Schrecklich zu wohnen mitten im verzehrenden Feuer
5. März
Quis poterit habitare de vobis cum igne devorante?
„Wer von euch wird beisammen wohnen können mit dem verzehrenden Feuer?“ (Is. 33,14)
1. Betrachte, daß das höllische Feuer ein verzehrendes genannt wird, nicht darum, weil es Jemand aufzehrt, sondern zur Bezeichnung der Wut, womit es angreift, der Tätigkeit, womit es arbeitet, der Heftigkeit, womit es brennt, indem es nicht den kleinsten Teil des Verdammten verschont läßt, ohne so zu sagen die schrecklichste Verheerung anzurichten. Denn wenn es Jemanden aufzehrte, so würde es nicht heißen, daß man in diesem Feuer wohne. „Wer wird wohnen können?“
Suche also zuerst die Wut zu erkennen, womit dieses Feuer beständig tätig ist und brennt. Unser Feuer verzehrt wohl auch, aber es verschlingt nicht, weil es nur allmählich wirkt, wenn es nicht sehr groß ist. Jenes aber verzehrt Alles in einem Augenblick: und mit der nämlichen Wut, Stärke und Bitterkeit, womit es auf jeden Verdammten gleich anfangs losstürzt, wird es in Ewigkeit tätig sein, ohne von seiner Wut nur im mindesten nachzulassen, weil „der Hauch des Herrn es entzünden wird, wie ein Schwefelstrom.“ (Is. 30,33) Wir wird es darum dem unglücklichen Volk ergehen, welches den Versuch damit machen muss? Isaias antwortet (Is. 9,19): „Durch den Zorn des Herrn der Heerscharen wird das Volk wie eine Speise des Feuers sein.“ Er sagt nicht geradezu: eine Speise, weil jenes Volk niemals vom Feuer verzehrt werden wird; sondern: wie eine Speise, weil es nicht den mindesten Widerstand wird leisten können; so sehr ist es zum Brennen geeignet.
2. Erwäge, wie schrecklich es sei, mitten im Feuer seine Wohnung zu haben, d.i. seinen ewigen Aufenthalt. Wenn du verurteilt wärest, immer in einem Kerker zu wohnen, dessen Fußboden, Wände und Decke aus Feuer beständen, so daß selbst die Luft, die du einatmest, feurig wäre, wie wäre dir da zu Mute? Und doch ist dieses unser Feuer im Vergleich mit jenem nur wie ein gemaltes Feuer. Wie wird dir also sein, wenn du von diesem schrecklichen Feuer nicht bloß wie von einer Mauer umgeben, sondern ganz durchglüht bist, so daß du im Feuer und das Feuer in dir wohnt; wie es beim Eisen geschieht, welches man im Glühofen vom Feuer nicht unterscheiden kann, weil das Feuer im Eisen und das Eisen im Feuer ist?
Entweder glaubst du nicht, was ich sage, oder du bist ein vollendeter Tor, wenn du für irgend etwas in der Welt, für ein unreines Vergnügen, für einen ungerechten Gewinn, oder für eine eitle Ehre dich der Gefahr aussetzest, in eine Wohnung verdammt zu werden, wie diese ist, und zwar – für die ganze Ewigkeit.
3. Obwohl alle Verdammte auf solche Weise im Feuer wohnen werden, heißt es doch nicht: Wer wird wohnen können im Feuer, sondern mit dem Feuer, damit du daraus besonders dir Furchtbarkeit der Hölle erkennst.
Welcher Schrecken müsste dich befallen, wenn du wohnen müsstest in einer Höhle von wilden Tieren, bei einem gierigen Panter, bei einem reißenden Wolf, bei einem Löwen oder Tiger? Bedenke sonach, was es heißen müsse: wohnen bei dem verschlingenden Feuer. Bilde dir ein, in der Hölle seien diese und andere unzählige wilde Tiere beisammen, welche mit schrecklicher Wut über dich herfallen; bilde dir ein, sie seien alle feurig und deswegen noch viel rasender; ja bilde dir ein, sie alle feurig jeder Verdammte sei eben so feurig wie du; – wie schrecklich wäre es, bei diesen zu wohnen! Jetzt kannst du erkennen, wie in Wahrheit ein Verdammter den anderen aufzehrt nach den Worten des Propheten (Is. 9,20): „Ein Jeglicher wird das Fleisch seines Armes fressen, Manasses Ephraim und Ephraim Manasses.“ Denn ein Jeder wird ein verschlingendes Feuer sein, wie das Holz, welches, in einem ungeheuren Ofen aufgehäuft, sich gegenseitig aufzehrt; nur mit dem Unterschied, daß dieses zwar sich aufzehrt, aber nicht mit Wut, wie die Verdammten in der Hölle.
Jetzt gehe hin und sage noch, wenn du auch verdammt wirst, so seist du nicht allein in der Hölle. Glaubst du noch, es sei ein Trost, dort viele Leidensgefährten zu haben?
4. Ferner erwäge, daß es nicht heißt: bei dem brennenden oder bei dem verbrennenden Feuer, sondern: bei dem verzehrenden Feuer; damit du bei jenen Worten dir nicht einbildest, jenes Feuer sei ein leuchtendes. Daraus musst du also entnehmen, daß jenes Feuer nur zur Qual, zum Verzehren, aber nicht zum Vergnügen oder zum Leuchten da sei. Der Rauch allein schon, der aus diesem ewigen Brand aufsteigt, wird hinreichen, ein ewige Nacht zu erzeugen, und diese Nacht wird nie von einer Flamme erleuchtet werden können, denn alldort wird sein „die Stimme des Herrn, der die Feuerflamme zerteilt.“ (Ps. 28,7) Auf eigene Anordnung Gottes wird dieses Feuer eine geteilte Kraft haben; es wird nämlich brennen, um Schmerzen zu bereiten, aber nicht leuchten, um ja keine Annehmlichkeit zu gewähren.
Nun erwäge, was es heiße, ewig in so dichter Finsternis zu brennen! O wenn doch dieser Rauch wenigstens einmal den Unglücklichen ersticken könnte! Aber auch dies wird nicht der Fall sein. Er wird wohl blind machen und peinigen, aber niemals das Leben nehmen. „Der Rauch ihrer Qualen wird aufsteigen von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ (Apok. 14,11) wenn der Rauch der Qualen ewig ist, so müssen die Qualen, von denen er kommt, ebenfalls ewig sein.
5. Zuletzt erwäge, daß Alles, was bisher gesagt worden, gar leicht auch dir begegnen könne. Deshalb darfst du dies alles nicht so ansehen, als ob es auf dich keinen Bezug hätte, sondern nur die Heiden und Ketzer angehe. „Wer von euch kann wohnen bei dem verzehrenden Feuer?“ sagt der Prophet. Wer von euch, sage ich, die ihr heute das wahre Volk Israel seid; wer von euch Christen? Von euch Katholiken? Oder wird etwa von dieser Keiner zu Grunde gehen? O wie Viele, wie viele! Denke also daran, was dir begegnen kann.
Oder glaubst du stark genug zu sein, um in diesem Feuer auszuhalten? „Wirst du dabei wohnen können?“ Siehe nur, wie verzärtelt du bist, und schon ungeduldig wirst, wenn dein Betttuch nicht weich genug ist! Unglücklicher! Was wirst du denn beginnen mit dem Feuer? Und zwar mit dem verzehrenden Feuer? –
aus: Paul Segneri S.J., Manna oder Himmelsbrod der Seele, 1853, Bd. I, S. 172 – S. 175