Von der Pein des Verlustes Gottes in der Hölle
Alle diese Peinen sind jedoch nichts im Vergleich mit der Pein des Verlustes. Nicht die Finsternisse, nicht der Gestank, noch das Geschrei und das Feuer machen die Hölle aus; die Pein, welche eigentlich die Hölle ausmacht, ist der Schmerz, Gott verloren zu haben.
Der heilige Bruno sagt: Mögen Qualen auf Qualen gehäuft werden, wenn man nur seines Gottes nicht beraubt wird.“ (Serm. de jud. fin.) Der heilige Johannes Chrysostomus sagt: „Wenn du auch tausend Höllen aufzählst, so nennst du dennoch nichts, was diesem Schmerz gleichkäme.“ (Hom. 48. ad pop.) Und der heilige Augustin bemerkt noch, dass, wenn die Verdammten sich der Anschauung Gottes erfreuten, sie gar keine Pein mehr fühlen könnten, und die Hölle sich für sie ein Paradies verwandeln würde. (Lib. de Tripl. Hab. c. 4)
Um sich einen schwachen Begriff von dieser Pein zu machen, muss man bedenken dass, wenn z. B. jemand einen Edelstein verloren hat, der hundert Taler wert ist, er deshalb schon großen Kummer hat; ist derselbe aber zweihundert wert, so wird sein Schmerz doppelt so groß sein; und ist er vierhundert wert, so ist sein Schmerz um so viel größer. Kurz, je höher der Wert der verlorenen Sache steigt, desto mehr wächst auch der Schmerz.
Welch ein Gut hat nun der Verdammte verloren? Ein unendliches Gut, nämlich Gott, und deshalb sagt der heilige Thomas (1. 2. q. 87 art. 4), leidet er eine Pein, die gewissermaßen unendlich ist. Vor dieser Pein allein fürchten sich die Heiligen; denn dieser Schmerz ist für Liebenden, nicht aber für die Verachtenden eine Pein, sagt der heilige Augustin. Der heilige Ignatius von Loyola sprach zu Gott: O Herr! Jede Pein will ich ertragen, nur nicht diese, deines Besitzes beraubt zu sein.
Aber von diesem Schmerz begreifen die Sünder nichts, die Monate und Jahre lang ohne Gott dahin leben mögen, weil die Elenden in der Finsternis wandeln. Bei ihrem Tod erst werden sie erkennen, welch großes Gut sie verloren haben. So wie die Seele diese Welt verlässt, sagt der heilige Antonin, so erkennt sie also gleich, dass sie für Gott erschaffen worden; und deshalb schwingt sie sich sogleich empor, um sich mit ihrem höchsten Gut zu vereinigen; befindet sie sich aber im Stande der Sünde, so wird Gott sie von sich stoßen.
Wenn man einen Hund mit einer Kette zurückhält, so wendet derselbe, wenn er einen Hasen erblickt, gewiss die größte Gewalt an, um die Kette zu zerreißen und seine Beute zu erhaschen. Wenn sich die Seele vom Leibe trennt, so wird sie natürlicher Weise zu gott hingezogen; aber die Sünde trennt sie von Gott und stößt sie fern von Gott in die Hölle hinab: Eure Missetaten scheiden euch von eurem Gott. (Is. 59, 2)
Die Hölle besteht also eigentlich in dem ersten Wort des Verdammungsurteils: Weichet von Mir, ihr Verfluchte! Weichet, sagt Jesus Christus, ich will nicht, dass ihr je wieder vor meinem Angesicht erscheint. „Wenn man auch tausend Höllen nennen würde“, sagt der heilige Chrysostomus (Homil. 24. in Matth.), so würde man doch nichts nennen, was so furchtbar wäre als dies: von Christus gehasst werden.“
Als der König David seinen Sohn Absalon dazu verurteilte, nicht mehr vor ihm zu erscheinen, so war dies für Absalon eine so große Strafe, dass er sprach: Sagt meinem Vater, er möge mich entweder sein Angesicht wieder sehen oder mich töten lassen. (2. Kön. 14, 32) Philipp II. sagte eines Tages zu einem Großen seines Reichs, den er sich unehrerbieitg in der Kirche benehmen sah: Erscheinen Sie nie wieder vor mir! Der Schmerz, welchen jener darüber empfand, war so groß, dass er, als er nach Hause kam, vor Kummer starb.
Aber was wird es erst sein, wenn Gott dem Verworfenen beim Tod verkündet: Weiche vor Mir! Ich will dich nie wieder sehen? Ich will mein Angesicht vor ihm verbergen, und alle Übel sollen ihn finden. (Deut. 31, 17) Ihr gehört Mir nicht mehr an, wird der Herr am jüngsten Tag zu den Verdammten sprechen. Ich bin nicht mehr der Eure: Nenne seinen Namen nicht – mein Volk: denn ihr seid nicht mein Volk, und Ich will nicht der Eure sein. (Oseas 1, 9)
Welche Pein ist es für ein Kind, wenn sein Vater, oder für eine Gattin, wenn ihr Gatte stirbt, und wenn sie sprechen müssen: Mein Vater, mein Gatte, ich werde dich also nicht mehr sehen! Wenn wir jetzt eine verdammte Seele weinen hören und dieselbe fragen würden: Warum weinst du denn so heftig? So würde sie uns zur Antwort geben: Ich weine, weil ich Gott verloren habe und Ihn niemals wieder sehen werde.
Könnte die Unglückselige in der Hölle wenigstens ihren Gott lieben und sich in seinen Willen ergeben. Aber nein; so kann sich nicht in den Willen Gottes ergeben, weil sie eine Feindin des göttlichen Willens geworden ist. Sie kann nicht mehr ihren Gott lieben, sondern sie hasst Ihn und wird Ihn in Ewigkeit hassen; ja, gerade dies wird ihre Hölle ausmachen, dass sie Gott als ihr höchstes Gut erkennt und sich dennoch gezwungen sieht, Ihn zugleich zu hassen, während sie Ihn als unendlich liebenswürdig erkennt.
„Ich bin ein der Liebe Gottes beraubter Bösewicht“, antwortete ein Teufel, als die heilige Katharina von Genua ihn fragte, wer er sei. Der Verdammte wird Gott hassen und verfluchen; und da er Gott verflucht, wird er auch die Wohltaten verfluchen, die der Herr ihm erwiesen hat: die Erschaffung, die Erlösung, die heiligen Sakramente, besonders die Taufe und die Buße, und vor allem das allerheiligste Sakrament des Altars.
Er wird alle Engel und alle Heiligen hassen, vorzüglich seinen heiligen Schutzengel und seine heiligen Fürsprecher, mehr aber als alle die göttliche Mutter Maria; am meisten indes wird der Unglückselige die drei göttlichen Personen verwünschen, und unter Diesen hauptsächlich den Sohn Gottes, welcher für sein Heil gestorben ist; er wird seine Wunden, sein Blut, seine Leiden und seinen Tod verwünschen. –
aus: Alphons Maria von Liguori, Vorbereitung zum Tode oder Betrachtungen über die ewigen Wahrheiten, 1891, S. 280 – S. 284
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Bildquellen
- Fra_Angelico_-_Last_Judgement_(detail)_-_WGA00472: wikimedia