Der moderne Staat als geistliche Macht

Alle Irrtümer fließen aus der Zerreissung und Verstümmelung der Wahrheiten (3)

Der moderne Staat will auch geistliche Macht sein

In der Tat begnügt sich der moderne Staat, so wie ihn der angebliche Liberalismus versteht, in keiner Weise damit, bloß eine weltliche Gewalt zu sein. Er behauptet sich vielmehr unbestreitbar als geistliche Gewalt, da er ja, und vor Allem, Großmeister des Unterrichts und der Erziehung auf allen Stufen derselben sein will. Er tut sich etwas darauf zu gut, die Freiheit der Kulte zu proklamieren, aber nur unter der Bedingung, daß er das Maß dieser Freiheit nach seiner Willkür ihnen zumessen kann, wie solches in diesem Augenblick fast alle Parlamente Europa`s beweisen, vor Allem aber unter der Bedingung, daß er Herr und Richter bleibt über seine Staats-Religion oder Staats-Irreligion, die er in seinen Volksschulen, Mittelschulen und Universitäten lehren läßt. Wo aber dieser Liberalismus noch Unterrichtsfreiheit duldet, bekämpft er die freien christlichen Schulen durch die ihm zu Gebote stehenden Staatsmittel überall, wo er sie findet, bis er die Gelegenheit gekommen glaubt, sie nach dem Programm der Logen, dieser antichristlichen Kirche, ganz zu unterdrücken. Wenn er daher im Namen der Gewissensfreiheit gegen die Verbindung oder Eintracht von Staat und Kirche protestiert, so ist das eine Larve: denn was er offenbar übt und anstrebt, geht über die bloße Eintracht von Kirche und Staat weit hinaus, es ist die völlige Vereinigung und Identifizierung beider Gewalten zu seinem Vorteil. Er überträgt so der mit dem Schwert bewaffneten weltlichen Macht die Lehrgewalt, sie, die doch nach der Ordnung der Vorsehung das Schwert nicht trägt und nicht tragen soll. Er stellt demnach den heidnischen Staat, die Theokratie ohne Gott, das heißt den vollständigsten und schlimmsten Despotismus her.

Wann wird man es doch begreifen, daß, wenn man kein göttliches Gesetz anerkennt, über welches keine menschliche Gewalt, auch nicht die zu seiner Bewahrung eingesetzte kirchliche Gewalt, Macht hat, ein Gesetz, das da der Willkür sowohl der Könige, wie der Kammern und Volksversammlungen Widerstand leistet, man sofort aufhören muss, noch von Freiheit zu reden?

…werden sie in ihrer Theokratie ohne Gott verharren und so ihren begonnenen Abfall vollenden?

Das weiß Gott allein; das aber wissen wir, daß ein solcher vollendeter Abfall durch ein Buch voraus gesagt ist, dessen bereits wunderbar erfüllte Prophetien uns die Erfüllung aller seiner übrigen Weissagungen verbürgen. Wir kennen die Stunde nicht, wann die göttliche Gerechtigkeit die Welt sich selbst überlassen wird; aber wir wissen, daß diese Stunde einmal schlagen wird. Wir wissen, daß die Gesellschaft, da sie aus Menschen besteht, auch selbst nicht anders beschaffen ist, als der Mensch, und daß daher jede Gesellschaft nur in dem Maße der Freiheit fähig sein wird, als sie der Wahrheit unterworfen ist. Wir wissen, daß bevor die Völker durch das Christentum frei geworden, kein heidnischer Staat je ohne Sklaverei bestehen konnte, daß keiner auch nur die Möglichkeit ahnte, die bürgerliche Freiheit auf Alle auszudehnen, und daß, wenn die Staaten aufhören, christliche zu sein, sie auch ihren Bürgern den Besitz der bürgerlichen Freiheit nicht auf die Dauer bewahren werden, als nur dadurch, daß sie dieselbe durch ungeheure stehende Heere bewachen lassen. Oder werden diese nicht doppelt notwendig? Werden sie nicht notwendig der äußeren Politik, seitdem das Völkerrecht der christlichen Nationen dem neuen und erniedrigenden Recht der vollendeten Tatsachen Platz gemacht hat? Werden sie es nicht für die innere Politik, seitdem die Gesetzlosigkeit auf den Thronen die Gesetzlosigkeit der revolutionären Völker hervorgerufen und die Grundsätze des Abfalls von den Höhen sich bis in die tiefsten Tiefen der Völker verbreitet haben? Die Organisation der unentbehrlich gewordenen großen stehenden Heere ist aber in Wahrheit die Organisation einer neuen Sklaverei und eine gerechte Strafe für den Stolz unserer Zeit. –
aus: Victor August Dechamps, Die Unfehlbarkeit des Papstes und das allgemeine Concil, 1869, S. 104 – S. 105

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