Die Schicksale Jerusalems – Nach der babylonischen Gefangenschaft bis zu Herodes Agrippa II.
Als Cyrus die Erlaubnis zur Rückkehr gab, geschah die Wiederansiedlung ohne Plan und ohne Eifer. Nachdem die Heimgekehrten einen Brandopferaltar auf der Tempelstätte errichtet und sich häuslich eingerichtet hatten, bedurfte es großer moralischer Einwirkung, bis sie sich aufrafften, den Tempelbau zu beginnen und ihn unter mancherlei äußeren Hindernissen zu Ende zu führen (1. Esdr. 3, 7ff.; Agg. 1, 2ff.). Im babylonischen Land war eben die religiöse Begeisterung zugleich mit dem Nationalgefühl geschwunden, und die bloß religiöse Wiedergeburt, welche Esdras angestrebt hatte, konnte ihren Zweck nicht erreichen.
Jerusalem zur Zeit Nehemias
Von dieser Erkenntnis ließ sich Nehemias leiten, als er seine ganze geistige Kraft dafür einsetzte, Jerusalem als feste Hauptstadt wieder herzustellen und damit wieder ein jüdisches Volksbewusstsein zu schaffen. So wie der Tempel auf den alten Fundamenten, nur mit geringerer Pracht, errichtet war, so fasste auch Nehemias ins Auge, die Stadt ganz nach dem alten Grundriss wiederherzustellen; nur musste er bei der geringen Zahl von Bewohnern darauf verzichten, den nördlichen, von Manasses zur Stadt gezogenen Komplex mit in den Bering (*) aufzunehmen.
(*) Gesamtheit einer Ringmauer
Unter allen Umständen aber musste die erste, von David und Salomon herrührende Mauer wieder auf ihre frühere Größe und Erhebung gebracht werden, und Nehemias selbst gibt 2. Esdr. 3, ausführlich an, wie diese Arbeit auf diejenigen, in welchen das jüdische Bewusstsein erwacht war, verteilt wurde. Auch das alte Bollwerk des Hananeel-Turmes ward restauriert, neben welchem, jedenfalls auch schon früher vorhanden, der Riesenturm und der Ofenturm erwähnt werden (2. Esdr. 3, 1 u. 11; 12, 37 u. 38). Bei dieser Gelegenheit lernen wir noch einige Tore des nachexilitischen Jerusalem kennen, welche gewiss auch schon vor der Zerstörung an den nämlichen Stellen lagen.
Es sind diese das Schaftor (2. Esdr. 3, 1), das AlteTor (6), das Düngertor (14) verschieden von dem heutigen Misttor, aber vielleicht identisch mit dem von Josephus (B.J. 5, 4, 2) genannten Essenertor, das Quelltor (15), das Wassertor (26), das Kerkertor (25) und das Osttor (29), welche sämtlich in der oben beschriebenen Reihenfolge zwischen den schon genannten Toren lagen. Innerhalb dieser Einfriedigung war Jerusalem zum großen Teil noch unbebaut (2. Esdr. 7, 4). Nur sehr allmählich hob sich die Stadt zu einer größeren Einwohnerzahl.
Jerusalem unter der Herrschaft der Perser und Ptolemäer
Unter der persischen Herrschaft konnten die Juden zuerst eine gedeihliche Entwicklung nehmen, bis die grausame Herrschaft des Darius Ochus dem jüdischen Volk einen schweren Druck bereitete. Dieser dauerte, bis Alexander d. Gr. Das persische Reich eroberte; damals aber hatte Jerusalem dem Bericht des Abderiten Hekatäus zufolge schon wieder 120.000 Einwohner. Die Züchtigung, welche Jerusalem von Alexander wegen Verweigerung der Kontribution zugedacht war, entging die Stadt durch den Eindruck, welchen der Hohepriester Jaddua auf den Eroberer machte; und solange Alexander lebte, blieb Jerusalem in tiefem Frieden.
Auch unter den ersten Ptolemäern konnte Jerusalem ein Jahrhundert lang sich der Segnungen des Friedens gegen einen mäßigen Tribut erfreuen. Schlimme Tage aber brachen für die Stadt an, als die Seleukiden die Ägypter aus Vorderasien verdrängten. Antiochus Epiphanes ließ ohne Veranlassung Jerusalem an einem Sabbat, da die Juden keine Gegenwehr leisten zu dürfen glaubten, überfallen, einen großen Teil verbrennen und die Mauern brechen (1. Makk. 1, 33).
Siehe dazu auch den Beitrag:
- Religionsverfolgung unter dem Seleukiden Antiochus IV. Epiphanes
- Die Juden unter der Herrschaft der Seleukiden
Seinem weiteren Bestreben, das jüdische Volk zu Griechen und zu Heiden zu machen, kam leider die Neuerungslust vieler Juden und selbst der Ehrgeiz eines pflichtvergessenen Hohenpriesters entgegen, und der Anfang des ersten Makkabäer-Buches sowie 2. Makk. 4-7, ferner die Schilderung bei Josephus (Antt. 12, 5, 1-4) geben ein Bild der Leiden, welche dadurch über die gesetzestreuen Juden gebracht wurden.
Jerusalem unter griechischer Herrschaft
Jerusalem erhielt in dieser Zeit ein griechisches Gymnasium, vermutlich den Xystus, der südwestlich vom Tempelberg lag (2. Makk. 4, 12), während der Tempel jede Art der Entweihung erfuhr.
Siehe dazu den Beitrag:
Siehe dazu den Beitrag auf katholischglauben.online:
Der Aufstand der Makkabäer
So wurde der Aufstand der Makkabäer geradezu herausgefordert, und nicht bloß religiöse und nationale Begeisterung, sondern auch der Zwang der Notwehr verschaffen den Juden den Sieg über die ungleich größere Macht der Syrer. Bei den Kämpfen sowohl der Ägypter und der Syrer, als der Syrer und der Juden wird in Jerusalem besonders häufig die Akra (2. Makk. 4, 12 u. 27, in der Vulgata immer arx) genannt; in derselben wusste sich namentlich eine syrische Besatzung noch lange zu erhalten, nachdem schon die Makkabäer Herren der Hauptstadt geworden waren.
Nach der deutlichen Angabe 1. Makk. 1, 35; 2, 31; 3, 45 war dies die alte Burg auf dem Sion, welche früher Mello geheißen hatte; sie lag auf der Nordostecke der Oberstadt, dem Tempel gegenüber. In der Akra hielten sich die Syrer volle 24 Jahre, trotzten der Belagerung durch Judas Makkabäus wie jeder späteren, und konnten erst zur Übergabe gezwungen werden, nachdem Jonathan die Veste von der Stadt abgemauert und Simon die Mannschaft ausgehungert hatte (1. Makk. 13, 49).
Später erscheint bei Josephus aber auch der ganze Stadtteil, welcher an die Davidsburg stieß, unter dem Namen Akra, nicht ohne dass dieser Schriftsteller manche unrichtige Angaben über die betreffenden Örtlichkeiten durch Kombination hinzufügte (Antt. 12, 5, 4; 9, 3; B.J. 6, 6, 3). Daneben erwähnt schon Nehemias (2. Esdr. 2, 8) eine „Burg beim Tempel“, über welche ein Burggraf (7, 2) gesetzt war.
Diese ist auf der Nordwestecke des Tempelbergs zu suchen, von dessen Befestigungen im ersten Buch der Makkabäer, worin er „Berg Sion“ heißt, wiederholt die Rede ist (1. Makk. 4, 60; 6, 48ff; 10, 11). Denselben befestigte Simon (1. Makk. 13, 53) aufs Neue und wählte ihn zu seiner Wohnung. Josephus … fügt hinzu, dass der Bau von den Makkabäern den Namen Baris erhalten habe.
Jerusalem in der Periode römischer Intervention
Simons Nachfolgern, die sich mehr als Könige denn als Hohepriester fühlten, genügte dieser Aufenthalt nicht mehr, so dass sie sich auf Sion südlich von der Akra einen neuen Palast bauten, … Diesen ließ später Agrippa II. für sich ausbauen, weil er eine freie Aussicht über den Tempel und die Stadt bot; aus demselben Grunde führten dann die Juden vor dem Tempel eine hohe Mauer auf, um denselben seiner Beobachtung zu entziehen (Jos. 1. c.)
Die Stadtmauer hatte im Osten am Absturz des Kedrontales durch Einsturz sehr gelitten, war aber schon von Jonathas wieder hergestellt worden (1. Makk. 12, 37). Johannes Hyrcanus musste von Antiochius Sidetes die Aufhebung der Belagerung und den Frieden auch durch den Abbruch der Mauerkrönung erkaufen (Jos. Antt. 13, 8, 3); doch befreite ihn Antiochus Tod bald von der eingegangenen Verpflichtung, und er ließ die Ringmauer Jerusalems wieder auf ihre alte Höhe und Stärke bringen (1. Makk. 16, 23).
In der folgenden Periode römischer Intervention erfuhr Jerusalem keine nachhaltigen Änderungen. Zwar ließ Pompeius die Mauern der Stadt brechen, und Alexander, der Sohn Aristobuls, ward an der Herstellung derselben durch Gabinius gehindert (Jos. B.J. 1, 8, 2); allein Cäsar gestattete um 47 v. Chr. dem zum Statthalter ernannten Antipater, sie wieder aufzubauen (Jos. Antt. 14, 8, 5; 9, 1; B.J. 1, 10, 3). Bei den Geschichtsschreibern dieser Zeit ist auch wiederholt von den Brücken die Rede, welche die hoch gelegenen Stadtteile, wie Sion und den Tempelberg, miteinander verbanden und bald zu Kriegszwecken abgebrochen, bald wiederhergestellt wurden. Ebenso werden die Treppen erwähnt, welche längs der Abhänge in und außer der Stadt nieder führten.
Die Periode Herodes des Großen
Seine höchste Blüte und Ausdehnung gewann Jerusalem unter der Regierung des baulustigen und prunksüchtigen Königs Herodes des großen. Seine wichtigste Unternehmung war der Ausbau und die prächtige Ausstattung des zweiten Tempels. Außerdem baute er für das Volk in der Stadt ein Theater und in einiger Entfernung nördlich von derselben ein Amphitheater, ferner das Rathaus am Westabhang des Tyropöon, so dass Paulus vom Tempelberg aus dorthin „hinabgeführt“ werden musste (Apg. 22, 30.)
Für sich selbst ließ Herodes die alte Burg Davids auf Sion zu einem prachtvollen Palast umbauen, … Er sicherte denselben durch eine dreißig Ellen hohe Mauer mit stattlichen Türmen; außerdem war dieses Gebäude von Norden her durch die hier besonders starke Stadtmauer geschützt. Auf diese hatte Herodes an der fraglichen Stelle bereits drei mächtige Türme gestellt, Hippikus, Phasael und Marianne benannt hatte.
Für eine weitere Sicherung der Stadt nach Norden sorgte Herodes, indem er die Baris ganz besonders fest und stark ausbauen ließ; sie ward bis dicht an den nordwestlichen Absturz des Felsens vorgeschoben, der obendrein in der ganzen Höhe mit glatten Steinplatten belegt wurde, und war auch der anderen Seite mit der westlichen und nördlichen Halle des Tempels in unmittelbare Verbindung gebracht. Die neue Veste nannte er seinem römischen Gönner M. Antonius zu Ehren Antonia (Jos. B.J. 1, 3, 3; 5, 5, 8); dieselbe musste bei der späteren Belagerung der Stadt eine große Rolle spielen (Jos. Antt. 14, 4, 2; B.J. 5, 11, 4sq.; 5, 5, 8).
Da nach Herodes Einrichtung die Antonia ebenso wohl eine prachtvolle Wohnung mit Hallen und Bädern, als ein Soldatenquartier umschloss, so wählten später die römischen Statthalter dasselbe zum Aufenthalt, wenn sie aus Cäsarea nach Jerusalem kamen. Derjenige Teil des Gebäudes, welcher zu den Amtsgeschäften des Prokurators bestimmt war, hieß das Prätorium (Joh. 18, 28); vor demselben lag eine offene Halle oder eine Terrasse, auf welcher öffentlich Recht gesprochen wurde, das Lithostroton oder nach hebräischem Ausdruck die Gabbatha (Joh. 19, 13).
Die Burg Antonia als Schauplatz des schmachvollen Gerichts über Jesus
Hier befand sich also Pilatus, als ihm Jesus vorgeführt wurde. Vom Ölberg aus war der Herr über das Kedrontal nach Sion geführt worden, wo die beiden Hohenpriester wohnten; von dort brachte man ihn am Morgen nach der Antonia. Als Pilatus glaubte, die ihm lästige Untersuchung an Herodes devolvieren (*) zu können, ward Jesus wieder über das Tyropöon hinüber in den ehemaligen Makkabäer-Palast und dann zurückgeschafft, bis er nach Erzwingung des Todesurteils das Kreuz auf die Schultern nahm und seinen Todesgang nach dem westlich vor der Stadt gelegenen Golgotha antrat.
(*) etwas (von einer Person) auf andere abwälzen
Die nämliche Antonia, welche dem schmachvollen Gericht über den Erlöser zur Stätte gedient, war auch Schauplatz der Verhandlungen über den hl. Paulus, bei deren Erzählung sie castra genannt wird (Apg. 21, 34; 22, 24; 23, 16 u. 32). Von anderen Gebäuden aus der Periode Herodes des Großen erwähnt Josephus noch das Archiv (B.J. 2, 17, 6) mit den Schuldurkunden, den Palast der Königin Helena (B.J. 6, 6, 3), den Königshof auf dem Ophel, welchen Johann von Gishala beim jüdischen Krieg innehatte (B.J. 4, 9 11), vielleicht das nämliche Gebäude wie der Hof des Monobazos (B.J. 5, 6, 1), lauter Bauwerke, deren Lage nachzuweisen kaum möglich und auch kaum nötig ist.
Der Aufschwung, welchen Jerusalem genommen, hatte auch eine räumliche Ausbreitung der Stadt zur Folge, und naturgemäß erstreckte sich diese gegen Norden. Längst war der Hügel Bezetha und die ganze Bodenfläche innerhalb der Mauer des Königs Manasses wieder besiedelt; aber allmählich war auch außen längs der ganzen Stadtseite ein neues Quartier entstanden, welches sich über den Abhang des nördlichen Plateaus und den früheren Hügel Goatha (Jer. 31, 39) erstreckte und als offene Vorstadt einer ummauerten Festung vielen Beschwerden ausgesetzt war.
Jerusalem unter der Herrschaft des Königs Herodes Agrippa II.
Um diesen Unzukömmlichkeiten abzuhelfen, beschloss Agrippa II., auch um diesen offenen Teil von Jerusalem eine Mauer zu ziehen und so das ganze bewohnte Jerusalem zu einem einzigen befestigten Komplex zu vereinigen. Da nach Nordwesten keine Felstäler als natürliche Sicherung vorhanden waren, so musste die neue Mauer ganz besonders stark angelegt werden. Sie wurde in der Zickzacklinie aus ungeheuren Werkstücken von 20x10x10 Ellen errichtet und erhielt 90 hoch aufragende Türme, während die Mauer Salomons 60, die Mauer Manasses nur 14 Türme zählte.
Aus Furcht vor dem Kaiser Claudius wagte Agrippa sie nicht weit in die Höhe zu führen, und erst nach ihm brachen die Juden das solide Mauerwerk auf 20 Ellen, zu denen noch eine zwei Ellen hohe Brustwehr und drei Ellen hohe Zinnen kamen. Die Nordwestecke dieser Mauer zierte und bewehrte der Turm Psephinos, ein achteckiger Bau auf hervorragender Höhe, der den höchst liegenden Punkt Jerusalems bezeichnet und noch heute als Goliathsburg bekannt ist. Durch diese Mauer erhielt Jerusalem seine Neustadt, welche nach ihrem ältesten Bestandteil auch den Namen Bezetha führte.
In dieselbe fiel nach Gottes Vorsehung auch die frühere Richtstätte, so dass der Kalvarienberg mit der nahen Grabstätte Christi innerhalb der Stadt zu liegen kam. Hierauf ist die Angabe Josephus zu verstehen, dass die Stadt da, wo sie nicht von Talabstürzen begrenzt sei, eine dreifache Mauer habe; denn eben im Nordwesten, wo das Felsmassiv mit dem Gebirge zusammenhängt, befand sich auch außer der zweiten, von Manasses erbauten Mauer auch die dritte, von Agrippa herrührende (B.J. 5, 4, 1 sq.) –
aus: Wetzer und Welte Kirchenlexikon, Bd. 6, 1889, Sp. 1319 – Sp. 1324