Goffine: Unterricht für den ersten Sonntag im Advent
Der erste Sonntag des Advents und die folgende Woche enthält in den Gebeten der Kirche das erste sehnsüchtige Rufen der Seele mit den Altvätern nach der Ankunft des Erlösers. Erhebe demnach, o Seele! Deinen Blick, suche und rufe nach der Heimsuchung deines Heilandes! Lerne dich selbst kennen; lerne erkennen, wie elend du bist ohne Christus, wie glückselig mit Christus! Singe mit der heiligen Kirche im Eingang zur heiligen Messe: „Zu dir, o Herr! habe ich erhoben meine Seele; o mein Gott! auf Dich vertraue ich; lasse mich nicht zu Schanden werden und mich nicht verlachen von meinen Feinden; denn Alle, die auf Dich warten, werden nicht zu Schanden. … Deine Wege o Herr! Zeige mir, und deine Stege lehre mich!“ (Ps. 24, 1-4) Ehre sei dem Vater, und dem Sohne, und dem heiligen Geist, wie sie war im Anfang jetzt und allezeit und zu ewigen Zeiten! Amen.“
Gebet der Kirche:
Erwecke, o Herr, wir bitten Dich, deine Macht und komme, damit wir unter deinem Schutz von den drohenden Gefahren unserer Sünden erlöst und durch deine Hilfe befreit und behütet werden, der Du mit Gott dem Vater in Einigkeit des hl. Geistes als gleicher Gott lebst und regierst von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Lesung zum Ersten Advent
Lesung aus dem Brief des hl. Paulus an die Römer 13, 11-14
Brüder! Ihr erkennet, daß die Stunde nun da ist, wo wir vom Schlafe erwachen sollen; denn jetzt ist unser Heil näher, als da wir gläubig geworden sind. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber hat sich genaht; lasset uns also ablegen die Werke der Finsternis und anziehen die Waffen des Lichtes! Wie am Tage lasset uns ehrbar wandeln, nicht in Schmausereien und Trinkgelagen, nicht in Schlafkammern und Unzucht, nicht in Zank und Neid, sondern zieht an den Herrn Jesum Christum!
Was lehrt in diesen Worten der heilige Paulus?
Nachdem er den Römern, welche durch den hl. Petrus zum Christentum bekehrt wurden, die Pflichten des christlichen Lebens erklärt hatte, ermahnte er sie, dieselben nun sofort zu erfüllen, denn die Gnadenzeit sei jetzt da, aber kurz.
Auch du, mein Christ, hast die Gnadenzeit; wie lange noch?
Was ist unter „Schlaf“ zu verstehen?
Die Blindheit und Betäubung der Seele, ein laues, träges, weichliches, wollüstiges Leben, mit einem Worte der Zustand der Sünde und Lauigkeit, in welchem der Mensch das Licht des Evangeliums nicht mehr sieht, die Mahnungen des Gewissens nicht mehr hört, die Heilsmittel vernachlässigt und unbesorgt dahin lebt, bis er daraus, manchmal leider zu spät, wie von einem Traum erwacht.
Was ist unter „Nacht und Tag“ zu verstehen?
Unter Nacht wird verstanden die Unwissenheit, der Unglaube und die Sünde. Denn wo diese herrschen, da weicht Gott, das wahre Licht des Geistes, und mit Ihm die rechte Erkenntnis, und es wird Nacht in der Seele. Der Tag hingegen ist die Zeit des Glaubens, der Gnade und Wiederaussöhnung mit Gott.
Welches sind die „Werke der Finsternis“, die man ablegen soll?
Die einzelnen Sünden, besonders jene, die im geheimen und beim Dunkel der Nacht aus Scheu vor dem Auge Gottes und der Menschen geschehen.
Welches sind die „Waffen des Lichtes“, die man anziehen soll?
Die übernatürlichen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung, der Liebe und alle guten Werke, die aus diesen hervorgehen, und wodurch wir Teufel, Welt und Fleisch besiegen.
Was heißt „Jesum Christum anziehen“?
Es heißt: Der Christ, welcher in der Taufe allem, was sündhaft ist, abgeschworen, soll nicht in Lastern leben, sondern so denken, reden und handeln, wie Jesus, und durch diese Nachfolge seine Seele wie mit einem Kleid zieren.
Übung.
Prüfe deine verborgensten Gedanken und Wünsche, deine Werke der Finsternis, das Böse, das du getan, das wenige Gute, das du schlecht getan, das viele Gute, das du unterlassen hast und bete:
Verleih` uns, o Jesus! die Gnade, daß wir vom Schlaf unserer Sünden durch wahre Buße aufstehen, durch standhafte Übung guter Werke in dem Licht deiner Gnade wandeln und durch getreue Nachahmung deiner Tugenden Dich anziehen und unsere Seelen zieren mögen. Amen.
Evangelium vom letzten Gericht
Evangelium nach dem hl. Lukas, Kap. 21, Vers 25 – 33
Zu derselben Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Es werden Zeichen an der Sonne, an dem Mond und den Sternen geschehen, und auf Erden wird große Angst unter den Völkern sein wegen des ungestümen Rauschens des Meeres und der Fluten, und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Erwartung der Dinge, die über den ganzen Erdkreis kommen werden; denn die Kräfte der Himmel werden erschüttert werden. Dann werden sie den Menschensohn in der Wolke kommen sehen mit großer Macht und Herrlichkeit. Wenn nun Dieses anfängt zu geschehen, dann schauet auf und erhebet eure Häupter; denn es naht eure Erlösung. Und Er sagte ihnen ein Gleichnis:Betrachtet den Feigenbaum und alle Bäume. Wenn sie schon ausgeschlagen haben, so wisset ihr, daß der Sommer nahe ist. Ebenso erkennt auch, wenn ihr dies geschehen seht, daß das Reich Gottes nahe ist. Wahrlich ich sag` ich euch, dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis alles dies geschieht. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.
Warum läßt die Kirche heute das Evangelium vom letzten Gerichte vorlesen?
Die Kirche will uns, als eine weise Mutter, am Anfange schon auf das Ende hinweisen, durch das Andenken an die Ankunft Jesu als Richter uns bewegen, Ihm, der als Erlöser in diese Welt kam, durch Buße unsere Herzen zu bereiten. Denn nichts kann und soll uns mehr von der Sünde abschrecken und zum Guten antreiben, als die Gewissheit, daß einst im Gerichte alles Böse und alles Gute vor aller Welt geoffenbart, jenes bestraft, dieses belohnt werden wird.
Wird sicher ein solches allgemeines Gericht gehalten werden?
Ganz gewiß, denn Jesus Christus hat es ganz bestimmt vorausgesagt. Leugnest du dieses, so leugnest du das ganze Christentum.
Zur Erleichterung deines Glaubens aber bedenke, daß derselbe Gott, der das allgemeine Gericht vorausgesagt hat und halten wird, auch andere Dinge vorausgesagt und bereits gehalten hat.
Auf den ersten Blättern der heiligen Schrift steht die Prophezeiung: „Wenn du von diesem Baume issest, wirst du des Todes sterben.“ (1. Mose 2,17) Adam und Eva haben davon gegessen, und wie genau ist das angedrohte Gericht an ihnen und all ihren Nachkommen bis auf diese Stunde erfüllt worden.
Jesus Christus hat genau das Gericht vorausgesagt, das über den Menschensohn, über Ihn selbst, in Jerusalem ergehen werde (Luk. 18, 31ff.), und buchstäblich ging es in Erfüllung.
Jesus Christus hat das schauerliche Gericht vorausgesagt, das über die Stadt Jerusalem und das Volk Israel hereinbrechen werde (Luk. 19, 43ff.), und vierzig Jahre nach dem Tode Jesu geschah an Jerusalem, was Jesus gesagt hatte, und an dem jüdischen Volke geschieht es bis zum heutigen Tage. Darum wird auch sicher Christus seine Prophezeiung vom jüngsten Gerichte genau erfüllen.
Warum ein öffentliches Gericht?
Warum wird Gott ein allgemeines und öffentliches Gericht halten?
Ungeachtet des besonderen, geheimen und unwiderruflichen Gerichtes nach dem Tode eines jeden wird noch ein öffentliches und allgemeines Gericht deswegen gehalten,
1. damit alle einsehen, wie gerecht Gott über einen jeglichen im besonderen Gerichte geurteilt habe;
2. damit der Leib, welcher am jüngsten Tage auferstehen wird, als Werkzeug der Sünde oder der Tugend auch seinen Anteil an der Belohnung oder Bestrafung der Seele erhalte;
3. damit den ungerecht unterdrückten und den unschuldig verfolgten Gerechten vor der ganzen Welt das Recht, welches sie hienieden nicht finden konnten, widerfahre; die Gottlosen dagegen, welche die Armen, Witwen, Waisen und Frommen so geängstigt haben und dabei oft noch als ehrliche, fromme Leute galten, vor der ganzen Welt in ihrer wahren Gestalt dastehen und zu Schanden werden. Jenes wird vor allem bei Christus, dieses aber bei den Juden und allen stattfinden, die Ihn durch ihre Sünden wieder gekreuzigt haben;
4. damit, da Gott in dieser Welt es den Frommen oft übel, den Bösen aber wohl und nach ihrem Wunsche ergehen läßt, und die Schicksale einzelner Menschen wie ganzer Nationen oft so unbegreiflich sich gestalten, es öffentlich und feierlich erwiesen werde, wie gerecht Gottes Fügungen und Führungen, wie weise seine Anordnungen, wie unparteiisch und heilig seine Weltregierung vom Anfange bis zum Ende gewesen seien;
5. damit alle die Güte Gottes kennen lernen, der auch das Geringste, aus Liebe zu Ihm gelitten oder getan, sogar einen frischen Trunk Wassers, in seinem Namen gereicht, ebenso belohnen wird, als wäre es Ihm selbst geschehen;
6. damit die Vergeltung eine vollständige sei, indem die Gerechten, von den Gottlosen in diesem Leben gerichtet, nun ihrerseits dieselben mitrichten werden.
Siehe: Weish. 5, 3-5; Matth. 19, 28; 1. Kor. 6, 2,3
Wann wird dieses Gericht gehalten?
Jesus Christus hat uns den Tag und die Stunde nicht vorausgesagt, damit wir immer bereit seien, wohl aber einige Zeichen angegeben, an deren Erscheinen wir das Herannahen des Gerichtes erkennen können, wie man an den jungen Zweigen des Feigenbaumes die Nähe des Sommers erkennt.
Wie wird das Gericht gehalten?
Welche Zeichen werden dem jüngsten Gerichte vorangehen?
Die Sonne wird verfinstert werden, der Mond wird keinen Schein mehr geben, die Sterne werden ihr Licht verlieren und vertilgt zu sein scheinen, die Himmel werden unter großem Krachen vergehen, die Elemente in der Glut zerschmelzen, und die Erde mit allem, was auf ihr ist, im Feuer aufgelöst werden. (2. Petr. 3,10) Auf Gottes Befehl wird die Ordnung des Weltgebäudes aus dem Gleichgewicht kommen; furchtbare Stürme werden toben; brausend wird das Meer aufwallen, und ein schrecklicher Zustand wilden Kampfes und gräßlicher Zerstörung die Stelle des gegenwärtigen ruhigen und geordneten Zustandes einnehmen. Mit einem Worte: Es werden solche Übel und Drangsale über die Erde kommen, daß die Menschen vor Furcht und Erwartung der Dinge, die da kommen sollen, verschmachten und vor Angst nicht wissen werden, wohin sie sich wenden sollen. Zu diesen Vorboten wird alsdann noch das Zeichen des Menschensohnes, das heilige Kreuz, zum Schrecken der Sünder, die es gehaßt, und zum Troste der Gerechten, die es geliebt haben, am Himmel erscheinen. (Matth. 24, 30)
Warum wird dies alles geschehen?
Weil die Menschen die Geschöpfe Gottes so unordentlich, ja mehr als den Schöpfer lieben, dieselben mißbrauchen und Ihm nicht die Ehre geben, so wird sein Eifer dieselben bewaffnen, um sich an seinen Feinden zu rächen (Weish. 5, 18), damit diese auf eine recht auffallende Art empfinden, wie töricht sie gehandelt haben, daß sie ihr Herz, statt es an Gott, den Unvergänglichen, hinzugeben, an Güter und Freuden gehängt haben, die nun ein so schreckliches Ende nehmen.
Warum befiehlt Jesus, hierbei das Haupt zu erheben, weil die Erlösung nahe sei?
Dieses geht die Gerechten an, welche, solange sie auf Erden leben, gleichsam Gefangene und in der Verbannung sind, durch das letzte Gericht aber in die vollkommene Freiheit der Kinder Gottes gelangen und in ihr so lang ersehntes Vaterland – das Himmelreich – mit Leib und Seele werden eingeführt werden. Diese haben also die größte Ursache, ihre traurig gesenkten Häupter alsdann freudig zu erheben.
Wie wird das letzte Gericht anfangen?
Die Engel werden auf Befehl Gottes durch Posaunenschall alle Menschen zum Gerichte fordern. (1. Thess. 4, 15) Dann werden die Leiber der Verstorbenen mit ihren Seelen wieder vereinigt, die Bösen von den Guten abgesondert, jene zur Linken, diese zur Rechten gestellt werden. (Matth. 25,33) Dabei werden auch alle Engel und Teufel gegenwärtig sein, und Jesus Christus wird als göttlicher Richter auf einer lichten Wolke mit solcher Macht und Herrlichkeit kommen, daß die Sünder vor Furcht und Schrecken Ihn nicht werden anschauen können, sondern zu den Bergen sagen werden: „Fallet über uns“, und zu den Hügeln: „Bedecket uns“. (Luk. 23, 30)
Wie wird dieses Gericht gehalten werden?
Die Bücher der Gewissen werden aufgeschlagen und nach denselben alle Menschen gerichtet werden (Off. 20, 12), d.h. es werden alle guten und bösen Gedanken, Worte und Werke, auch die geheimsten, welche nur Gott bekannt sind, geoffenbart und der ganzen Welt so bekannt werden, als wenn sie uns an der Stirne geschrieben stünden, und nach diesen wird ein jeder gerichtet, d.h. ewig belohnt oder ewig verdammt werden. Und die Gerechten werden eingehen zum ewigen Leben, die Verdammten aber zur ewigen Strafe. (Matth. 25, 46)
Großer Gott! Wenn man da von einem jeden müßigen Worte wird Rechenschaft geben müssen (Matth. 12, 36), wir wird man alsdann bei so vielen sündhaften, ärgerlichen usw. Reden und Taten bestehen? – O richten wir uns doch selbst!
Übung.
Glaube fest, daß Gott alle deine Sünden, für welche du nicht Buße tust, der ganzen Welt offenbar machen und dich dafür bestrafen wird; daß du, was du dem bedürftigen Nächsten Gutes erweisest, Gott selber getan hast; daß Er dies an jenem großen Gerichtstage der ganzen Welt kund machen und dich dafür vor allen belohnen wird. Dieser feste Glaube muss dich vom Bösen abhalten und zum Guten antreiben.
Gebet.
Durchbohre, o Gott, mein Fleisch mit deiner heiligen Furcht! Ach, daß ich mich nach der Mahnung des hl. Paulus selber richtete durch freiwillige Abbüßung meiner Sünden, durch Fasten, Beten, Abtötung meiner selbst! Ach, daß ich mit dem büßenden Hieronymus sagen könnte: „Ob ich esse oder trinke oder etwas Anders tue, immer ist es mir, als erschalle in meinen Ohren die schreckliche Posaune, die einmal ertönen und rufen wird: Stehet auf, ihr Toten, und kommet zum Gericht!“ Amen. –
in: Leonhard Goffine, Ord. Praem.; Unterrichts- und Erbauungsbuch oder Katholische Handpostille, 1885, S. 17 – S. 21