Das Leben und Leiden und der Tod Jesu
Die Verspottung und Dornenkrönung Jesu Christi
Matth. 27,27. Darauf nahmen die Soldaten des Landpflegers Jesum zu sich in das Richthaus und versammelten um ihn die ganze Schar. – 28. Und sie zogen ihn aus und legten ihm einen Purpurmantel um – 29. und flochten eine Krone von Dornen, setzten sie auf sein Haupt und gaben ihm ein Rohr in seine rechte Hand. Und sie bogen das Knie vor ihm, verspotteten ihn und sprachen: „Sei gegrüßt, du König der Juden!“ – 30. Sie spieen ihn auch an, nahmen das Rohr und schlugen sein Haupt damit.
Mark. 15,16. Die Kriegsknechte führten Jesum nun hinein in den Hof des Richthauses und riefen die ganze Kohorte zusammen. – 17. und legten ihm ein Purpurkleid um und flochten eine Dornenkrone und setzten sie ihm auf. – 18. Und sie fingen an, ihn zu begrüßen: „Sei gegrüßt, du König der Juden!“ – 19. Und sie schlugen sein Haupt mit einem Rohr und spieen ihn an und beugten die Knie, sich gebärdend, ihn anzubeten.
Joh. 19,2. Und die Soldaten flochten eine Krone von Dornen und setzten sie auf sein Haupt, legten ihm einen Purpurmantel um – 3. und traten zu ihm und sprachen: „Sei gegrüßt, du König der Juden!“ Und sie gaben ihm Backenstreiche.
Veranlassung und Umstände der Dornenkrönung
Der Heiland war nun nach der Geißelung von den Soldaten in den Hof des Prätoriums, sei es in den Hof des Wachthauses, sei es in den inneren Hof des statthalterischen Palastes, gebracht worden (Mark. 15,16; Matth. 27,27), um dort verwahrt zu werden bis zur endgültigen Verurteilung. Die Zwischenzeit benutzten nun die Soldaten, sei es aus Mutwillen, sei es aus Veranlassung und Zulassen des Pilatus, dazu, mit dem Heiland einen Zeitvertreib auszuführen. Es paßte auch dieses zum Zweck des Pilatus, den Juden einige Genugtuung zu bieten und das Leben des Heilandes zu retten. Die Idee zum Zwischenspiel gaben ihnen offenbar Herodes und die Juden selbst, welche das Königtum des Heilandes schon verspottet hatten. So wollen auch die Soldaten mit ihm König spielen und dadurch sein Königtum verhöhnen.
Was nun diesen Zeitvertreib und Spaß so recht qualvoll machte, war erstens die Unberechtigung und Ungerechtigkeit dieses Unglimpfes. Es war dieses gegen alles Gerichtsverfahren. Der Angeklagte ist wie eine heilige Sache zu behandeln und vor ungesetzlichen Misshandlungen zu schützen. Res sacra reus, hieß es im Gerichtsverfahren, und jetzt erlaubt man sich eine solche Willkürlichkeit gegen den Heiland, und unter den Augen des Landpflegers und vielleicht auf seine Anregung. –
Zweitens kann man sich eine Vorstellung machen von der Rohheit des Auftrittes, wenn man bedenkt, wer die Werkzeuge und die ausführenden Kräfte sind, nämlich Soldaten, roh, an das Bluthandwerk gewohnt, gefügige Werkzeuge der Willkürherrschaft, Verächter fremder Nationen, namentlich der Juden. Ihnen ist er ganz überlassen, und sie können in ihrem Mutwillen beginnen, was sie wollen. Sie rufen die ganze Mannschaft, die zum Wachdienst unter Waffen war, zusammen (Matth. 27,27; Mark. 15,16), und was dem einen nicht in den Sinn kam, das ersann der andere. Die Witze und Späße in den Kasernen und Wachstuben sind überhaupt nicht die feinsten und zartesten. –
Endlich ist der Gegenstand dieses Spaßes der Heiland, ein Mann von edler Abkunft, von zarter Körperbildung, züchtig und verschämt, sanft, mild und in Werken des Friedens erzogen, den Soldaten also in allem unähnlich: ein Umstand, der ihren Mutwillen nur noch mehr reizte und stachelte. Dieser Mann hatte Königsgelüste und wollte, wie man sagte, die Römer vertreiben. Dem musste man also seine freventlichen Pläne austreiben um jeden Preis. Und dieser Heiland war eben gegeißelt und gewiß von Schmerzen durchschauert. Wie musste das alles das Leiden des Heilandes vermehren und unerträglich machen!
Verlauf und Ausführung der Verspottung
Die Idee des mutwilligen Spottes also war eine possenhafte Darstellung einer Königshuldigung.
Vor allem gehörte zur feierlichen Huldigung der Purpur, das Abzeichen weltlichen Königtums. Herodes hatte ihm ein helles Prachtgewand anziehen lassen, weil er ihn zugleich in geistlicher Beziehung als Messias verspotten wollte. Den Soldaten ist er aber nur ein weltlicher Machthaber, ein Kriegsherr, und deshalb muss ein Purpurmantel, wie Kaiser und Feldherren ihn trugen, beschafft werden. Sie laufen aber nicht nach Tyrus und Sidon, um den Purpur zu holen. Ein alter, zerfetzter Soldatenmantel war auch gut. So rissen sie ihm also die Kleider von den blutenden Schultern und hängten ihm den Soldatenmantel um (Matth. 27,29; Mark. 15,17; Joh. 19,15). – Als Thron diente wohl ein Säulenstumpf, die columna improperiorum, die man in der Kirche des heiligen Grabes noch zeigt, und darauf ließen sie ihn Platz nehmen. – Als Szepter steckten sie ihm einen Rohrstock in die gebundenen Hände (Matth. 27,29; Mark. 15,19). – Die Krone war nicht das Diadem Melchoms, das sein Vater David getragen, nicht aus Gold und Edelgestein, nicht aus Eisen, nicht aus Ölzweigen und Blumen geflochten, sondern nach einer ganz teuflischen Eingebung aus Ranken mit langen, spitzigen Dornen (Matth. 27,29; Mark. 15,17; Joh. 19,2). Diese grausige Krone setzen sie ihm auf das Haupt. – Das war die Königsausstattung, und nun folgte die Huldigung. Sie fielen vor ihm auf die Knie (Matth. 27,29; Mark. 27,29) und huldigten ihm, ließen ihn hochleben (Mark. 15,19; Matth. 27,29) als König, alles zum Spott und unter lächerlichen Gebärden (Matth. 27,31; Mark. 15,20; Joh. 19,3). Dann sprangen sie auf, ohrfeigten ihn, schlugen und hämmerten mit seinem Zepterstock auf sein Haupt, so daß die Dornen ihn verletzen und in die Schläfen eindringen mussten (Matth. 27,30; Mark. 15,19; Joh. 19,3), und warfen ihn vielleicht unter Hohngelächter von seinem Thron, trieben allen erdenklichen Spott mit ihm und ließen allen Mutwillen an ihm aus.
Welch eine Szene und was für ein Anblick! Da sitzt der Heiland, gebeugt und zusammen gekrümmt, eine wahre Jammergestalt, die schöne Stirn verkürzt und eingeklemmt und herab gedrückt durch den unförmlichen Hut von Dornen. Die Haare sind verwickelt und verschürzt mit den knorrigen Schlingen des Kranzes. Das Antlitz verschwindet fast unter dem stacheligen Wulst. Das Blut sickert von allen Seiten des Hauptes, rinnt wie feine Bächlein über Schläfe und Nacken, unterläuft die Augen, färbt die Schulter rot und leimt die Locken des Haupthaares zu Strähnen zusammen.
Wie viele lebendige Dornen wühlen in den Schläfen, diesem empfindlichen Teil des Leibes, und jeder Ruck, jeder Stoß, jede Bewegung treibt sie tiefer und durchglüht mit scharfem Schmerz Leib und Seele! – Welch ein Schmerz und welch eine Schmach! Wer ist es, der da unter diesen Unmenschen sitzt und dem so mit Schimpf und Schmerz zugesetzt wird? Es ist wahrlich mehr als Salomon, der Liebling Gottes, in seiner Weisheit und Pracht; es ist mehr als Assuerus` unnahbare Majestät, mehr als David in seiner Kriegszier; es ist der lebendige Gott, der im selben Augenblick sein Zepter über Myriaden strahlender Engelheere schwingt. Sie liegen zu seinen Füßen und sind seines Winkes gewärtig, und hier sitzt er in Schmach und Schmerz, der Spielball einer elenden Rotte, seiner Geschöpfe, und wird von ihnen mit Schmach gesättigt und voll getränkt (Klagel. 3,30). Der Messias ist es, der Erwartete dieses Volkes, und siehe! Das wird ihm von seinem Volk am Tage, wo er seine Hand ausstreckt, ein Pfand der Liebe und Huldigung von ihm zu empfangen. Eine Rabenmutter ist seine Braut, die Synagoge, ihm geworden. Den Kranz der Schmach und der Leiden bietet sie ihm, und das Gelobte Land seiner Väter hat für ihn nur Dornen und Disteln.
Bedeutung der Verspottung und Dornenkrönung
Es ist dieses Geheimnis die Verhöhnung des Königtums Christi von Seiten des Heidentums und der die Welt beherrschenden Nation. Die Verhöhnung geschah im römischen Prätorium, von römischen Soldaten, unter den Augen und vielleicht auf Veranlassung des römischen Landpflegers. Mit dieser Verspottung verdient sich der Heiland die Weltherrschaft. Diese Dornenkrone soll zum Kranz der Glorie und der Herrlichkeit werden; dieses elende Rohr zum eisernen Stab, mit dem er zur Zeit Throne und Reiche zertrümmern wird. Die höhnenden Soldaten werden Königen, Völkern mit siegreichen Heeren Platz machen, die kommen, um anzubeten. Durch diese Verhöhnung ist das römische Weltreich seiner Erbschaft verfallen.
Der Dornen gekrönte Heiland ist auch das Opfer für die Sünden des Stolzes, für die Königsgelüste, die alle Kinder Adams anwandeln und plagen; das Opfer für das ungerechte Pochen auf Ehre und Macht; für alle ungerechten Verletzungen und Kränkungen fremder Ehre und fremden Aufsehens; für alle Ungeduld bei Hohn und Spott; für alle Beschimpfungen und Auflehnungen gegen rechtmäßige Obrigkeit, namentlich gegen die Majestät der Kirche. Wie bitter hat der Heiland für das alles leiden müssen!
Der Heiland wollte uns auch lehren, wie weh ungerechter Spott tut. Spott- und Hohnworte sind Dornen, mit denen wir den Nächsten peinigen. Wie wir aber dergleichen tragen müssen, das lehrt uns ebenfalls das Beispiel des Heilandes in diesem Geheimnis. –
aus: Moritz Meschler SJ, Das Leben unseres Herrn Jesu Christi des Sohnes Gottes in Betrachtungen Zweiter Band, 1912, S. 361 – S. 369