Das allgemeinen Gericht
Die Bücher werden geöffnet (Teil 3)
„Der Herr wird erkannt werden, da Er Recht schaffet.“ (Ps. 9,17)
Aber sieh, jetzt beginnt das Gericht. Die Akten der Verhandlungen, nämlich die Gewissen eines Jeden, werden jetzt geöffnet: Und das Gericht setzte sich, und die Bücher wurden aufgetan. (Dan. 7,10) Als Zeugen gegen die Verworfenen werden vorerst die Teufel erscheinen, die, nach dem heiligen Augustin, sprechen werden: „Gerechtester Gott, fälle das Urteil, dass mein sei, der dein nicht sein wollte.“ Dann wird auch das Gewissen eines Jeden als Zeuge auftreten: Indem ihr Gewissen ihnen Zeugnis gibt. (Röm. 2,15)
Ja, sogar die Mauern jener Häuser, in denen die Sünder Gott beleidigten, werden als Zeugen erscheinen und um Rache schreien: Der Stein schreit aus der Wand. (Habak. 2,11) Endlich wird der Richter selbst Zeuge sein, da Er bei allen Ihm zugefügten Beleidigungen zugegen war: Ich bin Richter und Zeuge, spricht der Herr. (Jer. 29,23) Der heilige Paulus sagt, dass der Herr an das Licht bringe das im Finstern Verborgene. (1. Kor. 4,5) Der ewige Richter wird allen Menschen die geheimsten und schändlichsten Sünden der Gottlosen darlegen, selbst solche Sünden, welche man hier auf Erden sogar vor den Beichtvätern verheimlicht hatte: Ich will deine Scham vor deinem Angesicht aufdecken. (Nahum 3,5)
Die Sünden der Auserwählten werden jedoch, nach der Ansicht des Sentenzenmeisters und anderer, nicht offenbar werden, sondern verborgen bleiben, nach dem Ausspruch des Königs David: Selig diejenigen, deren Missetaten nachgelassen, und deren Sünden bedeckt sind. (Ps. 31,1) Dagegen, sagt der heilige Basilius, werden die Sünden der Verworfenen plötzlich Allen mit einem Blick sichtbar sein, gleichwie auf einem Gemälde. Und der heilige Thomas sagt: Wenn im Garten Gethsemane auf die Worte Jesu: Ich bin es, die Kriegsknechte, welche gekommen waren, Ihn zu ergreifen, zu Boden fielen, wie wird es den Verdammten ergehen, wenn Jesus vom Richterstuhl herab zu ihnen sprechen wird: Sehet, Ich bin es, Ich bin Jener, den ihr so sehr verachtet habt.
Aber schon nahet der Augenblick, wo das Urteil gesprochen wird. Zuerst wendet Jesus Christus sich an die Auserwählten und richtet an sie die süßen Worte: Kommet, ihr Gesegnete meines Vaters, besitzet das Reich, welches seit Grundlegung der Welt euch bereitet ist! (Matth. 25,34) Als dem heiligen Franziskus von Assisi geoffenbart wurde, dass er zur Seligkeit vorherbestimmt sei, konnte er sich vor Trost kaum fassen; welche Freude wird es aber erst sein, wenn wir vernehmen werden, wie der Richter uns zuruft: Kommet, ihr gesegneten Kinder, kommet in mein himmlisches Reich!
Hier gibt es für euch keine Leiden mehr, hier gibt es keine Furcht; ihr seid glückselig und werdet es in alle Ewigkeit bleiben. Ich segne das Blut, das Ich für euch vergossen habe; Ich segne die Tränen, die ihr über eure Sünden geweint habt; begeben wir uns also jetzt in den Himmel, wo wir die ganze Ewigkeit hindurch vereinigt sein werden. Auch die allseligste Jungfrau Maria wird ihre Verehrer segnen und sie einladen, mit ihr in den Himmel zu kommen; worauf die Auserwählten unter dem Gesang des Alleluja triumphierend in das Paradies einziehen, um Gott in alle Ewigkeit zu besitzen, zu preisen und zu lieben. –
Dagegen werden die Verdammten sich an Jesus wenden und zu Ihm sprechen: Was wird denn aus uns Unglückseligen werden? „Weil ihr“, wird ihnen der ewige Richter antworten, „meine Gnade verachtet und derselben entsagt habt, so weichet von Mir, ihr Verfluchte, in das ewige Feuer! (Matth. 25,41) Weichet von Mir! Ich will euch nicht mehr sehen; Ich will nichts mehr von euch hören. Ihr Verfluchte! Geht fort, geht fort als Verfluchte, denn ihr habt meinen Segen verachtet.“
Aber, o Herr, wohin sollen diese Unglückseligen gehen? In das Feuer, in die Hölle, um dort an Seele und Leib zu brennen. Und auf wie viele Jahre, oder auf wie viele Jahrhunderte? Was Jahre, was Jahrhunderte? In das ewige Feuer, es handelt sich ja um die ganze Ewigkeit, die so lange dauert, als Gott Gott ist. Nach diesem Urteilsspruch, sagt der heilige Ephräm, werden die Verworfenen von den Engeln, von den Heiligen, von ihren Verwandten, von der göttlichen Mutter Maria Abschied nehmen: „Lebet wohl, ihr Gerechte! Lebe wohl, o Kreuz! Lebe wohl, o Himmel! Lebet wohl, ihr Väter und Kinder! Denn wir werden keinen von euch jemals wiedersehen! Lebe wohl auch Du, o heilige Gottesgebärerin Maria!“
Darauf wird sich mitten im Tale ein großer Abgrund öffnen, in welchen die Teufel und die Verdammten miteinander hinabstürzen; worauf sie deutlich vernehmen werden, wie sich hinter ihnen jene Pforte schließt, die sich nie, nie, in alle Ewigkeit nie mehr öffnen wird. –
O verfluchte Sünde, zu welch` unglückseligem Ende wirst du eines Tages so viele arme Seelen führen! O ihr unglücklichen Seelen, denen ein so beweinenswertes Ende bevorsteht! –
aus: Alphons Maria von Liguori, Vorbereitung zum Tode oder Betrachtungen über die ewigen Wahrheiten, 1891, S. 268 – S. 271
Teil 1: Das allgemeine Gericht – Tag des Zornes
Teil 2: Das Gericht: Auferstehung des Fleisches
Siehe auch den Beitrag auf katholischglauben.online: