Die drei heiligen Zeiten des Kirchenjahres
Allgemeine Betrachtung
1. Was versteht man unter dem Kirchenjahr ?
Unter Kirchenjahr versteht man den von der heiligen katholischen Kirche angeordneten Kreis heiliger Zeiten und Tage, durch deren Feier das Erlösungswerk Christi erneuert, fortgesetzt und den Gläubigen zugänglich gemacht werden soll, damit sie Gott verherrlichen und sich selbst heiligen. Das Kirchenjahr beginnt mit dem ersten Adventsonntag und endet mit dem letzten Sonntag nach Pfingsten. Dasselbe ist vom bürgerlichen Jahre wesentlich verschieden, sowohl nach der Einteilung als nach dem Zwecke. Dieses dient als Zeitmesser den zeitlichen, jenes den ewigen Bedürfnissen der Menschen.
2. Warum hat die Kirche ein heiliges Jahr eingesetzt ?
Damit der Christ in den Stand gesetzt sei, Gott die schuldige Ehre, den schuldigen Dienst zu erweisen;
die übernatürlichen Wohltaten Gottes, das Leben Jesu Christi und seiner Heiligen stets vor Augen habe;
die Gnade Gottes durch Teilnahme am Leben der Kirche genieße und sein Leben nach dem Beispiele Christi und seiner Heiligen einrichte;
durch das kirchliche Leben öffentlich seinen Glauben bekenne, in sich selbst ihn erhalte, belebe und fortpflanze;
nie das überirdische, ewige Leben vergesse und zu diesem Leben herangebildet und erzogen werde.
3. Welche Mittel bietet das Kirchenjahr, um diesen großen Zweck zu erreichen ?
Vorzüglich das heilige Messopfer mit den heiligen Sakramenten.
Dann die heiligen Zeiten, welche uns nach und nach die Geheimnisse der Erlösung darstellen, und die heiligen Zeremonien, Gebräuche, Andachten, Segnungen, usw., welche uns in den Geist der heiligen Zeiten einführen.
Das Kirchenjahr ist von größter Wichtigkeit.
Es ist das Abbild des Lebens Jesu, es erhält uns in steter Gesellschaft und Vereinigung mit Jesus, es leitet uns auf dem Wege, den Er gewandelt, es erleuchtet unsern Lebensweg, es gießt Trost und Stärke in unser Herz, es weiht und heiligt unsere Gedanken, Worte und Werke. Je mehr der Weltgeist dagegen ankämpft, um so mehr sollst du, mein Christ, im kirchlichen Leben deinen Schutz und deinen geistigen Halt suchen und um so freudiger und treuer das Leben der Kirche in ihrem heiligen Jahre mitleben.
Welches sind die heiligen Zeiten ?
Die heiligen Zeiten sind:
Die heilige Weihnachtszeit, welche uns die Liebe des himmlischen Vaters durch Hingabe seines eingebornen Sohnes, die Geheimnisse der Verheißung, der Menschwerdung, der Geburt, des verborgenen und öffentlichen Lebens Jesu Christi, unseres lieben Heilandes, darstellt. –
Die heilige Weihnachtszeit dauert vom ersten Adventsonntag bis zum Sonntag Septuagesima. Dieser ganze Festkreis besteht aus: a) dem Advent, b) dem heiligen Weihnachtsfeste, c) dem Feste der Beschneidung, d) dem Feste der Erscheinung des Herrn (Epiphanie), e) dem Feste der Darstellung Jesu im Tempel (Mariä Lichtmeß) und f) der Sonntagsreihe nach dem Feste der Erscheinung des Herrn. In dieser heiligen Weihnachtszeit erscheint uns Christus als Prophet, indem Er sein hochheiliges Erlösungsopfer durch den alten Bund und durch sein eigenes Leben und Wirken vorbereitet.
Die heilige Osterzeit. Diese stellt uns die unendliche Liebe Gottes des Sohnes in den Geheimnissen seines bitteren Leidens und Sterbens, der glorreichen Auferstehung und Himmelfahrt vor Augen und dauert vom Sonntag Septuagesima bis zum sechsten Sonntag nach Ostern.
Zu diesem Festkreise gehören: a) die Sonntage Septuagesima, Sexagesima und Quinquagesima (Vorfasten), b) die sechs Fastensonntage, c) die Karwoche, d) das Fest der Auferstehung Jesu Christi (Ostern), e) die Sonntage nach Ostern, f) die Bittwoche und g) das Fest der Himmelfahrt Christi.
In dieser Zeit erkennen wir Christus als Hohenpriester, indem Er sein Opfer am Kreuze zur Erlösung der Welt vollbringt.
Die heilige Pfingstzeit. Sie ist der Liebe Gottes des heiligen Geistes gewidmet, welche sich in der Heiligung der Menschheit offenbarte und noch immer offenbart, indem der heilige Geist die von Jesus Christus erworbenen, unendlichen Verdienste und Gnaden durch die heilige Kirche den Gläubigen mitteilt, – und enthält die Erinnerung an die Tatsache der Sendung des heiligen Geistes, seiner wunderbaren Wirkung in den Aposteln und an die Ausbreitung der heiligen Kirche über den ganzen Erdkreis. Zu diesem größten Festkreise gehören: a) das Pfingstfest, b) das Fest der allerheiligsten Dreifaltigkeit, c) das Fronleichnamsfest und d) die Sonntagsreihe nach Pfingsten.
In dieser Zeit erscheint uns Christus als König, indem Er aus den kostbaren Früchten seines Opfers am Kreuze sich ein Reich gründet, dasselbe immer regiert und ausbreitet. Der Mittelpunkt des Erlösungswerkes Christi ist sein Opfer am Kreuze, das seine Vollendung erreichte durch die glorreiche Auferstehung. Ostern mit der Karwoche ist daher der Mittelpunkt des Kirchenjahres.
Die Weihnachtszeit verhält sich dazu wie Vorbereitung, die Pfingstzeit wie Fortsetzung und Vollendung des Kreuzopfers. Daher ist auch die Seele des ganzen Kirchenjahres und seiner Feier das heilige Meßopfer, durch welches das Kreuzopfer erneuert und fortgesetzt wird.
Die genannten drei Teile des Kirchenjahres werden Festkreise genannt, weil jeder derselben ein Hauptfest zum Mittelpunkt hat, um das sich die andern Feste als Vor- und Nachfeier gruppieren. Durch diese drei Festkreise will die heilige Kirche dich die drei Stufen des geistlichen Lebens hinanführen, sie will dich reinigen, erleuchten und mit Gott vereinigen. Jedes Jahr beginnt die Kirche diesen Lauf von neuem, damit von Jahr zu Jahr wie an einem Baume ein neuer Ring an deiner Vollkommenheit sich ansetze. –
aus: P. Leonhard Goffine, Unterrichts- und Erbauungsbuch oder Kath. Handpostille, 1885, S. 1 – S. 3