Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Gotteserkenntnis
Der eine, wahre Gott ist das höchste, überweltliche, persönliche, absolut notwendige, unverursachte, aus sich seiende, daher ewige und unendlich vollkommene Wesen, der Schöpfer und Herr des Himmels und der Erde.
I. Erkennbarkeit Gottes
Die Kirche bekennt sich zu diesem einen wahren Gott (Vatic., Sess III, c.1: Denzinger 1782). Aber auch die natürliche Erkennbarkeit Gottes ist Gegenstand des kirchlichen Lehramtes.
1) Lehre der Kirche. Das Vatikanische Konzil (Sess. III, c. 2 u. can. 1: Denz. 1785 u, 1806; vgl. Denz. 1391,1622,1650,1670) definiert („tenet et docet“): „Gott (der eine wahre Gott), der Ursprung und das Ziel aller Dinge (dem also Verehrung und Gehorsam gebührt), kann (physisch, aktiv) mit dem natürlichen Lichte (also nicht, wie der Traditionalismus will, letztlich aus der übernatürlichen Offenbarung) der menschlichen Vernunft (in jedem, auch dem reinen Naturzustand; nicht: in jedem erwachsenen Menschen) aus den geschaffenen Dingen (wenigstens, nicht einzig) mit Sicherheit (nicht bloß wahrscheinlich) erkannt werden“ (nicht: wird erkannt).
Während hier das Wort „beweisen“ mit Absicht umgangen ist, wird es im Antimodernisten-Eid ausdrücklich beigefügt (Denz. 2145; vgl. 553ff, 1620, 1622, 1659, 1670, 2072). Ergänzt wird die Lehrentscheidung durch das auch vom Vatikanum beigezogene Schriftzeugnis (Röm. 1,18ff; vgl. 2,14ff, Weish. 13,1ff), wonach die aus der Weltbetrachtung geschöpfte Gotteserkenntnis so leicht ist, dass die Heiden unentschuldbar sind. Allerdings bleibt sie unvollkommen und mangelhaft: „Spiegelerkenntnis“, „rätselhaft“, „Stückwerk“ (1. Kor. 13,12). Gott kann nicht „gesehen“ (1. Tim. 6,16; Mt. 11,27; Joh. 1,18; Denz. 475), sondern nur durch den Intellekt erkannt werden (Röm. 1,20).
Eine adäquate Gotteserkenntnis ist uns unmöglich; denn Gott ist unbegreiflich (Vatic.: Denz. 1782; vgl. 428). Diese Gotteserkenntnis wird erworben (Sir. 43,20ff) durch Bejahung (irgendeiner Vollkommenheit), Verneinung (alles geschöpflich Unvollkommenen), Steigerung ins Unendliche. –
Kirchlich abgelehnt sind also außer der Gottesleugnung (Atheismus, Materialismus, Pantheismus) der Enomianismus (Leugnung der Unbegreiflichkeit Gottes), jede Lehre einer schon diesseitigen unmittelbaren Anschauung Gottes, der Ontologismus (Denz. 1659Ff,1891ff; vgl. 1782) und wenigstens in seinem negativen Teile (Leugnung der Gotteserkenntnis aus der Weltbetrachtung) der Intuitionismus (so auch die Immanenzlehre, Blondel, Le Roy; phänomenologischer Intuitionismus, Scheler zeitweilig, u.a.), ferner der Agnostizismus in seinen verschiedenen Formen als Nominalismus, Lehre von der erbsündlichen Verfinsterung (Luther), Traditionalismus und Semitraditionalismus (insofern auch letzterer die Möglichkeit der Gotteserkenntnis letztlich von der Offenbarung herleitet), Kants Lehre von der „objektiv unzureichenden“ Postulaten der praktischen Vernunft, Schleiermacher, Ritschl`sche Schule (einseitiger Gefühls- und Herzensglaube), Modernismus (Denz. 2072). –
Nicht nur die geschaffene Welt bezeugt nach der Lehre der Kirche (Vatic., Sess. III, c. 2: Denz. 1785, 1807) das Dasein Gottes, sondern auch sein Selbstzeugnis: „Seiner Weisheit hat es gefallen, sich selbst und die ewigen Beschlüsse seines Willens dem Menschengeschlecht auch auf einem andern, und zwar übernatürlichen Wege zu offenbaren, gemäß dem Apostelwort: ‚Zu verschiedenen Zeiten und auf verschiedener Weise hat Gott vor alters zu unsern Vätern geredet durch die Propheten; am Ende dieser Zeiten sprach er zu uns Sohne.’“ (Hebr. 1,1 u.2)
Übernatürliche Gotteserkenntnis. Die Kirche verlangt den Glauben an das Dasein Gottes (Glaubensbekenntnis: Denz. 86, 428, 994; Vatic.: Denz. 1782, 1801) und erklärt so Hebr. 11, 6 (Denz. 798).
Manche Theologen, die, anscheinend mit dem hl. Thomas (S. th. 2,2, q. 1, a. 4 ad 5; De verit. q. 14, a. 9), der Ansicht sind, dass der Glaube mit evidentem Wissen unvereinbar sei, und den Glauben auf das „Nichtgewusste über Gott“ beschränken, erklären die Pflicht, an das Dasein Gottes zu glauben, in verschiedener Weise so, dass man an etwas nicht Evidentes glaubt (z.B. an das übernatürlich über Gott Geoffenbarte, wie die Trinität, und damit einschließlich, in subjecto, an die Existenz), oder so, dass sie einen bedingten Glauben, eine Bereitwilligkeit zu glauben annehmen (vgl. F. Diekamp, Dogmatik I 11; Chr. Pesch, Prael. Dogm. II (1925) 33f)).
Andere halten diese Lösung für ungenügend und sehen (mit Albertus Magnus, Bonaventura, De Lugo, Suarez) keinen Widerspruch darin, dass etwas habituell evident Gewusstes aktuell geglaubt wird: das Motiv ist ein anderes (nicht Einsehen, sondern Autorität Gottes) und wird nicht behindert (habituelles Wissen ist nicht aktuelle Evidenz); auch ist die durch das Glaubensmotiv und die Gnade geschaffene Gewissheit viel größer als die natürliche (Pesch II 32ff; VIII 195ff; B. Beraza, De virt. Infus. (Bilbao 1929) 398ff). –
Noch vollkommener ist die Anschauung Gottes der Seligen im Lichte der Glorie (Dent. 530). Sie ist die Vollendung unserer Gotteserkenntnis, die überreiche, ganz übernatürliche Erfüllung (1. Kor. 2,9) unseres natürlichen Sehnens nach vollkommener Gotteserkenntnis (Darum kein eigentliches desiderium naturale in visionem); aber auch für sie bleibt Gott unbegreiflich (S. th. 1, q. 12, a. 7). –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. IV, 1932, Sp. 599 – Sp. 600; Sp. 603