Die heilige Fastenzeit

Die heilige Fastenzeit: Aschermittwoch ist der Beginn der Fastenzeit: Aschekreuz und Kruzifix

Die heilige Fastenzeit ist eine Gnadenzeit

Am heiligen Karfreitag, wenn der Priester Gottes am schmucklosen Altartisch steht in schwarzem Messgewand vor dem verhüllten Christusbild, wenn die Orgel schweigt, keine Kerze brennt, das Gotteshaus tiefe Trauer umfängt und die Gemeinde ernst und ergriffen, überall von Liebe und Dank gegen den Heiland, dem jedes seine Rettung schuldet, versammelt ist: da richtet der Priester laut und hochfeierlich neun Bitten zu Gott im Himmel für die ganze Christenheit.

Angefangen von ihrem Oberhaupt bis herab zu den Katechumenen und den ärmsten leidenden und gefährdeten Christen, für die Irrgläubigen, die Juden und die Heiden, auf dass alle doch den Heiland Jesus Christus erkennen und sich zu ihm bekehren möchten.

Dabei ruft der Priester achtmal in feierlich ernstem Tonfall den Gläubigen zu: Oremus, flectamus, genua! „Lasset uns beten; beugen wir die Knie!“ Und achtmal beugt die Gemeinde, groß und klein, in Demut das Knie zur Erde, ehe sie zusammen mit dem Priester es wagt, das Gebet an Gott zu richten. Das Bewusstsein von der Wahrheit: „Heiliger Gott, heiliger starker Gott, heiliger unsterblicher Gott!“ – dieses Bewusstsein erfüllt alle bis in die Tiefen der Seele und macht jeden klein und gering und zu einem nichts vor dem unendlichen, dem furchtbaren, dem heilige dreieinigen Gott Himmels und der Erde, in dessen Hände zu fallen für den unbußfertigen Sünder fürchterlich ist.

Dieser starke, mahnende Ruf: „Lasset uns beten; beugen wir die Knie!“ erklingt schon vom ersten Tag an durch die ganze heilige Fastenzeit an unser Herz. Es ist eine Zeit der Gnaden, diese vierzig Tage von Aschermittwoch bis Ostern, ein süßer Frühling für die Seelen.

Gleich dem blauen Himmel umfängt Gottes Liebe in diesen Tagen die Christenheit; gleich der warmen, die Natur zu Leben weckenden Sonne scheint Gottes Gnade herab in die Seelen; gleich tausend und aber tausend schimmernden und duftenden Blüten und grünen Blättern erwachen im Herzen gute, fromme Anmutungen, Gedanken und Vorsätze; das ganze Innere der Seele spürt den Hauch des gewaltigen Frühlings, das Wehen des Geistes, der das Angesicht der Erde erneuert und den Menschen wieder läutert, stärkt, erhebt zum sündenreinen, frommen, eifervollen Kind und Bekenner Gottes; gleich warmer Luft, welche wohltuend alles durchdringt und erfüllt, und gleich lauem Frühlingsregen waltet Gottes Barmherzigkeit, Gottes Langmut und Geduld über der Menschheit in dieser Zeit, der großen Jahreszeit der Gnade.

Aber diese wonnige Zeit gilt es zu benutzen, gilt es ganz und richtig auszunutzen. Der Bauer, welcher im Frühling nichts täte als im warmen Sonnenschein spazieren gehen, Sträuße binden, die schönen Tage loben und die wärmsten Stellen an Rain und Hügel aussuchen zum Sitzen und Liegen: das wäre ein schlechter und pflichtvergessener Mann, und seine unbestellten Felder, der Ausfall der Ernte und Hunger und Armut würden ihm bald genug sagen, wie gewissenlos und töricht er gehandelt hätte. Aber so handelt überhaupt kein Bauer auf der ganzen Welt: Jeder weiß, der Frühling ist die Zeit der Aussaat und des Anbaus.

Genau dasselbe ist für die Seele die Fastenzeit mit ihren tausend Gnaden-Reizen und Gnaden-Schönheiten. Wer diese Gnaden nicht benutzt, nicht erfasst und festhält, wer da nicht arbeitet mit den Gnaden, die ihm von allen Seiten zuströmen, der ist noch viel trauriger daran als der Bauer, der im Lenz sein Feld nicht bestellte. Für den ist der große Gnaden-Frühling der vierzig Tage nicht bloß verloren, er ist für ihn eine schwere Schuld und Verantwortung, weil er ihn nicht benutzte. Deshalb mahnt auch die Kirche immerzu: „Siehe, die Zeit der Gnade, die angenehme Zeit; … verhärtet eure Herzen nicht!“ (siehe auch den Beitrag: Das Bemühen in der Gnade zu wachsen)

Es ist aber eine zweifache Geistesarbeit, zu der uns die große Gnadenzeit der heiligen Fasten auffordert. Oremus, flectamus, genua! ruft uns das Gewissen zu. Beten – und uns beugen vor Gott, vor Gottes Geboten: das müssen wir wieder neu lernen und fest uns einprägen in diesen Tagen. Erkennen und bekennen muss der Christ Gott als seinen Herrn, offen und rückhaltlos, im vollen und bewussten Gegensatz zu jenen Wahnsinnigen und Verblendeten, welche in Unglauben und Unbotmäßigkeit dem Herrn Himmels und der Erde frech und verächtlich ins Gesicht sehen, wenn er an ihnen vorübergeht, und mit höhnischem Trotz, die Hände in den Taschen, die Köpfe bedeckt, dastehen und ihm ins heilige Angesicht grinsen.

Bekennen muss der Christ in diesen Tagen mit Freuden seinen Glauben und seinen Gehorsam gegen Gott und seine heiligen Gebote und muss sich hierin neu bestärken zu felsenfester Treue mit Leib und Seele, Gut und Blut für seinen Heiland in allen Lagen, zu jeder Zeit, bei jeder Gelegenheit, ohne jede falsche Rücksicht. Und beten muss der Christ in diesen Tagen wieder erst recht lernen, sich darein vertiefen und darin üben.

Denn das Beten allein hält den Christen auf dem Weg. Wer nicht beten kann und nicht beten mag, der braucht gar nicht anzufangen mit guten Vorsätzen und dem Schein der Umkehr, der geht so sicher unter in Sünden und im Gericht, als der untergeht und ertrinkt, welcher an Händen und Füßen gebunden schwimmen soll. Wie du betest, so lebst du vor Gott und in Wahrheit: das ist ein Fundamentalsatz des Christentums. –
aus: Konrad Kümmel, An Gottes Hand, Drittes Bändchen: Fastenbilder, 1906, S. 1 – S. 3

siehe auch den Beitrag: Gründe für Fasten und Abtötung

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