Das Leben und Leiden und der Tod Jesu
Pilatus schickt den Heiland zu Herodes Antipas
Luk. 23,7. Und nachdem Pilatus erfahren, daß Jesus aus dem Gebiete des Herodes sei, sandte er ihn zu Herodes, der in jenen Tagen ebenfalls zu Jerusalem war. – 8. Als aber Herodes Jesum sah, freute er sich sehr; denn er hatte sich seit langer Zeit gewünscht, ihn zu sehen, weil er vieles von ihm gehört hatte und hoffte, ihn dringend ein Wunder wirken zu sehen. – 9. Er stellte auch viele Fragen an ihn; allein er antwortete ihm nichts. – 10. Die Hohenpriester aber und Schriftgelehrten standen da und verklagten ihn unaufhörlich. – 11. Da verachtete ihn Herodes mit seinen Kriegsleuten, ließ ihm zum Spott ein weißes Kleid anziehen und schickte ihn zu Pilatus zurück. – 12. An demselben Tage wurden Herodes und Pilatus Freunde; denn vorher waren sie Feinde aufeinander.
Der Gang zu Herodes
Der Palast des Herodes lag wahrscheinlich auf dem Hügel Bezetha, nördlich und zwar unweit von der Amtswohnung des römischen Statthalters. Der geringen Entfernung ungeachtet, war der Gang für den Heiland ein recht saurer und bitterer, und dieses aus zwei Gründen.
Erstens war dieser Gang eine große Verdemütigung von Seiten des Pilatus. Bloß aus Politik und Feigheit wies Pilatus den Handel Herodes zu. Nach dem Gesetz konnte er den Handel dem Herodes zuweisen, brauchte es aber nicht. Er erkannte nämlich wohl, daß er den Heiland gerechterweise nicht verurteilen könne, und auf der andern Seite wollte er die erbitterten Juden nicht reizen. Die rechtmäßige Obrigkeit also wollte für den göttlichen Heiland nicht einstehen und ließ ihn fallen. Zudem bot der vorliegende Fall Pilatus eine Gelegenheit, dem Herodes, mit dem er aus vielen Ursachen verfeindet war, namentlich weil er die Beschwerden der Juden gegen den Statthalter beim Kaiser unterstützt hatte, eine Aufmerksamkeit zu erweisen und sich mit ihm zu versöhnen. Herodes befand sich nämlich zufällig gerade in Jerusalem (ebd. 23, 7. u. 8). Es tut aber immer weh, der Spielball fremder Interessen und Leidenschaften zu sein. – ferner war es für den Heiland eine Verdemütigung von Seiten des Herodes. Der Heiland hatte ihn immer geflohen, hatte sich nicht schmeichelhaft gegen ihn ausgesprochen und war auch von ihm verfolgt worden (Luk. 13,31 u. 32; Mark. 8,15), und jetzt musste er zu Herodes, und sein Schicksal lag in dessen Hand.
Der Gang war zweitens bitter wegen der Misshandlungen. Für die Juden war diese Verweisung des Handels an Herodes sehr peinlich: erstens wegen der Verzögerung und des Zeitverlustes; zweitens wegen der Gefahr von Seiten der Anhänger Jesu und des Volkes; endlich wegen der Verdemütigung, so herum betteln zu müssen in der Stadt behufs endgültiger Verurteilung, und namentlich jetzt bei dem verhaßten Herodes. All diesen Ärger werden die Juden sicher dem Heiland voll eingetränkt haben durch Beschimpfungen und Misshandlungen aller Art.
Die Begegnung mit Herodes
Um sich von der Begegnung einen rechten Begriff zu machen, muss man zuerst die Lage der Umstände erwägen. Herodes war vorab ein bekannter Weichling und Wüstling, genugsam schon durch die öffentliche Meinung gerichtet und gebrandmarkt (Luk. 3,19; Matth. 11,8); ferner war er ein leichtsinniger, oberflächlicher, wunder- und spektakel-süchtiger Mensch (Luk. 23,8); endlich eitel und als gefallene Größe erpicht auf den Glanz seiner Person und seines Hauses. Durch die Verweisung des Handels an ihn hatten alle seine Leidenschaften eine köstliche Gelegenheit gewonnen, sich Genugtuung zu verschaffen. Vom römischen Statthalter war er öffentlich anerkannt und ausgezeichnet und in einem berühmten Rechtshandel zum Richter erwählt. Der Hohe Rat und die Priesterschaft erschienen vor ihm mit ihren Anklagen und Bitten gegen den Heiland (Luk. 23,10); der Heiland selbst, dessen er gern schon früher habhaft geworden wäre und von dem er so vieles gehört hatte, war nun in seiner Gewalt; also von allen Seiten Anerkennung und Ehre! Wenn nun der Heiland selbst ihn auch noch anerkannte und ehrte nach seiner Weise, konnte dann Herodes sich einen glorreicheren Tag seines Lebens denken? Deshalb freute sich Herodes, den Heiland zu empfangen und zu sehen (ebd. 23,8), und sicher entfaltete er bei dieser Gelegenheit seinen ganzen militärischen Hofstaat.
Wie fiel nun die Begegnung selbst aus? Wie benahm sich der Heiland? Gegenüber der Weichlichkeit des Herodes bot der Heiland nichts Einnehmendes und Achtung Einflößendes, im Gegenteil, bloß eine übel zugerichtete, entstellte und beschmutzte Gestalt. Der Neugierde und Wundersucht des Herodes bot er eben so wenig. Für alle hatte der Herr sonst Worte der Belehrung, freundliches Entgegenkommen, selbst Wunder, für Herodes und seine tausend Fragen keine Antwort, nicht ein Wort (ebd. 23,9); endlich für dessen Eitelkeit keine Anerkennung, keine Bitte, nicht einen Blick. Herodes war ihm gleichgültig. Der Herr straft Herodes, er stellt ihn bloß, richtet ihn vor dem ganzen Volk und seinem Hofstaat durch das beharrliche Schweigen und die auffällige Zurückhaltung.
Die Folge dieses Benehmens war bei Herodes einerseits die Erkenntnis und Überzeugung, daß es mit dem Reichs- und Königsgelüste des Heilandes nichts sei trotz aller Anschuldigungen der Priesterschaft; andererseits aber auch Zorn, Erbostheit und Wut über die Verachtung, die ihm vom Heiland zuteil geworden. Deshalb verspottet und verhöhnte er ihn mit dem ganzen Hof, entsprechend der Anklage wegen Königs- und Messiasgelüste, indem er ihm ein weißes Prachtgewand anziehen ließ, wie es Fürsten und Feldherren und Priester tragen, und schickte ihn endlich zu Pilatus zurück (ebd. 23,11). Do erreichte auch Herodes seinen Zweck: dem Pilatus schmeichelte er durch dieselbe Aufmerksamkeit, indem er den Heiland zu ihm zurück schickte; den Juden entsprach er wenigstens durch den Schimpf und die Verdemütigung, die er Jesus antat, und sich selbst erwies er den größten Dienst, indem er so des unangenehmen Handels ledig wurde. Der Fuchs! Pilatus und Herodes wurden auf diese Weise Freunde (ebd. 23,12).
Die Bedeutung des Geheimnisses
Die Bedeutung des Geheimnisses ist eine Verspottung und Verhöhnung des Königtums Jesu durch das irdische Königtum in Herodes. Auch das musste noch kommen. Sein Königtum über alle musste erkauft werden durch Verspottung dieses Königtums von allen Seiten. Herodes aber zeigte dadurch selbst, wie unwürdig er seines Königtums war.
Dagegen zeigt und offenbart der Heiland die ganze Majestät des wahren Königtums in jeder Hinsicht durch den Adel seines wahrhaft königlichen Geistes. Vor allem will er sich nicht wegwerfen und seine Weisheit und seine Macht zu Spektakelstücken verwenden. Herodes war zwar durch die Handlungsweise des Pilatus zuständiger Richter des Heilandes geworden, aber er stellte kein eigentliches richterliches Verhör mit Jesus an. Er spielte nur mit ihm und behandelte ihn als Wundermann. Dazu war der Heiland nicht in die Welt gekommen, um an den Höfen für Unterhaltung und Erheiterung zu sorgen. –
Ferner wollte der Heiland sterben durch die Hand der Heiden, und er wollte uns erlösen durch seinen Tod. Hätte er sich herbei gelassen, Herodes etwas zu Gefallen zu tun, hätte es wohl geschehen können, daß dieser ihn bei sich behalten und mit sich geführt, wie einst den Johannes Wir waren ihm aber lieber als die Freundschaft aller Könige. –
Endlich wollte der Heiland uns lehren und uns ein Beispiel geben, wie man sich zu benehmen hat im Verkehr mit der großen Welt. Wenn wir ihr nicht so begegnen wollen und können, wie der Heiland es damals aus guten Gründen tat, so dürfen wir wenigstens die menschliche, christliche und priesterliche Würde und Einfalt nicht verleugnen. Diese Lehre ist uns sehr notwendig, weil unser natürlicher Sinn und unsere Eitelkeit uns sehr leicht verleiten zu Schmeichelei, zu Unwahrheit und zu Kundgebungen unserer Weisheit und Größe, um der Welt zu gefallen und ihr einigermaßen ebenbürtig zu erscheinen. Und doch, was ist die Welt? Die Welt, die der Heiland nicht eines Blickes würdigt, die er wegwirft, dürfen wir sie achten und lieben? Die Welt, welche den Heiland behandelt wie einen Toren und mißhandelt, dürfen wir ihr anhangen? Hätten wir dann teil an Jesus? Gerade diese Begegnung Jesu und der Welt zeigt so recht, was die Welt ist. Sie lächelt und schmeichelt, solange man ihr lächelt und schmeichelt und damit man ihr schmeichle. Geschieht dieses nicht, dann gibt es keine giftigere und wütendere Furie. Sie sucht eben in allem nur sich selbst (Gal. 1,10; Jak. 4,4). –
aus: Moritz Meschler SJ, Das Leben unseres Herrn Jesu Christi des Sohnes Gottes in Betrachtungen Zweiter Band, 1912, S. 351 – S. 355