Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariä
8. Dezember
Maria – Bau der ewigen Weisheit
Sapientia aedificavit sibi domum, excidit columnas septem.
„Die Weisheit hat sich ein Haus gebaut, ausgehauen sieben Säulen.“ (Sprichw. IX. 1)
Haus der Weisheit
Erwäge: die allgemeine Überzeugung der heiligen Väter hat sich dahin geeinigt, daß unter dem Hause, von welchem hier die Rede ist, die seligste Jungfrau Maria zu verstehen sei, die schon von Ewigkeit her von dem Wort zu seiner hehren Mutter auserwählt wurde.
Habe daher wohl Acht, wie der weise Mann hier spricht.
Da das ewige Wort vom Himmel herabsteigen wollte, bestellte es sich zweifelsohne ein Haus. Aber es bestellte sich kein Haus zur Miete, wie man zu sagen pflegt; das heißt: es erkor keine gewöhnliche Frau zu dem großen Zweck, daß sie seine Mutter werden sollte; sondern es schuf sich vielmehr dieselbe.
Was sagte ich: das ewige Wort schuf sich dieselbe? Es baute sie: „Die Weisheit hat sich ein Haus gebaut“; das heißt: die ewige Weisheit schuf sich wohl dieses Haus, aber es schuf dasselbe nicht so, wie alle übrigen aus dem Nichts hervor gerufenen Dinge, ohne gleichsam viel zu überdenken, was sie tat: „Er sprach und es ward“ (Ps. 32). Sie machte dasselbe vielmehr nach einem bestimmten Plan, mit allem Aufwand von Fleiß und Sorgfalt, mit vollendeter Kunst, mit Maßnahme und Ordnung: Die Weisheit hat ein Haus gebaut“, – und gebaut für wen? Sich selbst: „Die Weisheit hat sich ein Haus gebaut.“
Das ewige Wort hat dieses Haus nicht aufgeführt, um es irgend Jemand anderem zur Benützung zu überlassen, sondern bloß für sich allein; damit es nämlich ausschließlich seine Wohnung, seine Herberge sei, und folglich auch ein Haus, das eines Gottes würdig ist. Daher kommt, es, daß Niemand anderer in diesem Haus Aufenthalt nehmen durfte; sondern wie das ewige Wort sich zum Sohne Marias machte, so wollte es auch deren einziger Sohn sein.
Und sollte es, dies alles vorausgesetzt, nicht darauf bedacht gewesen sein, sie mit allen jenen Vollkommenheiten, Vorzügen und ausgezeichneten Eigenschaften auszurüsten, welche sie ihm um so liebwerter und teurer machen mußten?
Es gibt keinen Herrscher, der, wenn es sich um die Aufführung seines königlichen Schlosses handelt, insbesondere falls der Bau von Grund aus geschieht, Geld und Kosten sparte. Und du könntest glauben, daß hierin das ewige Wort auf andere Weise habe verfahren wollen?
Ja, gerade deshalb erscheint es hier unter dem Namen der Weisheit, mit Hintansetzung eines jeden anderen Namens: „Die Weisheit hat sich ein Haus gebaut“; damit man daraus entnehme, daß bei der Herstellung dieses so schönen Gebäudes gerade sie, als oberste Baumeisterin, ganz besonders tätig war, und jeden Fehler, jeden Übelstand, jede Unziemlichkeit von dem Bau ferne hielt; ja denselben vielmehr mit so vollendeter Kunst schmückte, daß man daraus klar ersähe, dies sei ein Werk, das eigens von ihr zu dem Zweck aufgeführt sei, um als ihr Meisterstück zu glänzen.
Hättest du also keinen anderen Maßstab, um die unaussprechlichen Vorzüge der seligsten Jungfrau zu messen; so müßte dir dieser eine genügen: der Gedanke nämlich, daß die ewige Weisheit es war, welche sie baute, und zwar bloß zu ihrem Hause baute, und für Niemand anderen: „Die Weisheit hat sich ein Haus gebaut.“
Schutz vor feindlichen Gewalten
Erwäge: wo wäre der Fürst, der, nachdem er sich einen prachtvollen Palast erbaut, willig gestattete, daß zuvor einer seiner ärgsten Feinde, ein meineidiger Überläufer oder Empörer, denselben bezöge, um darin zu wohnen, und ihn mit den Gifthauch seines scheußlichen Atems zu verpesten? Im Gegenteil, – weit entfernt, dieses je zu gestatten, würde er nicht einmal auf tausend Meilen weit jenen Schurken dort nahe sehen wollen.
Und dann sollte man denken können, daß das ewige Wort ein so schönes Haus, wie die seligste Jungfrau ist, gebaut, und noch dazu eigens für sich gebaut habe, und dessen ungeachtet nicht entgegen gewesen sei, daß vor ihm sein ärgster Feind, der Teufel, Wohnung darin nehme? Ja nicht bloß Wohnung darin nehme, sondern Besitz davon ergreife – kraft jener Sünde, welcher wir den Namen der Erbschuld geben? Dies kann vernünftiger Weise keinem Menschen glaubbar erscheinen.
Denn aus welchem Grunde konnte das ewige Wort den Teufel von diesem herrlichen Haus Besitz nehmen lassen? Aus Notwendigkeit? Oder aus freiem Willen?
Wenn aus Notwendigkeit, – so besaß das ewige Wort also nicht so viel Macht, um den bösen Geist daran hindern zu können. Wenn aus freiem Willen, – so hatte also dasselbe nicht so viel Liebe zur seligsten Jungfrau, um eine solche Besitznahme hindern zu wollen. Wo ist aber der Christ, der einen von diesen widersinnigen Sätzen, die beide das Ärgste enthalten, zugeben möchte?
„Die Weisheit hat sich ein Haus gebaut“; man muß also auch glauben, daß sie die es für sich baute, auch für sich inne haben wollte. Und wenn sie nicht einmal gestattete, daß nach ihr jemals der böse Feind sich diesem Hause näherte; wie hätte sie es geschehen lassen können, daß er vor ihr darin wohnte?
Sache der Weisheit war es also, das so herrliche Haus zu bauen; und Aufgabe der Vorsehung war es, dasselbe vor allen feindlichen Gewalten zu schützen: „Durch die Weisheit wird das Haus gebaut, und durch die Klugheit wird es gefestigt werden.“ (Prov. 24,3)
Sieben Säulen
Erwäge dann: damit dieses Haus um so ansehnlicher dastehe, heißt es weiter, daß die Weisheit, indem sie dasselbe baute, viele Säulen in ihm aufstellte, welche ihm zugleich zur Stütze und zur Verschönerung dienen sollten: „Sie hat sieben Säulen ausgehauen“; das heißt: sehr viele, gemäß einer in der heiligen Schrift sehr häufigen Redeweise. Zum Beispiel: „Die Seele eines heiligen Mannes spricht öfter Wahres, als sieben Wächter, welche auf der Warte sitzen zum Spähen.“ (Ekkli. 37,18)
Diese Säulen sind die Tugenden, welche die Seele der reinsten Jungfrau zierten.
Wer vermöchte aber zu sagen, wie viele dies gewesen sind? Alle waren es. Denn diese Bedeutung hat die Zahl sieben in der heiligen Schrift ebenfalls: „Durch die Siebenzahl wird die Allheit bezeichnet“, sagt der heilige Augustin. (S. August. De Civ. Dei, lib. XI,31)
Indessen sind zuletzt alle Tugenden, so fern man sie unter ihre verschiedenen Gattungen ordnet, auch sieben an der Zahl, nach dem engeren Sinn des Wortes. Und darum werden sie auch hier als sieben in diesem letzteren Sinne dieses Wortes bezeichnet: sieben nicht nach der Ordnungszahl, sondern nach ihrer Gattungsverschiedenheit.
Es sind nun dies die sieben sogenannten Haupttugenden, aus welchen alle übrigen folgerecht sich entwickeln: die drei theologischen oder göttlichen Tugenden, – Glaube, Hoffnung und Liebe; welche deshalb göttlich oder übermenschlich heißen, weil sie dem Menschen in so fern eigen sind, als er durch die gnadenvolle Erhebung in den übernatürlichen Zustand der göttlichen Natur teilhaftig gemacht worden ist; – und die vier Grundtugenden: die Klugheit, die Gerechtigkeit, die Mäßigkeit und die Stärke, welche menschliche oder sittliche Tugenden genannt werden, weil sie dem Menschen eigen sind, auch in so fern er in seinem rein natürlichen Zustand, ohne irgend eine Erhebung in einen höheren Zustand, betrachtet wird.
Jedoch waren alle diese Tugenden in der seligsten Jungfrau nicht so wie in uns. In uns sind sie nämlich schwach und wankend; in Maria aber waren sie fest, waren sie stark, und heißen eben deshalb Säulen: „Sie hat sieben Säulen ausgehauen.“ Denn in Maria sanken und stürzten diese Tugenden niemals, sondern wurden vielmehr sogleich für alle Zeit unwandelbar fest gemacht – vermöge der dauerhaftesten und bevorzugtesten Festigung in der Gnade, die es je geben kann; einer Festigung nämlich, durch welche selbst alle und jede böse Begierlichkeit vollkommen ausgeschlossen wird: „Ich habe ihre Säulen gefestigt.“ (Ps. 74,4)
Bei dem Anblick dieser so wunderbar schönen Säulen nun, – was bleibt dir Anderes übrig, als bloß sie staunend anzuschauen und zu betrachten? Betrachte sie nur recht aufmerksam, und du wirst auf jeder derselben mehrere unvergleichliche Werke Marias abgebildet sehen, von denen einige auf den Glauben, andere auf die Hoffnung, andere auf die Liebe, und andere auf die übrigen Tugenden, die wir oben nannten, sich beziehen. Bewundere sie, liebe sie, küsse sie mit den Lippen eines andachtsvollen Herzens.
Willst du aber eine wahre Andacht zeigen, o bilde sie in dir selbst nach. Es ist recht, die Tugenden der seligsten Jungfrau zu preisen: es ist recht, sie zu loben: es ist recht, sie zu bewundern; aber viel besser als dies alles ist es, sie nachzuahmen.
Vollkommenheit ihrer Tugenden
Erwäge schließlich: der göttlichen Weisheit wird hier nicht als besonders erwähnenswerte Tat zugeschrieben, daß sie mit eigener Hand jene Säulen bearbeitet oder aufgestellt oder geschmückt habe; es wird ihr vielmehr besonders zugeschrieben, daß sie dieselben ausgehauen habe: „Sie hat sieben Säulen ausgehauen“; damit man so erkenne, aus welchem Schacht sie genommen seien: aus einem Schacht von so großer Kostbarkeit und von so wunderbarem Wert, daß es bloß der ungeschafffenen Weisheit zustand, denselben in seinen tiefsten Lagern zu durchforschen.
Daher kommt es, daß selbst jene Tugenden, welche sich auch bei den übrigen Menschen finden, in der seligsten Jungfrau von einer so ausgezeichneten, von einer so unaussprechlich erhabenen Art sind, daß sie eine Höhenstufe bilden, welche jene, in der sie bei den anderen Gerechten vorkommen, weitaus übersteigt.
Ist dies aber richtig, – wer kann dann denken, daß auch die seligste Jungfrau von Gott in dem allgemeinen Übereinkommen einbegriffen sei, welches Gott mit Adam schloß, als er bestimmte, daß von dessen Gehorsam die Glückseligkeit aller seiner Nachkommen abhängen sollte? Sie, die einen um so viel größeren Glauben als Adam, eine um so viel größere Hoffnung als Adam, eine um so viel größere Liebe als Adam, eine um so viel größere Klugheit als Adam, eine um so viel größere Gerechtigkeit als Adam, eine um so vielgrößere Mäßigkeit als Adam, eine um so viel größere Stärke als Adam besitzen mußte? Und zwar größer nicht bloß was die wirkliche Tugendübung, sondern auch was die der Seele als dauernde Eigentümlichkeit innewohnende Fülle und Fertigkeit der Tugend betrifft; so daß die seligste Jungfrau vermöge der Vollkommenheit, welche ihren Tugenden eigen war, mit viel größerer Leichtigkeit das ganze Gesetz des Herrn in vollendeter Genauigkeit zu erfüllen vermochte.
Dies ist ein Beweis, der viele Wahrscheinlichkeit in sich hat, um zu zeigen, wie ganz billig die seligste Jungfrau aus Rücksicht auf Jesus Christus, dessen würdiges Wohnhaus sie sein sollte, von dem allgemeinen Los ausgeschlossen werden konnte, daß auch sie von der Beständigkeit des Adam hätte abhängig sein müssen: ein Los, das an und für sich für Andere aus vielen Gründen, für sie aber aus keinem Grund wünschenswert gewesen.
Was hast nun du zu tun, als dich aus ganzem Herzen mit der seligsten Jungfrau zu freuen, weil sie zu der so hehren Würde auserkoren wurde, daß sie die Mutter ihres Herrn werden sollte?
Und wenn daraus so viele andere Vorzüge und Auszeichnungen ihr entsprangen, so darfst du mit Recht denken, daß auch die Gnade, ohne Sünde empfangen worden zu sein, aus derselben Würde ihr entspringen mußte. Denn widrigenfalls – welcher Mißstand, schon in der Ordnung des göttlichen Ratschlusses, wäre es gewesen, wenn ihr im zweiten Augenblick ihres Lebens so ausgezeichnete, so erhabene, so selbst alles denkbare Maß der Gnade übersteigende Tugenden verliehen worden wären, und Gott doch zugleich gestattet hätte, daß sie im ersten Augenblick eine Tochter des Zornes gewesen wäre? „Goldene Säulen auf silbernen Fußgestellen“, spricht der Herr (Ekkli. 26,23), – und nicht auf tönernen. –
aus: Paul Segneri S.J., Manna oder Himmelsbrod der Seele, 1853, Bd. IV, S. 495 – S. 500