Heiligenkalender
4. Februar
Heilige Mutter Johanna von Valois, Gründerin der „Annunziaten“
Königstochter und Ordensgründerin
(23. April 1464 bis 4. Februar 1505)
Heilig gesprochen am 28. Mai 1950
Wie König Ludwig IX., der Heilige, (1215-1270), der erlauchteste Name der Capetinger war, die in Frankreich durch Jahrhunderte regierten, so ist die heilige Johanna der schönste Ruhm derer von Valois, die nach langem Streit, nach dem sogenannten Hundertjährigen (1328-1429) Krieg mit England die französische Königskrone trugen, bis ihnen (im Jahre 1589) die Bourbonen folgten. – (siehe den Beitrag: Warum das französische Königshaus Valois aussterben musste)
Als Tochter, Schwester, Gemahlin und Verstoßene dreier Könige hat Johanna von Valois, äußerlich gesehen, die Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens wie wenige erfahren. Ihr Großvater war Karl VII., der – dank des Gott gefügten Eingreifens der heiligen Jeanne d`Arc (1412-1431) – im Jahre 1429 in Reims zum König gekrönt wurde und sich mit Maria von Anjou vermählt hatte. Sein Sohn, König Ludwig XI. von Frankreich (1461-1483), vermählt mit Charlotte von Savoyen, war der Vater Johannas. Diese war jedoch unschön und verwachsen und deshalb nicht gern gesehen von ihrem Vater, der neben manchen guten Eigenschaften doch einen sehr unguten Charakter hatte und der jene unumschränkte Regierungsform begann, die später unter Ludwig XIV. Ihren Höhepunkt und zugleich ihr beginnendes Verhängnis erreichte. Einer seiner Grundsätze war: „Wer nicht zu täuschen versteht, der versteht nicht zu regieren!“ und man sagt von ihm: Er schläft im Kriege nur mit einem Auge, im Frieden hält er Tag und Nacht beide Augen offen.
Wenn nun dessen nicht geliebtes Kind Johanna die eigene Liebe um so mehr dem Gekreuzigten zuwandte, so mißfiel dem Vater wiederum diese große Frömmigkeit. Doch die himmlische Mutter aller Menschen neigte sich hernieder zu dem Königskind und ließ es die Worte vernehmen: „Mein liebes Kind Johanna, vor deinem Tode wirst du zu meiner Ehre einen Orden gründen, der zu meiner und meines Sohnes größten Freude gereichen wird.“ Johanna zählte damals erst sechs Jahre; aber diese Worte blieben ihr unvergeßlich die mehr als dreißig Jahre hindurch, die bis zu deren Verwirklichung verstrichen. Sie waren ihr begreiflicher Weise auch ein Ansporn zum Streben nach immer treuerem Nachleben des Geistes und damit des Erlösers. Als sie dabei einmal Gott um Erleuchtung bat, welchen Führer sie in ihrem Streben nach christlicher Vollkommenheit wählen solle, glaubte sie bei der heiligen Messe die Worte zu vernehmen: „Meine Braut, wenn du von der Mutter geliebt werden willst, so suche die Wunden des Sohnes!“ Johanna wählte sich also Söhne des mit den Wundmalen gezeichneten heiligen Franziskus zu Seelenführern, wobei besonders der heiligmäßige Pater Gilbert Nicolas, gewöhnlich Fra Gabriel Maria genannt, einen entscheidenden Einfluss in ihrem Leben hatte.
Im Jahre 1476 vermählte Ludwig XI. seine kaum dreizehn jährige Tochter Johanna mit ihrem erst vierzehn jährigen Vetter Ludwig aus der Nebenlinie von Orléans. Dieser aber hatte nur Abneigung gegen seine Gemahlin, die darum – wie es im kirchlichen Offizium ihres Festes heißt – in ihrer Ehe „nichts als das Kreuz fand“. Sie trug aber alles in Geduld und Güte und erwiderte die Zurücksetzungen mit Wohltaten der Liebe. Im Jahre 1483 starb Johannas Vater, König Ludwig XI., unter dem Beistand des heiligen Franz von Paola, des Gründers der Minimiten; von Gewissensbissen gefoltert, hatte der König den damals sehr bekannten Heiligen und Wundertäter (1416-1507) aus Italien herbei gerufen. Sein Sohn und Nachfolger, König Karl VIII., der Bruder der heiligen Johanna, war noch minderjährig. Der nächste männliche Verwandte war Ludwig von Orléans, der Gemahl der heiligen Johanna. Der verstorbene König hatte aber nicht diesen, sondern die ältere Schwester des minderjährigen Königs, verheiratet mit Pierre von Bourbon, zum Vormund bestellt. Dagegen erhob sich Ludwig, wurde aber besiegt und gefangen genommen; er schien sein Leben verwirkt zu haben, zumal Karl VIII. auch über Johannas Zurücksetzung sehr empört war. Diese aber wußte so inständig für ihren Gemahl zu bitten, daß ihm schließlich verziehen wurde. Während der zwei Jahre jedoch, in denen er gefangen gehalten wurde, vergalt ihm die Heilige Böses mit Gutem, indem sie ihn besuchte und tröstete, so oft sie konnte.
Kaum aber war ihr Gemahl, nach dem frühen Tod ihres Bruders im Jahre 1498, als König Ludwig XII. auf den Thron gekommen, hatte er nichts Eiligeres zu tun, als sich an den damaligen Papst Alexander VI. zu wenden, damit er seine Ehe mit Johanna für ungültig erkläre. Als Grund gab er an, er habe die Ehe nur wider Willen, unter dem Druck und Zwang durch Ludwig XI., eingegangen und habe noch am Tage der Hochzeit vor Notaren eine geheime Erklärung darüber abgegeben; ferner sei Johanna nicht fähig zur Mutterschaft. Alexander VI. beauftrage eine Kommission mit der Untersuchung und Entscheidung des Falles. Diese erklärte noch im Jahre 1498 die Ehe als nichtig. So war Johanna, die mehr als zwanzig Jahre lang als rechtmäßige Gemahlin des nunmehrigen Königs gegolten hatte, verstoßen und sah sich, wie das Unglück zu geschehen pflegt, von fast allen verlassen. Nicht wenige Theologen zweifelten zwar die Richtigkeit des von der Kommission gefällten Urteils an, aber Johanna erklärte nur: „Man tut mir ein großes Unrecht an; doch Gott sei gepriesen für alles! Ich weiß, daß er dies zuläßt, damit ich ihm besser als bisher dienen und meinen ersten Wunsch ausführen kann, nämlich die Gründung eines Ordens zur Ehre der seligsten Jungfrau Maria.“
Ludwig XII. war froh darüber, daß er so leicht erreicht hatte, was er wollte. Er heiratete Anna, die Witwe des verstorbenen Königs Karl VIII., also die Schwägerin Johannas von Valois und zugleich die Erbin der Bretagne. Jener, die bis dahin als seine Gattin gegolten hatte, wies er als Abfindung ein Schloss in Bourges an. Dort lebte nun Johanna von Valois ganz der Frömmigkeit, der Buße, dem Dienst der Kranken und Armen. Dennoch litt sie unter dem Unrecht so sehr, daß sie ein Jahr lang wie vom Leiden erstarrt schien, und zwar im Hinblick auf die viele Liebe und Güte, die sie Ludwig von Valois-Orléans erwiesen, und auf den Undank, den sie von ihm erfahren hatte. Getröstet und beraten durch den heiligen Franz von Paola und durch ihren Beichtvater, Fra Gabriel Maria, dachte sie nun vor allem an die Gründung des Ordens zu Ehren der seligsten Jungfrau. Es fehlte nicht an Schwierigkeiten, und es ging sogar der erste Entwurf der Regeln, der zur Bestätigung nach Rom geschickt worden war, verloren; aber schließlich wurden sie doch, nicht ohne offensichtliches Eingreifen Gottes, am 14. Februar 1501 durch Papst Alexander VI. bestätigt.
Im Jahre 1503 legte Johanna von Valois die Gelübde ab und nahm den Namen Gabriela Maria an. Der Orden nannte sich nach dem Geheimnis der Verkündigung Mariens „Orden der Annunziaten“ oder auch „Von den zehn Tugenden Mariens“. Die Gründerin hatte nämlich ein Gebet zusammen gestellt, in dem sie auf die zehn Haupttugenden der seligsten Jungfrau hinweist, die sie die zehn Freuden Mariens nennt, und durch die sie ihre Geistestöchter wie auf zehn Stufen zur vollkommenen Nachahmung der Heiligkeit Mariens führen will. Diese zehn Tugenden sind nach ihr: Reinheit des Leibes und der Seele, Klugheit, um Gott zu erkennen, Demut bei all ihrer Erhöhung, Wahrhaftigkeit im Herzen und in Wort und Werk, Lob und Ehrung Gottes in allem Tun, gehorsam, arm nach außen, aber reich an Gnade, Geduld, Liebe und Barmherzigkeit, mitleidende Mutter. In den zehn Kapiteln der „Regeln des Ordens der seligsten Jungfrau“ werden diese zehn Tugenden oder Freuden Mariens weiter ausgeführt unter denTiteln: Keuschheit – Klugheit – Demut – Glaube – Gebet – Gehorsam – Armut – Geduld – Nächstenliebe – Mitleid.
Nach dem Tod der Gründerin (am 4. Februar 1505) hob der Mitgründer, Pater Nicolas, in einer Ansprache an die Schwestern besonders zwei Punkte hervor: Die Heilige hatte einen solchen Bußgeist und war so erfinderisch in ihren Werken der Entsagung, daß es kaum zu begreifen ist, wie ihr schwacher Körper dies doch bis zum vierzigsten Lebensjahr tragen konnte. Ferner, so sagte der Pater, könne er sich nicht denken, daß jemand mehr Gnaden und Licht von Gott bekommen habe als Johanna von Valois. Ihre Seele sei durch die umwandelnde Liebe mehr in Gott gewesen, den sie liebte, als im Leibe, den sie belebte. Hierauf deutete er einige von ungezählten mystischen Gnaden an. Wunderbare Heilungen, die nach ihrem Tode auf ihre Fürbitte gewirkt wurden, trugen noch mehr dazu bei, daß sie allenthalben als Selige verehrt wurde, obschon ihr Grab in Bourges im Jahre 1562 von den Hugenotten zerstört wurde. Papst Clemens XII. hat im Jahre 1742 ihren Kult als Selige bestätigt.
In den letzten Jahrzehnten wurden neue Wunder durch die Ritenkongregation geprüft, und das Ergebnis ist die Kanonisation oder Heiligsprechung, die aufs neue zeigt, daß Gott sowohl die Großen dieser Erde wie die Kleinen zur Vereinigung mit sich durch die Heiligung beruft, daß aber dieser Ruf seine Verwirklichung nur finden kann auf dem königlichen Wege des Kreuzes und der Abtötung oder Überwindung alles Unheiligen in der nach Gottes Bild geschaffenen und zur vollkommenen Gotteskindschaft bestimmten Seele. –
aus: Ferdinand Baumann SJ, Pius XII. erhob sie auf die Altäre, S. 92 – S. 95