Erste Gerichtsverhandlung bei Pilatus

Das Leben und Leiden und der Tod am Kreuz, das kostbarste Blut Jesu am Kreuz vergossen; Jesus hängt, halb nackt und mit einer Dornenkrone "geschmückt", mit ausgebreiteten Armen am Kreuz, geschunden durch die Marter der Geißelung und der Wunden, und verspottet

Das Leben und Leiden und der Tod Jesu

Die erste Gerichtsverhandlung bei Pilatus

Luk. 23,2. Die Juden fingen aber an, Jesum zu verklagen, und sagten: „Diesen haben wir befunden als Aufwiegler unseres Volkes und als einen, der verbietet, dem Kaiser Zins zu geben, indem er sagt, er sei Christus, der König.“ – 3. Pilatus aber fragte ihn und sprach: „Bist du der König der Juden?“ Und er antwortete und sprach: „Du sagst es!“ – 4. Pilatus aber sprach zu den Hohenpriestern und dem Volk: „Ich finde keine Schuld an diesem Menschen.“ – 5. Sie aber bestanden darauf und sprachen: „Er wiegelt das Volk auf, indem er in ganz Judäa lehrt, von Galiläa angefangen bis hierher.“ – 6. Da nun Pilatus von Galiläa hörte, fragte er, ob der Mensch ein Galiläer wäre?

Mark. 15,2. Und Pilatus fragte Jesus: „Bist du der König der Juden?“ Er aber antwortete und sprach zu ihm: „Du sagst es!“ – 3. Und die Hohenpriester brachten viele Klagen gegen ihn vor. – 4. Pilatus aber fragte ihn abermals und sprach: „Antwortest du nichts? Sieh, welch große Dinge sie wider dich vorbringen!“ – 5. Jesus aber antwortete nichts mehr, so daß Pilatus sich verwunderte.

Matth. 27,11. Jesus aber stand vor dem Landpfleger, und der Landpfleger fragte ihn und sprach: „Bist du der König der Juden?“ Jesus sprach zu ihm: „Du sagst es!“ – 12. Und als er von den Hohenpriestern und Ältesten angeklagt wurde, antwortete er nichts. – 13. Da sprach Pilatus zu ihm. „Hörst du nicht, welch große Dinge sie wider dich bezeugen?“ – 14. Und er antwortete ihm auf kein Wort, so daß der Landpfleger sich sehr verwunderte.

siehe auch: Joh. 18,28 – 38

Beleuchtung der einzelnen Persönlichkeiten und ihres Benehmens

Die Juden

Da sind vor allem die Juden, die Ankläger. An ihnen sieht man so recht die Macht der Leidenschaft. Alle, die Hohenpriester und der Hohe Rat, erscheinen vor Pilatus, wahrscheinlich, um ihn zu beeinflussen, und sie erniedrigen sich zur gemeinen Anklägerrolle (Luk. 23,2; Mark. 15,3; Matth. 27,12), und zwar bei dem verhaßten römischen Statthalter, der sie recht schnöde behandelt, und dessen ungeachtet erklären sie kleinlaut, daß sie keine Recht über Leben und Tod hätten (Joh. 18,31). So viele Opfer bringen sie ihrem Haß gegen Jesus. – Die Anklage selbst ist sehr boshaft und verleumderisch und ganz und gar darauf eingerichtet, um den Statthalter mit hinein zu ziehen. In dem Hohen Rat hatten sie den Heiland verurteilt wegen Gotteslästerung (Matth. 26,65 u. 66; Luk. 22,70 u. 71). Hier aber lassen sie diese Klage fallen und schuldigen ihn wegen eines Staatsverbrechens auf Hochverrat an, er verführe und wiegle das Volk auf, verweigere die Steuer und mache sich zum Messias, d. h. nach ihrer lügenhaften Deutung, zum politischen Herrscher (Luk. 23,2 u.3). Sie machen aus dem kirchlich-religiösen Prozeß einen politischen Prozeß. Beim zweiten Anlauf lassen sie auch den Namen „Galiläer“ fallen, vielleicht in der Absicht, auch dadurch den Heiland von vornherein in ungünstiges Licht zu bringen, weil die Galiläer sehr unruhig waren und oft teilhatten an Bewegungen gegen die Römer. Es lag also in der Anklage Zweideutiges und geradezu Falsches durcheinander. Der Heiland hatte nie verboten, die Steuer zu bezahlen (Matth. 22,21). Aber es war alles auf den römischen Statthalter zugespitzt, der vor allem scharf auf die Einrichtung der Steuer zu sehen hatte und mit allen Mitteln die Majestät des römischen Namens aufrecht halten musste.

Pilatus

An zweiter Stelle kommt Pilatus. Er stellt das Muster eines römischen Beamten der damaligen Zeit. Es zeigt sich an ihm vor allem der vornehme, gebieterische römische Stolz und die Verachtung gegen die unterworfenen Völker, namentlich die Juden. Er behandelt sie sehr wegwerfend und läßt sie unverrichteter Dinge abziehen. „Bin ich denn ein Jude“, daß ich mich kümmern soll um die Anklagen der Juden? antwortet er selbst dem Heiland gereizt, als dieser ihn fragte, ob er aus sich oder auf die Aussage der Juden hin ihn um die Königswürde frage (Joh. 18,35). – Anderseits gewahrt man an ihm auch eine gewisse glatte Nachgiebigkeit, indem er die religiösen Gefühle und Gebräuche der Juden schont und zu ihnen heraus auf die Terrasse tritt und ihnen das Anerbieten macht, daß sie ihn selbst bestrafen sollten (ebd. 18,31). – Ebenso kann man an ihm nicht ein gewisses Rechtsgefühl und einen gesunden Sinn übersehen. Er durchschaut sogleich das Lügengewebe der Juden; läßt sich von den bloßen Worten der Anschuldigungen nicht einnehmen; er forscht, mit Umgehung der zwei ersten, offenbar unwahren Anklagen, bloß nach Tatsachen, durch welche der Heiland das weltliche Königtum angestrebt und ausgeübt haben soll (ebd. 18,35); da er nichts findet, erklärt er laut die Unschuld Jesu (Luk. 23,4) und bewundert die Ruhe und Charaktergröße des Heilandes, als er nicht ein Wort erwiderte auf all die Anschuldigungen der Juden (Mark. 15, 4 u. 5; Matth. 27, 13 u.14). – Endlich aber zeigt sich an Pilatus schon hier die Unentschiedenheit, die Leichtfertigkeit, die Unehrlichkeit und Politik. Er sieht, daß der Heiland unschuldig ist, aber er läßt ihn fallen und schiebt den Handel dem Herodes zu, sei es, daß er hoffte, Herodes werden den Heiland behalten, oder um Zeit zu gewinnen oder um Herodes eine Aufmerksamkeit zu erzeigen (Luk. 23,12). Auch gegen sich selbst ist Pilatus unehrlich, indem er es verschmäht, von dem Heiland belehrt zu werden über die Wege der Wahrheit (Joh. 18,38). In seiner welt- und staatsmännischen Leichtlebigkeit, Gewissenlosigkeit und Zweifelssucht hielt er das Forschen nach Wahrheit für ideale Schwärmerei. Der Heiland ist ihm nur ein harmloser, fanatischer Träumer.

Der Heiland

An dritter Stelle kommt der Heiland. Es sind wichtige Worte, mit denen der hl. Matthäus das Erscheinen des Heilandes vor Pilatus einführt: „Es stand also Jesus vor dem Landpfleger“ (Matth. 27,11). Es war das erste amtliche Begegnen, in dem der Heiland dem Träger der römischen Staatsgewalt gegenüber stand: der künftige Erbe der Welt dem Stellvertreter der wirklichen Großmacht der Erde; die Unschuld und Heiligkeit dem schmutzigen Heiden; Gott seinem Geschöpf gegenüber, und zwar arm, demütig, aller äußeren Macht entkleidet, ja verworfen und angeklagt von seinem Volk und dem Heiden überliefert, um von demselben verhört und gerichtet zu werden. –

Und wie benimmt sich der Heiland? Vor allem sehr unterwürfig und demütig. Er anerkennt die Gerichtsbarkeit des Pilatus unterwirft sich ihr. Er antwortet mit großer Ruhe, Klarheit und Bescheidenheit auf die Frage, wie es mit seinem Königtum sei. Ja, mit großer Überlegenheit des Geistes fragt er Pilatus gleich, ob er die Frage nach seinem Königtum aus eigener Überzeugung stelle oder bloß infolge der Anschuldigung von Seiten der Juden (Joh. 18,34). In diesem Sinn der Worte fragt er allerdings nach dem Klagepunkt, aber sicher in der Absicht, seinerseits den Pilatus gleichsam ins Verhör zu nehmen, ihm in das Gewissen zu reden und ihn, wenn er ihn nicht selbst für schuldig halte, vor den lügnerischen Anklagen der Juden zu warnen. Die Frage bekundet eine große Klarheit, Ruhe und Majestät. Und wie spricht er erst von seinem Königtum, von dessen Ursprung und Natur! Es ist wohl auf dieser Erde, aber nicht von ihr; es ist ein geistiges, übernatürliches Königtum; es ist das Reich der Wahrheit, es streitet nicht mit Eisen, sondern mit Kraft der Überzeugung und erobert die Herzen, die ihm angehören; er selbst, der Heiland, ist der Zeuge dieser Wahrheit und die Wahrheit selbst (ebd. 18, 36 u. 37). Das sind klare und majestätische Worte, und andererseits so bescheiden! Was hätte er sagen können von seinem Reich, und wie wenig sagt er! Zuletzt gibt er Pilatus noch eine ernste Mahnung in den Worten: „Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme“ (ebd. 18,37). –

Wenn der Heiland spricht, dann spricht er demütig, weise und Ehrfurcht gebietend. Er schweigt aber auch, und dieses Schweigen ist ebenso wie seine Reden, Weisheit, Demut, Kraft und Majestät. Der Heiland schweigt auf die wiederholten Anklagen der Juden und schweigt selbst auf die wiederholte Aufforderung des Pilatus, doch zu reden (Mark. 15,4; Matth. 27,13 u. 14). Er hätte sich wohl verteidigen und alle Anklagen siegreich gegen die Ankläger selbst wenden können, wenn er gewollt hätte. Aber er wollte nicht, trotzdem es sich um sein Leben und um seine Ehre handelte. Und warum nicht? Weil es unnötig war nach der Auskunft, die er Pilatus gegeben; die Juden selbst wußten wohl, wie es um die Anklagen stand. Er wollte übrigens mit den Juden nichts mehr zu tun haben, sein Handel war an eine andere Gerichtsbarkeit übergegangen. Ferner wollte der Heiland uns warnen vor der Sucht, uns stets zu verteidigen; er wollte genugtun für die Sünden, welche bei dieser Sucht begangen werden, und wollte diejenigen trösten, die sich nicht verteidigen können. Es war also dieses Stillschweigen nicht ein Stillschweigen der Ohnmacht und Einfältigkeit, des Starrsinns und Stolzes, es lag in ihm die Majestät der Geduld, der Weisheit, der Demut, der Unerschrockenheit, des Edelsinnes und der Liebe zu Gott und zu uns.

Schlussfolgerungen

Mit der Überantwortung des Herrn an Pilatus ist das Leidensschauspiel in eine neue Entwicklungsstufe getreten, und diese Gerichtsszene ist gleichsam der erste Akte, indem die handelnden Personen und treibenden Kräfte sich darstellen, aussprechen und den Ausgang des Schauspiels und ihren Anteil an demselben voraus verkünden. Hier haben wir alle handelnden Personen des künftigen Verlaufs der Leidensgeschichte. Es sind die Juden mit der großen Macht und Erfindsamkeit der Leidenschaften, mit ihrem grimmigen und unbeugsamen Haß, ihrem Unglauben, ihrer Gewissenlosigkeit und Bosheit, die vor keinem Mittel zurückschrecken, das sie zum Ziele führen kann. – Ihnen gegenüber erscheint Pilatus im Besitz aller Machtmittel, mit offenem Verständnis für die Wahrheit und Gerechtigkeit, aber mit der Unzuverlässigkeit und Gewissenlosigkeit eines Staatsmannes, dem das höchste Gesetz nicht Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern der Nutzen des Augenblicks ist. Es ist unschwer zu raten, wer Sieger sein wird. – Zwischen ihnen steht der Heiland, das Lamm zwischen Fuchs und Wolf. Ihm bleibt nichts als die Majestät der Wahrheit und Heiligkeit, die Majestät der Demut und des freiwilligen Leidens, und es ist auch sicher, daß er damit beide Widersacher endlich besiegen wird. Die Wahrheit und die Gerechtigkeit währen ewig. Schon hier im Zustand der Machtlosigkeit und Demut ist der Heiland für Pilatus ein Gegenstand der Achtung, der Bewunderung und Verehrung. Es ist gewiß sehr bedeutungsvoll, daß der Heiland hier vom Judentum bei dem römischen Statthalter, dem Träger der damaligen Weltmacht, angeklagt wird wegen seines Königtums, daß der Heiland ihm rede steht über die Bedeutung desselben und daß der Statthalter selbst nichts Staatsgefährliches an ihm findet und seine Ungefährlichkeit und Schuldlosigkeit erklärt. Wäre der römische Staat nur bei diesem Urteil geblieben! Leider trat er später den Juden bei gegen den Unschuldigen. Und so wird das Lamm gegen das große Tier streiten (Offb. 17,14; Dan. 7,7; 13,14), es besiegen und dessen zeitliche Herrschaft in eine geistliche verwandeln. Der hl. Petrus und seine Nachfolger zu Rom sind die lebendigen Zeugen dieses Königtums vor dem römischen Statthalter und die Erklärung über dessen Wesen gehört wohl zur Hauptbedeutung des Geheimnisses. Es ist dieses das gute Zeugnis unserer Kirche, das der Heiland abgelegt hat vor Pontius Pilatus (1. Tim. 6,13). –
aus: Moritz Meschler SJ, Das Leben unseres Herrn Jesu Christi des Sohnes Gottes in Betrachtungen Zweiter Band, 1912, S. 344 – S. 351

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