Die wahre und die falsche Aszese

Die Aszese des göttlichen Heilandes

Über die wahre und die falsche Aszese

Die erste Schlussfolgerung ist die Unterscheidung zwischen der wahren und falschen Aszese. Die erörterten Sätze sind ebenso viele Marksteine, an denen die wahre und die falsche Aszese auseinander gehen und an ihrem wahren Gehalt zu erkennen sind. Eine falsche ist die, welche philosophische und theologische Irrtümer zur Voraussetzung hat und von ihnen Leitung annimmt. Wie die Anschauungen über Gott, über den Menschen und über die Welt, so ist auch die Aszese. Das beweisen alle aszetischen Systeme der Alt- und Neuzeit, der Platoniker, Stoiker, Epikureer, Skeptiker, Neuplatoniker, der Gnostiker, Manichäer, der Pharisäer, Sadduzäer, der Buddhisten, Brahminen, Parsis, der protestantischen, rationalistischen, pantheistischen, materialistischen und jansenistischen Sekten. Ebenso steht es fest, daß diejenige keine gute Aszese ist, die auf einen Verstoß gegen die Vernunft, gegen das Gewissen, gegen die Standespflichten hinausläuft. –

Eine falsche Aszese ist diejenige, welche das Ziel derselben verkehrt, namentlich im Punkt der Abtötung, wenn sie nämlich die Abtötung nicht als Mittel, sondern als Zweck behandelt, wenn sie die Natur und Fähigkeiten schädigt. –

Falsch ist die Aszese, die einseitig nur einen Teil des geistlichen Lebens und nur ein Mittel auf Unkosten des Ganzen erfaßt und übt, die nur das Äußere in Zucht nimmt und nicht das Innere, die nur eine Leidenschaft anfaßt, die andern gewähren läßt, die nur beten und die Sakramente empfangen, aber sich nicht überwinden will. –

Gefährlich ist eine Aszese, die wild und ohne Leitung aufwächst, die mit Ungestüm und mit Gewaltstreichen die Sache erledigen will. –

Geradezu verhängnisvoll kann eine sog. mystische Richtung in der Aszese werden. Sie besteht darin, daß man eine gediegene Verstandes-Durchbildung verschmäht oder vernachlässigt und sich nur auf die Bildung des Willens und namentlich des Gefühls wirft; daß man in der Aszese unverdienten Wert auf Außerordentliches und auf solches legt, woran unser freier Wille wenig oder gar nicht beteiligt ist; darin besteht sie, daß man gleich das hohe Ziel der Vereinigung mit Gott erreichen will, ohne sich das Mittel einer gründlichen Reinigung des Herzens und durchgebildeter Abtötung gefallen zu lassen. –

Ganz bedauerlich mit mitleidenswürdig, aber doch ganz im Geist unserer Zeit ist eine gewisse entnervte Aszese. Unsere nervenschwache Zeit nämlich kann die starken, aber gedeihlichen Mittel der alten Aszese nicht mehr vertragen. Kräftige Betrachtungen über die Todsünde, über den Tod und die Hölle, feste, klare Grundsätze und nennenswerte Proben in der Armut und Demut sind zu starke Zumutungen. Alles muss leicht, angenehm, spielend und von selbst gehen. Nicht Mittel, sondern Mittelchen, nicht Kuren, sondern Beruhigungsmittel will man; kleine, süße Andachten und anderer geistlicher Firlefanz sollen es tun. Es ist in der geistlichen Mode vielfach wie in der heutigen Kleidermode viel Schein und wenig Sein. Wir müssen durchaus, so wie in der kirchlichen Wissenschaft und in der kirchlichen Kunst, so auch in der Aszese zu den Alten zurückkehren, wenn etwas Gedeihliches gefördert werden soll.

Eine zweite Schlussfolgerung aus dem Gesagten ist die hohe Wichtigkeit des Aszese für den einzelnen und für das ganze Leben der Kirche und des Christentums. Das Christentum ist Leben, und Leben ist Übung. Die Aszese ist Übung und somit das wahre, ganze und lebendige Christentum. Es ist deshalb nur soviel Tugend, soviel Reinheit, soviel wahrer Gehalt an Religiosität, soviel Kraft, Widerstandsfähigkeit und Ausbreitungsmacht, mit einem Wort, soviel Christentum im Volk, im Klerus und im Ordensstand, als Aszese geübt wird. Was die Kirche ist, ist sie durch die Aszese, der Sauerteig der Menschheit, das Licht der Welt und das Salz der Erde, und ohne die Aszese ist sie zu nichts nütze. Die Aszese ist ihre Seele, ihre Kraft, gleichsam die geheimnisvolle Haarlocke Samsons. Es ist nicht möglich, sie zu bewältigen, solange sie dieses Geheimnis ihrer Kraft wahrt. Die Geschichte beweist es. Immer hat die Kirche sich erneuert durch Andachten, durch Orden und durch Heilige. Alles dieses gehört der Aszese an. Von ihr kamen die großen Männer, die Mehrer des Reiches Christi, die Heiligen, die Männer Gottes, die Bildner und Erneuerer der Welt. Die Aszese ist die Heimat, die wahre Insel der Heiligen.

Wenn dem so ist, dann müssen wir uns freuen über jedes Mittel, das die heilige Aszese in uns fördert, wir müssen es mit Freuden begrüßen und mit Eifer und Liebe umfangen. Ein solches Mittel sind „die geistlichen Übungen des hl. Ignatius“, sei es nun in der Form von Exerzitien für einzelne oder für ganze Stände oder in Form von Missionen. Die Missionen sind ja nichts als Volksexerzitien. Die Exerzitien sind dem Wesen nach ein logisch geordnetes und folgerichtig gegliedertes System von Heilswahrheiten und praktischen Anweisungen zur Erneuerung, Hebung und Kräftigung des geistlichen Lebens für alle. Aszese ist ihr ausschließliches Werk. Deshalb sagt ein Gottesgelehrter, die Exerzitien seien ein Noviziat des geistlichen Lebens für alle Welt- (Suarez, De religione Soc. Iesu 1. 9, c. 5, n. 2) So haben sie sich auch stets erwiesen. Diese geistlichen Übungen waren in der Hand der Vorsehung nicht bloß für unzählige einzelne Christen aus allen Ständen das Mittel der Erbauung, des Heiles und der Heiligung, sondern das mächtige Werkzeug der Reform, die sich in der Kirche seit dem Abfall des Protestantismus vollzogen.

Durch sie großenteils hat der katholische Erdkreis sich erneuert und frische Gestalt gewonnen. Sie sind ja eine wundersame Zusammentat der kräftigsten Heilmittel unserer Religion und des Christentums. Es liegt in ihnen die Kraft des Glaubens und der Heilswahrheiten, die in psychologischer Anordnung an uns herantreten; es liegt in ihnen die Macht des Gebetes und der Sakramente, die Macht der Gnade Gottes im Bunde mit der Mitwirkung des Menschen. Da kann und muss ein erfreuender und großer Erfolg erwartet werden. Auch die neueste Zeit hat derartige Erfolge zu verzeichnen. Wenn die Sturmflut des Kulturkampfes in Klerus und Volk einen Felsengrund fand, über den sie wohl hinaus schießen, den sie aber nicht zu zermalmen vermochte, so wissen einsichtige Leute, wie dieser feste Grund zustande gekommen ist und sich gebildet hat. „Ich beginne zu fürchten“, sagte kurz vor dem Ausbruch des Kulturkampfes einer der bedeutendsten deutschen Kirchenfürsten, „wenn ich sehe, was alles in Deutschland zur Stärkung des Glaubens geschehen ist und geschieht durch das opferwillige Wirken eines braven … Klerus und durch die gesegnete Wirksamkeit so vieler, wie aus dem Boden gewachsener Klöster, besonders deren Missionen und Exerzitien. Solche Wunder und Zeichen deuten auf kommende Heimsuchungen.“ (Baudri, Der Erzbischof von Köln Joh. v. Geissel) „Jeder, der meine Worte hört und tut, ist dem weisen Manne gleich, der sein Haus auf Felsen gebaut. Und es stürzte der Regen herab, und es kam die Flut, und die Winde wehten und stürmten ein auf jenes Haus, und es fiel nicht zusammen, weil es auf Felsen gegründet war.“ (Mt. 7, 24. 25) –
aus: Moritz Meschler SJ, Gesammelte Kleinere Schriften, 1. Heft: Zum Charakterbild Jesu, 1908, S. 25 – S. 29

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