Das Leben und Leiden und der Tod Jesu
Die Begleitung des kreuztragenden Heilandes
Luk. 23,26 Und da die Soldaten Jesum hinführten, ergriffen sie einen gewissen Simon von Cyrene, der vom Meierhof kam, und legten ihm das Kreuz auf, daß er es Jesus nachtrüge. – 27. Es folgte ihm aber eine große Menge Volkes und Weiber, die ihn beklagten und beweinten. – 28. Jesus aber wandte sich zu ihnen und sprach: „Ihr Töchter Jerusalems, weinet nicht über mich, sondern weinet über euch selbst und über eure Kinder! – 29. Denn siehe, es werden Tage kommen, an welchen man sagen wird: Selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren, und die Brüste, die nicht gesäugt haben. – 30. Dann werden sie anfangen, zu den Bergen zu sagen: Fallet über uns! und zu den Hügeln: Bedecket uns! – 31. Denn wenn man das am grünen Holz tut, was wird mit dem dürren geschehen?“ – 32. Sie führten aber auch zwei andere, die Missetäter waren, mit ihm hinaus, daß sie getötet würden.
Mark. 15,21. Und die Soldaten zwangen einen gewissen Simon von Cyrene, der vom Meierhof kam und vorüber ging, den Vater des Allexander und Rufus, daß er sein Kreuz trug. – 22. Und sie führten ihn an den Ort Golgotha, welches verdolmetscht wird: Schädelstätte.
Matth. 27,32. Indem die Soldaten aber hinaus gingen, trafen sie einen Mann von Cyrene, mit Namen Simon; diesen nötigten sie, sein Kreuz zu tragen.
Der Heiland trug sein Kreuz nicht allein, sondern in Begleitung von vielen; ja alle in dem Zuge zur Richtstätte beteiligten sich auf ihre Weise an seinem Kreuztragen. Man kann in dieser Beziehung drei Gruppen unterscheiden.
Die dem Heiland das Kreuz aufladen
Die das Kreuz dem Heiland aufladen, sind die Urheber seines Leidens, nämlich die Juden, die Priester, die Pharisäer, die Soldaten und Schergen. Sie alle sind schuld an seinem Leiden und vermehren es durch ihre Grausamkeit und ihren Hohn. – Sie selbst tragen auch ein Kreuz, das Kreuz ihrer bösen Leidenschaften und Sünden. Sie sind die Werkzeuge Satans. Sein Joch schleppen sie. Es ist dieses ein unrühmliches Kreuz, ein verhängnisvolles Kreuz, dessen Ende nicht Erlösung, sondern ewiger Tod ist. Wer das Kreuz Jesu nicht trägt, muss das Kreuz Satans schleppen.
Im weiteren Sinn gehören zu denen die dem Heiland das Kreuz aufladen, auch wir und alle Menschen. Unsere Sünden sind es, die der Heiland an seinem Leibe nun so mühsam trägt; sie sind es, die ihn so grausam drücken. Und wer von uns hat nicht seinen Teil Sünden gestellt? Wie billig ist es, daß wir mitgehen und dem Herrn wenigstens jetzt durch das Mitleid und den Dank mit einiger Freude die Beschwerlichkeiten dieses Ganges vergelten!
Die mit dem Heiland das Kreuz tragen
Die beiden Schächer
In dieser Gruppe gehören vor allem die beiden Schächer. Sie gehen mit Jesus und tragen ihr Kreuz zur Richtstätte (Luk. 23,32). Sie tragen ihr Kreuz aber nicht für Jesus, nicht für den Glauben und für die Tugend, sondern um ihrer Verbrechen und Missetaten willen. Sie tragen ihr Kreuz auch nicht wie Jesus, sondern gezwungen mit Wut und Knirschen und mit schlimmem Erfolg, wenigstens einer, der linke Schächer. Wahrscheinlich wurde es für ihn das Werkzeug der ewigen Verdammung. Vielleicht aber fing im Herzen des guten Schächers gerade jetzt beim Kreuztragen die Buße und Reue an sich zu regen, die er so rührend am Kreuz vollendete.
Simon von Cyrene
Zu denen, die in Wirklichkeit mit Jesus das Kreuz tragen, gehört aber Simon von Cyrene, der eine Strecke Weges statt des Heilandes das Kreuz trug. Wie kam er denn dazu? Er kehrte eben vom Felde zurück, und, wie es scheint, beim Stadttore, denn es heißt, als sie hinausgingen (Matth. 27,32), faßten die Soldaten ihn mit Gewalt an und zwangen ihn, das Kreuz des Heilandes auf sich zu nehmen. Warum dieses? Weil die Erschöpfung und Schwäche Jesu zu groß war und sie fürchteten, er erliege auf dem Weg unter der Last des Kreuzes. Zur Schaustellung in der Stadt war auch genug geschehen. – Und wie trug Simon das Kreuz? Es wurde ihm wirklich aufgeladen, und der Heiland ging, desselben ledig, vor ihm her (Matth. 27,32; Mark. 15,21; Luk. 23,26). Innerlich aber trug er es wahrscheinlich anfangs sehr widerwillig. Es mochte ihm als ein großes Missgeschick, eine Unehre und als ein Unglück vorkommen, für so einen Verbrecher das Kreuz tragen zu müssen. Nach und nach aber wurde er williger, und am Ende trug er das Kreuz mit Glauben und Liebe, und zeitlebens mag er diesen Vorfall für eine große Gnade und sein größtes Glück gehalten haben. Das war auch eine große Gnade, dem lieben Heiland beim Erlösungs-Werk diesen Dienst zu leisten, so mitzuwirken zur Erlösung der Welt, ein Vorbild zu werden für alle Auserwählten und sein eigenes Heil zu erwerben. Wie berühmt ist er nicht geworden, dieser gute Simon! Alle christlichen Geschlechter und Zeiten sind an ihm vorbei gegangen und haben sich erbaut an seinem Beispiel. Es scheint auch, daß seine Söhne zu großem Ansehen in der römischen Kirche gekommen, da ihre Namen vom hl. Markus aufgeführt werden (Mark. 15,21). – Wie kam denn die Wandlung in seinem Herzen zustande? Wahrscheinlich durch den Anblick der himmlischen Geduld und Milde des Heilandes. Er empfand Mitleid mit dem armen Heiland, und an dieses Mitleid knüpften sich gewiß große Gnaden, die ihn zum Glauben und zur Liebe brachten. Oft ist ein unfreiwilliges Kreuz der Anfang großen Heiles, und Simon ist ein Vorbild für alle, die gegen ihren Willen äußeres Unglück tragen müssen und sich durch dasselbe heiligen.
Die weinenden Frauen von Jerusalem
Die an dem Kreuztragen des Heilandes geistig teilnehmen.
Zu dieser Gruppe gehören zuerst die Frauen von Jerusalem und anderes gutes Volk, das Mitleid hatte mit dem Los des Heilandes. Denn es ging viel Volk mit (Luk. 23,27), und unter dem Volk hatte der Heiland auch Anhänger und Wohlgesinnte. Sie beklagten ihn nun und gaben ihr Mitleid und ihren Schmerz durch laute Trauerklagen kund. Und das war auch ganz schön, billig, wohl gemeint und auch mutig gegenüber den siegreichen, triumphierenden Feinden, die das hören mussten. Weniger vollkommen war an dieser Trauerklage, daß sie das Leiden des Herrn als ein reines Unglück ansahen und beweinten. – Der Heiland belohnt sie für ihr Mitleid. Er würdigt sie einer Ansprache und erwidert ihr Mitleid auch mit Mitleid für sie und ihre Kinder (ebd. 23,28). Er sagt ihnen, leider seien sie und ihre Kinder viel beklagenswerter wegen der furchtbaren Strafe, die kommen werde. Sonst galt die Unfruchtbarkeit bei den Juden für ein großes Unglück und eine große Schmach (Gen. 30,23; 1. Kön. 1,6; Osee 9,14; Luk. 1,25). Indessen sollen sich selig preisen, die keine Kinder haben, denn es werden so schreckliche Tage und Drangsale kommen, daß die Menschen entweder nicht geboren sein möchten (Job 3,11) oder sich glücklich schätzen werden, keine Kinder zu haben, damit sie neben ihren Leiden nicht auch die Leiden ihrer Kinder zu beweinen haben; die Drangsal wird so entsetzlich sein, daß sie sich selbst einen schnellen und jähen Tod wünschen (Luk. 23,29 u. 30; Osee 10,8). Er beleuchtet und bestätigt die Prophezeiung dieser Drangsale, indem er sie hinstellt als eine Strafe für die Sünden des Volkes und einen Vergleich zieht zwischen seiner Unschuld und der Schuld Israels und den beiderseitigen Leiden. In der Schrift wird der Gerechte und Unschuldige oft mit einem grünen, blühenden Baum verglichen (Ps. 1,3; Jer. 17,8), der Sünder mit dürrem Holz (Is. 30,33; Ez. 20, 47). Wenn also an dem Gerechten schon so Beklagenswertes geschieht, was wird erst am Sünder geschehen? (Luk. 23, 31) In der Tat kamen die Römer und fällten Israel, den dürren Baum, mit ihren Äxten und verbrannten ihn. – Diese Frauen und dieses mitleidige Volk sind ein Vorbild der Seelen, die Mitleid haben mit den Schmerzen des Heilandes, aber es weiter nicht zu Taten kommen lassen. Auch dieses Zeichen der Liebe nimmt der Herr huldvoll auf und erwidert es auf seine Weise.
Veronika gibt dem Heiland ihren Schleier
Nach der Überlieferung begegnete dem kreuztragenden Heiland auch einer Frau, namens Veronika oder Berenice. Wahrscheinlich war sie eine Schülerin Jesu, und sie wollte ihm in diesem Augenblick der Not und Verlassenheit und Schmach einen Beweis ihrer Anhänglichkeit und ihres Mitleides geben. Ihr Mitleid ist ein tätiges, mutvolles und edles. Sie dringt zu ihm durch und reicht ihm ihren Schleier zum Abtrocknen seines Antlitzes. Es war ein geringer Dienst, aber ein mutvolles Bekenntnis ihrer Jüngerschaft; es ist alles, was sie in diesem Augenblick tun kann, und sie tut es mit edler, hoher Gesinnung und liebendem Herzen. – Und wie herrlich belohnt sie der Heiland für diesen Liebesdienst! Nach der Überlieferung nahm der Heiland den Schleier an, trocknete sein Antlitz vom Blut und vom Schweiß, gab ihr den Schleier wieder, und als sie ihn zu Hause entfaltete, blickte ihr das Antlitz des Herrn aus demselben entgegen, das sich durch ein Wunder seinen Falten eingeprägt hatte. So belohnt der Heiland auch den kleinsten Liebesdienst und muntert uns auf, ihm oft solch herzliche, wenn auch kleine Beweise der Liebe zu geben.
Maria und Jesus begegnen sich
Endlich gehört zu dieser Gruppe die Mutter unseres Herrn selbst, die ebenfalls nach der Überlieferung den Heiland auf diesem Schmerzensweg erwartete, die sich durchdrängte, um nur einen Blick, ein Wort, eine Gebärde der Verehrung und Teilnahme, des Schmerzes, der Tröstung und der Liebe mit ihm zu wechseln. Wer begreift den Schmerz dieser beiden Herzen in diesem Augenblick? Es ist dieses die edelste und erhabenste Teilnahme an dem Kreuztragen des Heilandes, weil nichts dem Mut und der Liebe, dem Verlangen der Mutter, mit dem Sohne zu leiden, gleich kam. Maria ist schon hier das erhabenste Vorbild aller kreuzliebenden Seelen.
Der Kreuzweg ist ein Vorbild
So betätigt sich alles, hoch und niedrig, Freund und Feind, Gerechte und Sünder, wirklich oder geistig, hassend oder liebend am Kreuztragen des Heilandes. Alle tragen Kreuz; das Kreuz der Sünde oder der Leidenschaft, das Kreuz des Unglücks und der Zulassung Gottes oder das Kreuz der Buße und der Liebe. So ist der Kreuzweg Christi ein wahres und lebendes Vorbild der Kirche und der ganzen Menschheit. Wer wir immer sind, ob wir wollen oder nicht, wir müssen teilnehmen an der Gesellschaft des kreuztragenden Heilandes. Das bloß steht uns frei, welcher Abteilung dieser Gesellschaft wir angehören wollen. Und da ist die Wahl wohl nicht so schwer. –
aus: Moritz Meschler SJ, Das Leben unseres Herrn Jesu Christi des Sohnes Gottes in Betrachtungen Zweiter Band, 1912, S. 382 – S. 386