aber alles, weil es dein ist, Gebieter, Freund des Lebens!“ (Weish. 11, 23-27)

Das Heidentum ist noch nicht ausgestorben

Drittens sollen wir bedenken, dass das Heidentum noch nicht ausgestorben ist in der Welt. Es ist noch da und beherrscht den größeren Teil der Menschheit und hält ihn im Bann desselben Unglücks befangen. Es ist also noch viel zu tun und viel zu beten. Darum eignet sich auch die heilige Adventszeit in ganz besonderer Weise zur Fürbitte für die armen Heiden, wie uns die heilige Kirche im Lobgesang Benedictus, in den O-Antiphonen und in dem Psalm 88 mit so schönem Beispiel vorangeht. –
aus: Moritz Meschler SJ, Das Leben unseres Herrn Jesu Christi des Sohnes Gottes, Bd. 1, 1912, S. 52 – S. 57

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