Darstellung Christi im Tempel Jerusalems

Der heilige Simoen hält das Jesuskind im Arm, die rechte Hand etwas erhoben; links stehen die Gottesmutter Maria und hinter ihr der heilige Joseph; rechts im Bild ist die heilige Anna mit einem Gehstock zu sehen

Die Darstellung Christi im Tempel Jerusalems

Im Rat der göttlichen Vorsehung war beschlossen worden, daß der Sohn Gottes nur stufenweise seinem Volk offenbart werden sollte. Nachdem er dreißig Jahre in Verborgenheit zu Nazareth gelebt, wo er nach dem Evangelisten als der Sohn Josephs galt, sollte ein großer Prophet ihn geheimnisvoll den Juden verkünden, welche an den Jordan geeilt, um dort die Taufe der Buße zu empfangen. Bald darauf legten seine eigenen Werke, die auffälligen Wunder, die er wirkte, Zeugnis von ihm ab. Nach der Schmach seines Leidens stand er glorreich aus dem Grabe auf und bestätigte so die Wahrheit seiner Prophezeiungen, seinen Opfertod und seine göttliche Natur. Bis zu diesem Augenblick wußten nur sehr wenige Menschen, daß die Erde ihren Heiland und Gott besaß. Die Hirten von Bethlehem hatten nicht, wie später die Fischer am Genesareth, den Auftrag bekommen, das Wort bis zu den Enden der Welt zu tragen; die Weisen, welche plötzlich mitten in Jerusalem erschienen, waren in das Morgenland zurück gekehrt, ohne die Stadt wieder zu sehen, welche durch ihre plötzliche Ankunft einen Augenblick in Aufregung versetzt wurde. Die Wunder, die, nachdem Alles erfüllt, in den Augen der Kirche eine unendliche Tragweite haben, hatten nur im Herzen einiger wahren Israeliten, welche das Heil von einem demütigen und armen Messias erwarteten, gläubigen Widerhall gefunden; selbst die Geburt Jesu in Bethlehem konnte bei den meisten Juden keine Beachtung finden, weil die Propheten vorher verkündet, daß er „Nazarener“ genannt werden würde.

Der Wille Gottes war Maria heilig

Derselbe göttliche Plan, wonach Maria das Weib Josephs werden musste, um ihre fruchtbare Jungfräulichkeit vor den Augen des Volkes zu schützen, forderte daher auch, daß diese reinste Mutter in den Tempel käme; gleich den anderen Frauen Israels sollte sie das Reinigungsopfer für die Geburt des Sohnes darbringen, den sie von dem Heiligen Geist empfangen, der aber im Tempel als der Sohn Marias, des Weibes Josephs, dargestellt werden musste. So wollte die höchste Weisheit zeigen, daß ihre Gedanken nicht unsere Gedanken sind. Sie wollte unsere schwachen Voraussetzungen zunichte machen, bis der Tag käme, wo sie die Schleier zerreißt und sich offen dem geblendeten Auge zeigt.

Der Wille Gottes war Maria in diesem Fall wie in allen anderen heilig. Die Jungfrau dachte nicht daran, daß es gegen die Ehre ihres Sohnes oder gegen das glorreiche Verdienst ihrer eigenen Jungfräulichkeit verstoße, wenn sie eine äußerliche Reinigung suchte, deren sie innerlich nicht bedurfte. Wie im Hause von Nazareth, als der Engel sie heimsuchte, war sie auch im Tempel die Magd des Herrn, sie gehorchte dem Gesetz, weil der äußere Anschein dafür sprach, daß sie demselben unterworfen sei. Ihr Gott und ihr Sohn unterwarf sich dem Loskauf, wie der letzte der Menschen; er hatte dem Befehl des Augustus bei der allgemeinen Zählung gehorcht: er musste gehorsam sein bis zum Tode, zum Tode am Kreuz, Mutter und Kind demütigten sich zusammen, und der menschliche Hochmut empfing an diesem Tage eine der eindringlichsten Lehren, die ihm je zuteil geworden.

Es war eine bewunderungswerte Reise, welche damals Maria und Joseph von Bethlehem nach Jerusalem machten! Das göttliche Kind liegt im Arm seiner Mutter; es ruht während der ganzen Dauer dieses glücklichen Wegs an ihrem Herzen. Der Himmel, die Erde, die ganze Natur werden durch die süße Gegenwart ihres barmherzigen Schöpfers geheiligt. Die Menschen, an welchen die ihre süße Frucht tragende Mutter vorüber zieht, betrachten sie die Einen gleichgültig, die Anderen mit Teilnahme, aber Keiner von ihnen ahnt das Geheimnis, das sie Alle erlösen soll.

Joseph ist der Träger der bescheidenen Opfergabe, welche die Mutter dem Priester darbringen muss. Ihre Armut gestattet ihnen nicht, ein Lamm zu kaufen; und ist nicht auch das himmlische Kind, welches Maria in ihren Armen hält, das Lamm Gottes, welches die Sünden der Welt hinweg nimmt? Das Gesetz hat die Taube oder Turteltaube bezeichnet, um das eigentliche Opfer zu ersetzen, das eine arme Mutter nicht im Stande wäre, aufzubringen: harmlose Vögel, deren erster das Bild der Einfalt und Unschuld, deren zweiter das Bild der Züchtigkeit und Treue darstellt. Joseph trägt auch die fünf Seckel des Loskauf-Preises für den Erstgeborenen; denn dieser einzige Sohn von Maria ist der wahre eigentliche Erstgeborene, der sich gewürdigt hat, uns zu seinen Brüdern zu machen und uns durch Annahme unserer Natur an seiner göttlichen teilnehmen zu lassen.

Jerusalem – Erscheinung des Friedens

Endlich hält diese heilige und erhabene Familie ihren Einzug in Jerusalem. Der Name dieser heiligen Stadt bedeutet Erscheinung des Friedens und in der Tat erscheint der Heiland in derselben, um ihr den Frieden zu bieten. Bemerken wir die auffallende Steigerung in den Namen der drei Städte, an welche sich das sterbliche Leben des Erlösers knüpft. Empfangen ist er in Nazareth. Nazareth bedeutet Blume; und er ist, wie schon im Hohen Lied gesagt wird, die Blume der Felder, die Lilie der Täler, und sein himmlischer Wohlgeruch erfreut unsere Herzen. Geboren wird er in Bethlehem, dem Haus des Brotes; denn er soll ja die Nahrung für unsere Seelen sein. Endlich wird er am Kreuz in Jerusalem geopfert und durch sein Blut stellt er den Frieden wieder her zwischen Himmel und Erde, den Frieden zwischen den Menschen, den Frieden in unseren Seelen. An diesem Tage – wir werden das bald sehen – zahlt er die Arrha dieses Friedens.

Während Maria mit ihrer göttlichen Last als lebendige Arche die Stufen zum Tempel hinauf steigt, seien wir recht aufmerksam; denn eine der berühmtesten Prophezeiungen erfüllt sich, eines der Hauptkennzeichen des Messias offenbart sich. Von einer Jungfrau empfangen, in Bethlehem geboren, gerade wie es vorher gesagt, erwirbt Jesus beim Überschreiten der Tempelschwelle ein neues Recht auf unsere Anbetung.

Dies Bauwerk ist nicht mehr der berühmte Tempel Salomons, welcher in den Tagen der Gefangenschaft Judas eine Beute der Flammen wurde. Es ist der zweite Tempel, der nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft gebaut wurde und an Glanz der Großartigkeit des ersten bedeutend nachstand. Vor dem Ende des Jahrhunderts soll auch dieser Tempel zerstört werden; das Wort des Herrn bürgt dafür, daß von demselben kein Stein auf dem anderen bleibe. Nun hatte der Prophet Aggäus über diesen Tempel eine merkwürdige Prophezeiung gegeben. Als die Juden aus der Gefangenschaft zurück gekehrt waren, klagten sie, daß sie nicht im Stande seien, dem Herrn ein Haus zu bauen, das an Pracht mit dem Tempel Salomons wetteifern könnte, und da sagte ihnen der Prophet zu ihrem Trost folgende Worte, welche zugleich dazu dienen sollten, die Zeit der Ankunft des Messias näher zu bestimmen: „Fasse Mut, Jesus, Sohn Josedecs, Hoherpriester, und fasse Mut alles Volk des Landes; denn so spricht der Herr: Noch eine kleine Weile ist`s, so erschüttere ich den Himmel und die Erde, und ich erschüttere alle Völker, und es wird kommen der von allen Völkern Ersehnte; und ich erfülle dieses Haus mit Herrlichkeit; größer soll die Herrlichkeit dieses letzten Hauses, als des ersten sein und an diesem Ort will ich den Frieden geben, spricht der Herr der Heerscharen.“

Die Erfüllung der Prophezeiung ist gekommen

Die Stunde der Erfüllung dieser Prophezeiung ist gekommen. Der Emmanuel hat sich aus seiner Ruhe in Bethlehem aufgemacht, er ist an den helllichten Tag getreten und hat von seinem irdischen Haus Besitz ergriffen. Durch seine bloße Gegenwart im Schatten der Mauern dieses zweiten Tempels erhebt er mit einem Schlage dessen Herrlichkeit hoch über alle Pracht, womit Salomon den Seinigen umgeben hatte. Er soll noch mehrere Male im Tempel verweilen, aber dieser Einzug, den er heute auf den Armen seiner Mutter hält, genügt vollständig, um die Prophezeiung zu erfüllen; von diesem Augenblick beginnt alles Schattenhafte und bloß Bildliche im Tempel vor den Strahlen der Sonne der Wahrheit und Gerechtigkeit zu weichen… –
aus:Dom Prosper Guéranger, Die heilige Weihnachtszeit, Bd. 3, 1892, S. 502 – S. 507

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