Die Täuschungen des Sünders

Die Täuschungen des Sünders: Die Verdammten werden in die Hölle gestürzt (Ausschnitt des Jüngsten Gerichts)

Predigt des heiligen Alphons Maria von Liguori

Vierzehnte Predigt für den Sonntag Quinquagesima.

Die Täuschungen des Sünders in ihrer Blindheit

Herr! dass ich sehend werde. Luk. 18, 41

1. Nicht mit offenen, sondern mit verschlossenen Augen stürzt der Teufel die Sünder in den Abgrund; zuerst verblendet er sie, dann erst führt er sie mit sich, damit sie mit ihm in Ewigkeit sündigen. Wir müssen also, wenn wir selig werden wollen, unaufhörlich mit dem Blinden im heutigen Evangelium Gott bitten: Herr, dass ich sehend werde! Erleuchte Du mich, o Herr! damit ich erkenne, welchen Weg ich einschlagen muss, um selig zu werden, um den Nachstellungen des bösen Feindes zu entgehen.

Heute, meine geliebten Christen, will ich euch zeigen, auf welche Weise der Teufel die Menschen täuscht, um sie zur Sünde zu verleiten, um sie zu bewegen, in der Sünde zu verharren, damit ihr in der gefährlichen Gelegenheit euch davor zu hüten wisset.

Die erste Täuschung Satans: Warum solltest du auch verdammt werden?

2. Um diese Täuschungen besser zu erkennen, müsst ihr euch jetzt einen Jüngling vorstellen, der, von einer Leidenschaft hingerissen, als ein Sklave des Teufels dahinlebt und gar nicht einmal auf sein ewiges Heil denkt.

Aber, mein Sohn! was für ein Leben führst du denn? wie, meinst du etwa, du könnest selig werden, wenn du so fortlebst? Siehst du denn nicht, daß du geraden Weges der Hölle zueilst? Aber siehe, andererseits flüstert ihm der Teufel ein:

Warum solltest du auch nur verdammt werden? Befriedige jetzt deine Begierden, später kannst du ja alles beichten, und dadurch dem Übel wieder abhelfen. Seht, meine Christen, das ist das Netz, womit der Teufel so viele Seelen in die Hölle zieht. Befriedige deine Begierden, denn später kannst du ja alles beichten. Aber, mein Christ, antworte ich hierauf, siehst du denn nicht, dass du schon jetzt dich ins Verderben gestürzt hast? Wenn du einen Edelstein in Händen hättest, der tausend Dukaten wert wäre, würdest du ihn wohl in einen Fluss werfen, in der Hoffnung, ihn schon einmal wieder zu finden!

Diesen Edelstein, mein Christ, hast du wirklich in Händen, es ist dies deine Seele, welche Jesus Christus durch Sein kostbares Blut erkauft hat – ihn willst du in den höllischen Abgrund hinunterwerfen, (denn nach der gegenwärtigen Gerechtigkeit werden wir bei jeder Todsünde in die Zahl der Verdammten eingetragen) und du willst dies in der eitlen Hoffnung tun, denselben durch eine gute Beichte schon einmal wieder zu erlangen. Um eine gute Beichte abzulegen, muss man einen wahren Schmerz über seine Sünden haben, aber dieser Schmerz ist eine Gabe Gottes, und wenn Gott ihn dir nicht verleiht, so bist du auf ewig verloren.

Die zweite böse List: Gott hat Nachsicht mit den Jungen

3. Aber antwortest du vielleicht: Ich bin noch jung, Gott hat Nachsicht mit der Jugend; später werde ich mich schon einmal Gott schenken. Das ist eine andere List des bösen Feindes. –

Du sagst, du seiest noch jung, weißt du denn aber nicht, dass Gott nicht die Jahre, sondern vielmehr die Zahl der Sünden eines jeden zählt! Du bist noch jung, aber wie viele Sünden hast du schon begangen! Vielleicht gibt es viele alte Leute, die nicht den vierten Teil der Sünden begangen haben, und du weißt nicht, ob Gott nicht etwa das Maß der Sünden, die Er dir verzeihen will, schon festgesetzt habe: Der Herr wartet langmütig zu, um sie für alle ihre Sünden dann zu bestrafen, wenn der Tag des Gerichts gekommen ist. (2. Makk. 6, 14)

Gott hat Geduld mit uns, und wartet bis auf ein gewisses Maß, wenn aber die Zahl von Sünden, die Er beschlossen hat, zu verzeihen, voll ist, dann vergibt Er nicht mehr, dann straft Er den Sünder, indem Er ihn unversehens in seinem unglücklichen Zustand sterben lässt, oder Er überlässt ihn ganz seinen Sünden, und erfüllt an ihm die furchtbare, vom Propheten angedrohte Strafe: Wegnehmen will ich den Zaun des Weinberges, dass er geplündert werde. (Is. 5, 5) Was tut wohl derjenige, der ein Feld besitzt, das er mehrere Jahre angebaut, das er mit einem Zaun umgeben, und auf das er viele Kosten verwendet hat, wenn er sieht, daß des ungeachtet dies Erdreich keine Frucht bringt. –

Alsdann reißt er den Zaun ein, überlässt das undankbare Land sich selbst, so dass es jedermann, Menschen und Tieren offen steht. Zittere, mein Christ, dass Gott es nicht auch mit dir ebenso mache. Wenn du die Sünde nicht verlässt, so wirst du immer mehr die Furcht vor den göttlichen Strafgerichten verlieren, und ach, wenn der Zaun einmal hinweggerissen ist, so wirst du von Gott verlassen bleiben, eine Strafe, die weit furchtbarer ist, als der Tod selbst.

Die dritte Täuschung: Jetzt kann ich der Leidenschaft nicht widerstehen

4. Aber wendest du vielleicht ein, jetzt kann ich dieser Leidenschaft nicht widerstehen. Siehe, das ist die dritte Täuschung vom bösen Feind, wodurch er dir einreden will, du habest nicht genug Kraft, um die Versuchung zu überwinden. Aber, was sagt der heilige Paulus: Gott ist getreu, Er wird uns nicht über unsere Kräfte versuchen lassen. (1. Kor. 10, 13) Aber, frage ich dich, wenn du dir heute nicht genug Kraft zutrauest, der Versuchung zu widerstehen, wie kannst du es dann später hoffen; ach, alsdann wird der Teufel weit mächtiger gegen dich geworden, du selbst wirst aber weit schwächer sein. –

Wenn du dir jetzt nicht zutrauest, die Flamme dieser Leidenschaft auslöschen zu können, wie kannst du da hoffen, dieselbe später zu dämpfen, wenn das Feuer schon weiter um sich gegriffen hat.

Aber Gott wird dir schon helfen, erwiderst du hierauf; ja, Er ist freilich auch alsdann bereit, dir beizustehen, wenn du Ihn darum bittest. Warum bittest du Ihn denn aber jetzt nicht? Meinst du etwa, dass der Herr, ohne dass du dringend darum flehst und bittest, Seine Hilfe und Seine Gnade vermehren werde, nachdem du die Zahl deiner Sünden so sehr vermehrt hast.

Zweifelst du vielleicht an der Treue Gottes, der verheißen hat, dass Er dem, der bittet, alles gewähren wolle, indem Er sagt: Bittet, und es wird euch gegeben werden. (Matth. 7, 7) Gott ist nicht wie ein Mensch, dass er lüge, nicht wie eines Menschen Sohn, dass Er Sich ändere. Er hat es gesagt, und sollte es nicht tun. (Num. 23, 19)

Nimm also zu Ihm deine Zuflucht, und Er wird dir die Kraft verleihen, die du bedarfst, um der Sünde zu widerstehen. Gott selbst befiehlt dir diesen Widerstand, und du sagst, daß du nicht genug Kräfte dazu habest.

Befiehlt denn Gott etwas Unmögliches? Nein, antwortet hierauf der heilige Kirchenrat von Trient: Gott befiehlt nichts Unmögliches, sondern indem Er befiehlt, ermahnt Er zu tun, was du vermagst, und um das zu bitten, was du nicht vermagst, und Er hilft dir, damit du es vermögest. (Sitz. 6. c. 13.) Erkennst du also, dass du mit dem gewöhnlichen göttlichen Beistand nicht Kraft genug habest, um den Versuchungen zu widerstehen, so bitte Gott um den Beistand, den du bedarfst, Er wird ihn dir gewiss verleihen, und alsdann wirst du alle, selbst die heftigsten Versuchungen überwinden.

Die nächste Täuschung Satans: Begehe die Sünde, später kannst du sie beichten

5. Aber du willst nicht beten, du selbst sagst ja, dass du heute noch diese Sünde begehen und sie hierauf beichten wollest. Aber, erwidere ich, woher weißt du denn, dass Gott dir später die Zeit lassen werde, um zu beichten. Nicht eine Woche wird vorübergehen, sagst du, und ich werde es schon gebeichtet haben. Wer verspricht dir denn aber, dass du noch eine Woche Zeit haben werdest? Wohlan, schon morgen will ich beichten. Aber sage mir, wer verspricht dir den morgigen Tag?

Der heilige Augustin sagt: Den morgigen Tag hat Gott nicht versprochen, vielleicht gibt Er ihn, vielleicht gibt Er ihn auch nicht; vielleicht versagt Er ihn dir, wie Er ihn schon so vielen andern versagt hat. Ach, wie viele haben sich des Abends gesund schlafen gelegt, und sind am andern Morgen tot in ihrem Bett gefunden worden. Wie viele hat Gott sogar in demselben Augenblick, da sie die Sünde begingen, sterben lassen und hierauf in die Hölle gestürzt.

Wenn auch dir das widerfahren sollte, wie würdest du da wohl deinem ewigen Verderben abhelfen. Begehe immerhin diese Sünde, denn später wirst du sie schon beichten. Das ist die Täuschung, womit der Teufel so viele Millionen Christen in die Hölle führt; denn nur schwerlich gibt es einen so ruchlosen Christen, der sich freiwillig in die ewige Verdammnis hätte stürzen wollen. Alle, welche sündigen, sündigen in der Hoffnung, zu beichten; aber gerade auf diese Weise sind so viele Elende ewig verloren gegangen, für die es jetzt keine Beichte, kein Heilsmittel gibt, um ihrem ewigen Untergang abzuhelfen.

Eine weitere Täuschung: Gott ist ja barmherzig

6. Aber, sagst du, Gott ist ja barmherzig. Das ist eine andere gewöhnliche Täuschung, wodurch der Teufel die Sünder ermutigt, in der Sünde fortzuleben. Ein frommer Schriftsteller sagt, die Barmherzigkeit Gottes schicke mehr Seelen in die Hölle, als Seine Gerechtigkeit. Das ist nämlich so zu verstehen, dass, weil diese Verblendeten auf Gottes Barmherzigkeit vermessentlich vertrauen, sie fortfahren, zu sündigen, und auf solche Weise sich ins Verderben stürzen. Gott ist barmherzig! Das leugnet gewiss niemand. Aber wie viele stürzt Er des ungeachtet täglich in die Hölle! Gott ist barmherzig, aber Er ist zugleich gerecht, und deshalb ist Er genötigt, den zu bestrafen, der Ihn beleidigt.

Gott übt freilich Barmherzigkeit an den Sündern, aber nur an jenen Sündern, welche, nachdem sie Ihn beleidigt haben, dies bitter bereuen, und welche Furcht haben, Ihn von neuem zu beleidigen: Er ist barmherzig denen, die ihn fürchten, (Luk. 1, 50) lehrt uns die göttliche Mutter. Aber an denen, welche Seine Barmherzigkeit missbrauchen, um Ihn nur noch mehr zu verachten, übt Er Seine Gerechtigkeit. Gott verzeiht freilich die Sünden, aber Er kann den Willen zu sündigen nicht verzeihen. Der heilige Augustin sagt, dass, wer mit dem Gedanken eine Sünde begeht, dieselbe später bereuen zu wollen, kein Bußfertiger, sondern ein Spötter des Herrn sei.

Der heilige Paulus lehrt uns aber, dass Gott sich nicht verspotten lasse: Täuschet euch nicht, Gott lässt Seiner nicht spotten. (Gal. 6, 7) Wir würden aber Seiner spotten, wenn wir Ihn beleidigten, wie es uns gefällt und so lange es uns beliebt, und dennoch meinten, später in den Himmel einzugehen.

Der getäuschte Sünder sagt: Gott wird auch weiterhin barmherzig sein

7. Allein, wendest du vielleicht noch ein: Gleichwie Gott bisher so barmherzig gegen mich gewesen, so hoffe ich, wird Er es auch noch fernerhin sein. Das ist wiederum eine Täuschung des Teufels. Weil Gott dich also bis jetzt noch nicht bestraft hat, so wird Er dich auch niemals bestrafen.

Nein, mein Christ, je größere Barmherzigkeit Er bisher an dir geübt, um desto mehr solltest du zittern, dass, wenn du Ihn jetzt von neuem beleidigst, Er dir gar nicht mehr verzeihen, dass Er dich endlich einmal bestrafen werde.

Vernimm, was dir der heilige Geist zuruft: Sprich nicht, ich habe wohl gesündigt, aber was ist mir Leides widerfahren, denn der Höchste ist ein langmütiger Vergelter. (Eccl. 5, 4) Gott erträgt uns freilich, aber Er erträgt uns nicht immer. Er erträgt uns bis zu einem gewissen Punkt, ist aber dieser erreicht, dann bestraft er den Sünder für alle seine Sünden, und je länger Er auf die Buße desselben gewartet, desto strenger bestraft Er ihn auch, nach dem Ausspruch des heiligen Gregorius.

Weil du es aber weißt, mein Christ, dass du mehrmals Gott schwer beleidigt hast, und daß Gott dich dennoch nicht zur Hölle verdammt hat, so musst du zu dem Herrn sprechen: Barmherzigkeit des Herrn ist’s, dass wir nicht vernichtet sind. (Klagel. 3, 22)

Ich danke Dir, o mein Gott! dass Du mich noch nicht zur Hölle, die ich so oft verdiente, verurteilt hast. Und deshalb musst du dich denn auch ganz und gar, und das wenigstens aus Dankbarkeit, deinem Gott schenken und bedenken, dass viele, die weit weniger Sünden als du begangen, sich jetzt im feurigen Abgrund befinden, ohne alle Hoffnung, je wieder herauszukommen.

Ja, gerade die große Geduld, mit der Gott dich ertragen hat, sollte dich bewegen, Ihn nicht mehr zu verachten, sondern Ihm nur noch treuer zu dienen, Ihn nur noch inniger zu lieben. Gerade deshalb solltest du darauf bedacht sein, die Beleidigungen, welche du Gott zugefügt, durch Bußwerke und andere gute Handlungen wieder gut zu machen; denn du siehst ja, dass Er größere Barmherzigkeit an dir, als an so vielen andern geübt hat: Nicht also tat er allen Völkern. (Ps. 147, 20), weshalb du denn auch mit Recht zittern solltest, dass, wenn du jetzt noch eine einzige Todsünde begehen würdest, Gott dich verlassen werde und du auf ewig verloren sein möchtest.

Noch eine Täuschung: Ich kann trotz der Sünde selig werden

8. Betrachten wir jetzt zum Schluss noch eine andere Täuschung des bösen Feindes. Es ist wahr, sagst du, wenn ich diese Sünde begehe, so verliere ich die Gnade Gottes, aber es kann auch geschehen, dass ich, trotz dieser Sünde, dennoch selig werde. Ja, mein Christ, es ist möglich, dass du dennoch selig werdest; des ungeachtet kannst du aber auch nicht leugnen, dass, nachdem du so viele Sünden begangen, nachdem Gott dir so viele Gnaden erwiesen, es auch gar leicht geschehen kann, dass du verloren gehst.

Höre, was uns der Geist Gottes zuruft: Einem harten Herzen wird es zuletzt übel gehen. (Eccl. 3, 27) Wer hartnäckig im Bösen verharrt, wird schlecht sterben. Die böse sind, werden ausgerottet. (Ps. 36, 9) Böswillige Menschen werden endlich doch von der göttlichen Gerechtigkeit vernichtet: Was der Mensch sät, das wird er auch ernten. (Gal. 6, 8)

Wer Sünden aussät, der wird in der Ewigkeit Peinen dafür einernten: Darum, weil Ich rief, und ihr nicht wolltet, spricht der Herr, so will Ich auch bei eurem Untergang lachen und spotten. (Sprichw. 1, 24 u. 26) Mein ist die Rache, und Ich will vergelten zu seiner Zeit. (Deut. 34, 35) Mir kommt es zu, sagt Gott, die Sünden zu bestrafen, und Ich werde mich gewiss rächen, wenn die Zeit der Rache gekommen ist: Über einen Mann, der hartnäckig den verachtet, der ihn warnt, kommt plötzliches Verderben, und wird ihm nimmer zu helfen sein. (Sprichw. 29, 1)

9. Wenn du all’ diese schrecklichen Drohungen Gottes gegen die Sünder wohl erwägst, was meinst du wohl, mein Christ, so sage mir, scheint es dir da noch so leicht, selig zu werden, wenn du nach so vielen Ermahnungen, nach so großen Erbarmungen Gottes dennoch fortfährst, Ihn zu beleidigen!

Du sagst aber, es kann dennoch geschehen, daß ich bei alledem vielleicht selig werde. Aber welche Torheit, antworte ich dir, auf ein so schwerlich eintreffendes Vielleicht dein ewiges Seelenheil stützen zu wollen. Wie viele brennen jetzt in der Hölle, die auf dies Vielleicht ihre Hoffnung setzten, und du, o mein Christ, du wolltest ihr unglückseliger Gefährte werden. Nimm zu Herzen, was du jetzt gehört, und zittere, dass die heutige Predigt die letzte Erbarmung sei, die Gott an dir übt.
aus: Alphons Maria von Liguori, Predigtskizzen über die sonntäglichen Evangelien, 1842, S. 135 – S. 142

siehe auch den Beitrag: Unterricht für den Sonntag Quinquagesima

Bildquellen

Verwandte Beiträge

Die heilige Fastenzeit
Sünde des Priesters und ihre Strafe