Die innere Mission oder Volksmission der Kirche
Begriffsbestimmung
Im Kampf gegen den Irrglauben
Nach der eingangs gegebenen Begriffsbestimmung hat die innere Mission das in der Kirche selbst noch gebliebene oder im Laufe der Zeit wieder mächtig gewordene Un- und Widerchristentum besonders durch das Apostolat der Liebe zu überwinden. Damit ist zugleich das Ziel und das Gebiet der inneren Mission angedeutet. Die Geschichte der Kirche zeigt uns, daß Gott den Feinden seines Reiches, ob sie nun absichtlich oder unabsichtlich, vereinzelt oder vereint sich gegen dasselbe erhoben, stets große und hervorragende Männer entgegen gestellt hat, die vor Allem durch eine heroische, sich selbst hinopfernde Liebe zu Christus und den Seelen geweiht und geheiligt waren. Ohne daß die früheren Jahrhunderte hier berührt werden, läßt sich sagen, daß die auftauchenden großen Irrlehren immer die sie bekämpfenden Männer fanden; so vom Mittelalter an besonders am hl. Bernhard, am hl. Franz von Assisi, am hl. Dominikus, am hl. Vinzenz Ferrerius, an Johann von Capistran, an Berthold von Regensburg, am hl. Karl Borromäus, am hl. Franz von Sales usw. Die Gesellschaft Jesu war der letzte große Orden dieser Art. Der hl. Ignatius von Loyola kämpfte besonders gegen den eingetretenen Glaubensabfall und rettet Deutschland für die katholische Kirche. Später trat die innere Mission hauptsächlich in den Kampf gegen den Indifferentismus in Glaubenssachen und die Erschlaffung im christlichen Leben, wie dieser heute noch ihr Hauptziel bildet.
Hl. Vinzenz von Paul
Außer den Jesuiten war es besonders der hl. Vinzenz von Paul, welcher der inneren Mission die zuletzt genante bestimmte Richtung gab, indem er sie zur Volksmission ausgestaltete. Die erste Mission, die er seiner Zeit als Heilmittel bot, hielt er 1617 zu Folleville, und der Erfolg war außerordentlich. Darauf stiftete er zu diesem Zweck eine eigene Kongregation. Seiner Weisheit entging es auch nicht, daß die Mission nur einen vorübergehenden Erfolg haben werde, wenn der Kuratklerus das Werk nicht mit Eifer und Salbung fortsetze. Deshalb schlug er in Verbindung mit mehreren Bischöfen für den Klerus geistliche Übungen oder Exerzitien vor. Noch in sein 78. Jahre hielt er Missionen, und vor seinem 1660 erfolgten Tode hatten die Missionspriester in Frankreich, Italien, Polen und Irland schon über 1000 Missionen gehalten…
Hl. Alphons von Liguori
In Italien stiftete der hl. Alphons von Liguori, im Hinblick auf das verwahrloste Hirtenvolk, die Genossenschaft der Redemptoristen, um den Armen das Evangelium zu verkünden und dem verlassenen Volk durch Missionen, katechetische Belehrungen und geistliche Übungen zu Hilfe zu kommen. Auch anderen einsichtsvollen frommen Männern war es bei dem Erkalten der wahren christlichen Liebe in den Herzen so Vieler nicht entgangen, daß, je nach Bedürfnis des Ortes oder der zeit, die Abhaltung der Missionen oder, was gleichfalls zur inneren Mission gehört, der Unterricht der Kleinen, sowie die leibliche und geistige Pflege der Armen und Kranken, welche die Kirche zu keiner Zeit ganz aus dem Auge gelassen, noch weiter ausgedehnt werden sollte. Nach der einen und andern Seite hin verdienen Erwähnung: der Orden der Theatiner, der durch seine Prediger und Missionare zugleich eine Pflanzschule des höheren Klerus wurde. Mit ihm vereinigten sich später die Somasker, welche sich der Erziehung armer Waisenkinder widmeten. Die Kapuziner und Barnabiten wurden besonders für Missionen innerhalb der christlichen Länder verwendet.
Volksbildung, Volksheiligung, Krankenpflege
Die Haupttendenz der vom hl. Philipp Neri gestifteten Oratorianer war Volksbildung und Volksheiligung. Die beiden Zweige der Karmeliten haben sich durch aufopfernde Tätigkeit in Krankenpflege und Unterricht ausgezeichnet und nach ihrer Reform eine Ausdehnung über fast alle katholischen Länder erhalten. Die vom hl. Franz von Sales im verein mit der hl. Franziska von Chantal 1610 gestiftete Kongregation der Salesianerinnen stellte sich neben Krankenpflege auch die Erziehung der Kinder zur Aufgabe. Die nämliche Tendenz verfolgten die Ursulinen und die meisten damals entstandenen Frauen-Kongregationen, die in allen katholischen Ländern Aufnahme fanden. Die Piaristen wurden speziell für den Unterricht in den Schulen gegründet, ebenso die Väter der christlichen Lehre, welche nicht bloß Kinder, sondern Arme und Unwissende überhaupt unterrichten. Die Brüder der christlichen Liebe oder Barmherzigen Brüder verpflichten sich zur unentgeltlichen Krankenpflege. So hat die katholische Kirche in dem Gelübde der freiwilligen Armut und Selbstentäußerung vom Mittelalter an zahllose Genossenschaften für Armen- und Krankenpflege geschaffen, die der Unglaube heute noch bewundert, die er aber nicht begreifen kann. Selbst Voltaire, der meinte, „die von der römischen Kommunion getrennten Völker ahmten die christliche Nächstenliebe nur unvollkommen nach“, sah sich im Hinblick auf die freie persönliche Liebesarbeit der Ordens-Genossenschaften seiner Zeit zu dem Ausspruch gezwungen: „Vielleicht gibt es auf Erden nichts Größeres als das Opfer, das ein zartes Geschlecht mit seiner Schönheit, Jugend und oft erlauchten Geburt bringt, um in den Spitälern jenen Abschaum alles menschlichen Elendes zu lindern, dessen Anblick so demütigend ist für unseren Stolz und so empörend für unsere Weichlichkeit“ (Sur les moeurs III, 139)
Die Missionspriester
in den romanischen Ländern
Verfolgt man dieses besonders über Frankreich, Italien und Deutschland ausgedehnte innere Missionswesen bis zum Ende des vorigen und zum Anfang dieses Jahrhunderts, so findet man zwar eine kurze Unterbrechung durch die französische Revolution und die zwischen den christlichen Mächten entbrannten Kriege. Allein selbst während dieser Kriege noch veranstaltete Napoleon I. auf Kosten der Regierung Volksmissionen in den Bistümern Troyes, Poitiers, La Rochelle und Metz. Nach der Restauration im Jahre 1815 traten dann mehrere Priester, besonders die Abbés Legres-Duval, Rausan und Forbin-Janson, zu dem Zwecke zusammen, den durch die Revolution geistlich so verwahrlosten Provinzen Missionen zu halten und Männer für die innere Mission in Frankreich heran zu bilden, die sogenannten Missions-Priester. Infolge ihres Wirkens entstanden in vielen Bistümern besondere Gesellschaften für den nämlichen Zweck. Die Geistlichkeit setzte ihre Missions-Tätigkeit auch während der anfänglich ihr feindseligen Regierung der Juli-Revolution zum Segen des Reiches und der Grenzländer fort. Die Missionen im Elsaß insbesondere haben ein großes Verdienst um die Erhaltung und Erneuerung des katholischen Glaubens und Lebens. In den anderen romanischen Staaten hatten sich die Missionen gleichfalls forterhalten, aber meistens nur für das niedere Volk; die höheren Stände beherrschte, wie überall, völlige Gleichgültigkeit. In Rom selbst entstand sogar durch Kaspar Buffalo eine neue Kongregation, die vom kostbaren Blute, welche sich von Anfang an ganz der Volksmission widmete. Auch in den dem kirchlich freien Belgien blühten die Volksmissionen mächtig auf; ebenso wurden sie in der Schweiz vor dem Sonderbunds-Kriege eifrig abgehalten.
in Deutschland
In Deutschland wirkten neben den Franziskanern, Kapuzinern, Dominikanern vor allem die Jesuiten. Auf die Regierung der Kaiserin Maria Theresia, die in Österreich die innere Mission begünstigte, folgte die ungünstige Aufklärungs-Periode Josephs II. Die Regierungsart unter dem Deutschen Bund verschärfte den Druck der geistlichen Polizei auf Kirche und kirchliches Leben, und wenn auch die Fürsten Österreichs und Bayerns die Redemptoristen beriefen, so konnten diese doch nur unter beständiger Anfeindung von Seiten der Beamten und Lichtfreunde wirken. Erst nach der Revolution des Jahres 1848 durften, ganz ungehindert von dieser Seite, Redemptoristen, Jesuiten, Kapuziner und Franziskaner die durch die Stürme der Revolution der Kirche entfremdeten Volksmassen wieder zu gewinnen suchen. Großartige Missionen wurden veranstaltet von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf, wie in Böhmen und Tirol, so am Rhein, in Westfalen, Bayern, Baden und Württemberg. Nach Vertreibung der Jesuiten und der angeblich mit ihnen verwandten Redemptoristen hörte die Abhaltung der Missionen durch diese zwar auf, ja sie wurde eine Zeitlang sogar ganz verboten, wie es in Baden heute noch der Fall ist; dagegen wurde anderwärts neuestens den Kapuzinern, Franziskanern und Benediktinern die Abhaltung von Missionen wieder gestattet, und selbst Weltpriester traten, wie vielfach z.B. in Württemberg, als Missions-Prediger und Exerzitien-Meister auf.
Zweck und Ziel der Volksmission
Bußpredigten und Bußübungen
Ihrem Wesen nach besteht die Volksmission in einem Zyklus von Bußpredigten und Bußübungen, die in einer fortlaufenden Reihe von Tagen von einigen durch den Ordinarius loci bevollmächtigten Priestern (Missionaren) zur Belehrung und Bekehrung der Sünder, zur Wiedererweckung des christlichen Glaubens-Lebens gehalten werden (Missions-Predigten). Ein solcher Zyklus von Betrachtungen, geistlichen Übungen und Vorträgen hat die Erweckung des Bußgeistes zum gemeinsamen Ziel, so daß der Sünder zerknirscht, aber nicht vernichtet, sondern nach der Zerknirschung wieder empor gehoben wird. Es vereinigen sich alle Stimmen der Ewigkeit und des Gewissens, daß auch der vieljährige Verächter des Bußsakramentes nicht widerstehen kann, sich selbst erkennen, sein vergehen bereuen und sein ganzes sündhaftes Leben einem vielleicht vorher nie gesehenen Beichtvater ohne Rückhalt und Scham in einer Generalbeichte bekennen muss, um hinwiederum von diesem heilende und sühnende Belehrung und Mittel zu einem neuen, genugtuenden Leben entgegen zu nehmen. Den Schluß der Mission bildet die Erneuerung des Taufgelübdes, die Übergabe der Gemeinde an die heilige Jungfrau, die Abbitte und Danksagung vor dem allerheiligsten Sakrament, die Errichtung eines Kreuzes oder der Stationen, die feierliche Erteilung des Missions-Ablasses und die Seelenfeier für die in die Ewigkeit eingegangenen Eltern, Gatten, Kinder, Geschwister und Freunde.
Urteil von Protestanten
Dieser kurze Ablauf einer Volksmission mit all ihren Wahrheiten und Tatsachen macht sie zu einer Quelle des Segens für die Menschheit, so daß selbst der protestantische Geschichtsschreiber Menzel über die Wirkungen der nach der Revolution des Jahres 1848 abgehaltenen Missionen sich zu dem Ausspruch gezwungen sah: „Die katholischen Missionen hatten teils als Bilder des zurückgekehrten Seelenfriedens einen hohen, unvergleichlichen Reiz, teils offenbart sich in ihnen so viel Kraft des Religiösen und Sittlichen mitten in der Korruption der Zeit, daß kein Anwesender, selbst der mit Vorurteil dazu getreten, sich eines heiligen Schauers zu erwehren vermocht hat. Auch Zuhörer des evangelischen Bekenntnisses waren tief ergriffen und bekannten, daß hier nichts, was ihnen fremd und feindlich sein konnte, vorgekommen, sondern ein wahrhaft evangelischer Geist in apostolischer Einfachheit und Kraft sich offenbart hatte.“ „Man sieht“ fährt Menzel fort, „wie die alte Mutterkirche im Vorteil ist, da sie solche Meetings halten kann ohne die mindeste Besorgnis vor einer Ausschweifung oder Lächerlichkeit. Vor dem tiefen Ernst ihres Sakramentes der Buße weicht jeder Spott und jedes Verbrechen.“
Notwendigkeit einer dauerhaften Bekehrung
Soll jedoch das durch falschen Unterricht und sittliche Verwilderung wieder erwachsene Heidentum, das sich äußerlich als Christentum gebärdet, mit der Wurzel ausgerottet werden, so genügt die Volksmission keineswegs allein; sie ebnet nur die Wege, gibt nur den Geist der Umkehr und Bekehrung. Soll die Bekehrung von Unglauben und Sünde zum christlichen Glauben und Leben, die Besserung träger, genußsüchtiger Armen zum Fleiß und zur Sparsamkeit, wie egoistischer Reichen zur christlichen Barmherzigkeit eine dauerhafte werden, so müssen die Kirche und deren Organe im Verein mit allen Gutgesinnten das Begonnen weiter bauen. Auch hier öffnet sich für die innere Mission ein großes, weit ausgedehntes Feld der Tätigkeit…
Wiederbelebung des Christentums
… Sie sind besonders berufen, bei der Zersetzung des Familienlebens, bei dem zunehmenden feindlichen Gegensatz zwischen Armen und Reichen, Arbeitern und Arbeitgebern, bei der Verachtung aller Autorität des Gesetzes, an der christlichen Wiedergeburt der Gesellschaft mitzuwirken. Dies kann aber nur vom Boden der Kirche aus geschehen (vgl. besonders das Rundschreiben Papst Leo`s XIII. über die Arbeiterfrage vom 17. Mai 1891; dann auch Buß, Die Volksmissionen 1851). Der Staat kann hierin nicht ausreichend helfen, da physische und materielle Mittel allein sich als ungenügend erweisen. Nur die Kirche und die von ihr ausgehende Liebestätigkeit ihrer Glieder kann hier helfen und heilen durch Wiederbelebung des Christentums in den Herzen der Reichen wie der Armen, der Vorgesetzten wie der Untergebenen, indem sie besonders dem Reichen Barmherzigkeit und helfendes Mitleid für seinen armen Nebenmenschen einflößt und dem Armen in seiner Armut nicht eine Erniedrigung, sondern einen ehrbaren, durch Christi Beispiel und Leben geheiligten Stand zeigt, ihn zum Fleiß, zur Sparsamkeit und Genügsamkeit anhält und mit ihm ihr Brot teilt, wie sie es immer getan, so lange man ihn dasselbe nicht genommen. Was das katholische Apostolat der Liebe auch heute noch vermag, zeigt Don Bosco, der Stifter des Oratoriums des hl. Franz von Sales. –
aus: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 8, 1893, Sp. 1636 – Sp. 1641