Wanderbuch: Woher kommen wir ?
„Ich glaube an Gott Vater.“ (Fundamentalartikel)
Im Namen Gott des Vaters, und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen. – „Aber das fängt einfältig an“, wirst du dir denken. Ja, gerade so einfältig, wie dein Leben. Kommt ein Kind zur Welt, und soll es seine Wanderschaft durch Welt und Zeit beginnen, so ist das Erste, was die katholische Mutter ihm als Reisestab zur Hand gibt, das heilige Kreuz; und wenn es an dem Grenzstein seines Pilgerlebens, am Stein des Grabes anlangt, und es sonst alles, sogar den eigenen Leib schon abgelegt hat, legt ihm die hl. Mutterkirche wieder den Wanderstab, das Kreuz, auf seine Bahre und pflanzt es auf über dem kleinen Erdhügel, worunter es zu schlafen kommt. – Darum soll auch dies Buch, das für solche Wanderschaft geschrieben, nicht anders seinen Lauf beginnen, als mit dem Kreuz. Und was die Einfalt des Spruches anbelangt, so ist sie so tief und reich an Geist, daß der studierte Kopf davon nur das Wenigste zu verstehen, und der heiligste Mann darüber nur das Kleinste zu reden vermag. Mit einer und anderen Frage über seinen Sinn und seine Bedeutung kann man den gelehrtesten Kopf konfus machen, und es wäre ein Leichtes, mit dem Leser gleich jetzt eine Probe hierüber anzustellen.
Aber ich will dich in keiner Weise mit gelehrten Dingen plagen; wir wollen aus dem Kreuzzeichen nur so viel heraus nehmen, als wir brauchen, um Antwort auf die Frage da oben am Titel zu geben.
… Ich weiß, du wirst gleich auf deinen Vater und deine Mutter hinweisen und sagen: „Ich komme von Haus, von Mutter und Vater her.“ –
Es mag schon wahr sein, daß du nicht wie eine Sternschnuppe oder Schneeflocke vom Himmel gefallen bist; es mag auch wahr sein, daß du von ihnen allerlei gute oder schlechte Manieren als Erbstück mitbekommen, und dein Angesicht dem einen oder andern nachschlage; aber was dein Herkommen von Vater und Mutter nach Seel und Leib betrifft, habe ich so meine Gedanken. –
Wie andere Leute wird auch dein Vater ein Adamssohn und deine Mutter eine Evastochter sein, oder vielleicht schon gewesen sein; sie liegen etwa schon über ein Jahr in der allgemeinen Totenkammer auf dem Friedhof draußen; Gott habe sie selig. Es ist aber gewiß kein freventliches, unehrerbietiges Urteil, sondern einfache Wahrheit, wenn ich sage, als Menschenleute werden sie auch den Herzenswunsch gehabt haben, dich als ein recht frisches, gesundes, hübsches Kind zur Ausstellung in die Welt zu bringen. Ja, ich will deinen beiden Eltern die Ehre antun und sagen, wenn es an ihnen allein gelegen und in ihrer Vollmacht gestanden wäre, wärest du ganz gewiß das allerschönste Erdenkind, ein wahres Weltwunder von Schönheit, und schon gar ein Ausbund von Gescheitheit und Talent geworden. So was hätte deine Mutter ihrem Herzen nicht versagen können.
Nun aber ist von besonderer Pracht und Anmut und von wundervoller Weisheit an dir eben nicht mehr zu finden, als an anderer Mütter Kindern; du bist halt auch Einer von uns; und de Schuld daran haben dein Vater und deine Mutter nicht; sie haben gegeben, was sie hatten, und mehr nicht. Wenn du sie daher fragen wollest, und sie dir deutsch und christlich wahr Antwort geben wollten, wie es mit deiner Herkunft bestellt gewesen, müssten sie eingestehen und bekennen, sie wüßten`s nicht, – außer sie wollten gescheiter sein, als die Mutter der sieben machabäischen Brüder. Von ihr heißt es in der Schrift: „Sie ermahnte Jeden derselben in der Vätersprache kräftig und voll Weisheit, und mit dem weiblichen Sinne männlichen Mut verbindend sprach sie zu ihnen: „Ich weiß nicht, wie ihr in meinem Schoß geworden, denn nicht ich habe euch gegeben Geist und Leben, und nicht ich habe die Glieder eines Jeden zusammen gefügt.“ Nun, wer denn anderer? – Sie betet ihr Glaubens-Bekenntnis weiter und sagt: „Der Schöpfer der Welt hat es getan, welcher des Menschen Entstehung angeordnet und den Ursprung aller Dinge gemacht hat.“ –
Willst du mir also, ehrsamer Leser! auf die Frage: woher? keine halbe, oberflächliche, sondern ganze Antwort geben, so mußt du schriftgemäß mit Job (10) sagen: „Deine Hände, o Gott! haben mich gebildet und geformt um und um, und Leben und Erbarmung hast Du mir gegeben.“ – Du mußt sagen: „Ich bin ein Mensch von Gottes Gnaden.“
In vornehmen Häusern halten sie viel auf die Voreltern und den Adel der Geburt, und es ist daher in früheren Zeiten Brauch gewesen, die Namen derselben aufzuschreiben, einen über den andern, und dann in einer Tafel im alten Schloß aufzuhängen, daß die Kinder wüßten, wie weit her das Blut rinnt, das sie in ihren Adern herum tragen. Um der Sache ein besseres Ansehen zu geben, hat man einen Baum gezeichnet, der gleichsam aus dem Grabe des Ururgroßvaters heraus wächst und immer größer hinan treibt; und auf dem Stamm und in den Ästen und Zweigen und Blättern saßen dann, wie die Vögel des Himmels, die Namen der erlauchten Mitglieder der gräflichen oder fürstlichen Familie. Das nannte man sodann einen Stammbaum. Und es war leicht, von den letzten jüngsten Zweigen und Sprossen der Familie bis auf die Wurzel hinab, das ganze Geschlecht zu übersehen und zu sagen, woher sie alle kommen.
Einen solchen Stammbaum hat der Evangelist Lukas auch für unsern Heiland gemacht, und dort heißt es: „Jesus war ein Sohn des Josef – dieser des Heli – dieser des Mathat – dieser des Levi“, und so immer weiter zurück in längst vergangene Zeiten bis auf Henos; „Henos war des Seth – Seth des Adam – Adam aber war – Gottes. – Nun bis auf Adam hinauf geht auch dein Stammbaum, du Leser, und darum gilt auch bei deinem Geschlecht zuletzt: „Adam war Gottes.“ Und wärest du zur Stunde, wo du aus geheimnisvoller Werkstatt heraus getreten und das erste Mal deinen Fuß auf unseren Erdball zu setzen gewagt hast, wärest du damals bei verstand und Sprache gewesen, und hätte man dich da gefragt, woher, und in wessen Kraft und Namen du daher kommest, hättest du unerschrocken vor aller Welt deinen Paß vorzeigen und sagen können: „Im Namen Gott des Vaters, und des Sohnes und des hl. Geistes“, komme ich an, und bin ich da, und sag ich: Gott zum Gruß.
So hätten wir allbereits hand- und schriftfeste Antwort auf die Frage: „Erdenpilger! Woher? –
Antwort: „Von Gott.“
Aber das kurze Sprüchlein: Im Namen Gott des Vaters usw. ist recht wie eine süße Edeltraube; je mehr man sie preßt, desto mehr und stärker rinnt das Rebenblut hervor. Darum lassen wir es noch nicht aus; wir wollen gleichsam Beere für Beere, Wort für Wort hernehmen, und den Geist daraus pressen.
Es ist in diesem kurzen Glaubens-Bekenntnis, wie der Leser merkt, die Rede von Gott dem Vater und von Gott dem Sohne. Gibt es denn in Gott auch eine Familie? Was getraut sich der Leser darauf zu sagen? Und wenn es eine Familie Gottes gibt, wie wagt so ein elendes Menschenkind, selbe zu zitieren und sich darauf zu berufen, als wäre es auch seine Familie, und als gehörte es auch dazu, um zu sagen: Im Namen Gott des Vaters? – – Ist das nur ein schöner Gedanke zu frommer Kurzweil und zu andächtigem Zeitvertreib, oder ist Ernst und Wahrheit darum und daran? – und ist der Leser da vor mir etwa mehr noch, als durch Gottes Gnaden ein Menschenkind von Adam her? –
… Nun wohlauf, du Menschenkind! Juble und frohlocke, ich verkünde dir große Freude! – Komm nur, und sieh, und glaube! –
Am Ufer des Jordans steht der hl. Täufer; im Wasser siehst du den Menschensohn, Jesum von Nazareth, der sich taufen läßt, und da steigt der hl. Geist in leiblicher Gestalt einer Taube gleich, auf ihn herab, und eine Stimme erschallt vom Himmel her: „Du bist mein geliebter Sohn; an Dir habe ich mein Gefallen.“ – (Lucas).
Da haben wir jetzt das Zeugnis vom Himmel selber, daß es eine Familie Gottes gibt, und daß der Sohn des Menschen, Jesus von Nazareth, auch der einzig geliebte Sohn des ewigen Vaters sei. – Und dieser Sohn Gottes des Vaters ist auf diese öde Welt gekommen, wo du jetzt wohnst, und hat auf ihr gewandelt, und geht noch immer unsichtbar in ihr herum. Und da kam er eines Tages auch an einen Ort in unserem deutschen Lande, und da trug man ein kleines neugebornes Kind des Weges daher, zu einem Wasser im Brunnen. Man goss einige Tropfen davon dem Kinde über das Haupt und sprach ein paar Worte darüber; – und sieh nun! in diesem Augenblick rief der Sohn Gottes in heiliger Freude aus, wie Philipp von Spanien: „Du bist ein Kind des ewigen Vaters, du bist mein Bruder!“ und vom Himmel herab sah Gott Vater auf das Kleine, und sagte: Du bist mein geliebtes Kind, an dem ich mein Gefallen habe! Und der hl. Geist weihte Leib und Seele zu seiner Königswohnung, zu seiner Kirche, und das kleine Herz zu seinem Tabernakel ein! – Und dieses hoch beglückte Kind nun – dieses froh beglückte Kind – bist du! O Leser! steh auf vor dir selber in Ehrfurcht, ja steh auf und grüße dich andächtig und sprich: „Ich – bin – ein Kind – Gottes! – Gott ist mein Vater! – Jesus – ist mein Bruder, der hl. Geist – mein süßer Gast.“ –
So wahr du getauft bist, ist auch das Preisgebet zu dir selbst wahr und gültig vor Gott! – Sag und bete: Credo, ich glaube.
Du bist also eingetreten in die hl. Familie Gottes selber, ein angenommenes Kind Gottes. Und wenn deine leiblichen Eltern dich anschauen und von dir sagen können: „Das ist Fleisch von meinem Fleisch, und Blut von meinem Blut“, so sagt auch Gott der Dreieinige, wenn er in deine getaufte unschuldige Seele hinein schaut: „Das ist Geist von meinem Geist, das ist Leben von meinem Leben“; und wenn dich deine Mutter als Kind gern angeschaut hat, weil die Leute gesagt haben, du schlagest ihr im Gesicht nach, so schaut auch zu dieser Stunde, wo du das liest, dein himmlischer Vater mit Freude auf dich herab, und in dich hinein, weil er an deiner Seele sein Bild, das Portrait seines eingebornen Sohnes sieht, wenn du anders nicht mit einer Todsünde auf dem Herzen vor ihm stehst.
Und darum ist der Spruch vorne am Titel: Im Namen Gottes usw. nicht bloß Stammbaum für dein Erdenleben, sondern es ist auch dein Geschlechtsregister im hohen unsichtbaren Leben der Kindschaft Gottes. Zuerst kommt der ewige Vater, dann kommt sein erstgeborner Sohn, dann kommst du, in Kraft und Liebe des heiligen Geistes bei der Taufe angenommenes Kind des Vaters, und Bruder Jesu Christi!
„Also woher kommst du!“ – Sage es jetzt mit heiligem Stolz auf deine hohe Würde, und mit Geringachtung aller Grafen- und Fürstentitel: „Ich bin – von Gott dem Vater, und dem Sohne, und dem hl. Geist.
Der schönste Name, und der ehrenvollste Titel, womit ich also von nun an den Leser dieses Buches anreden darf und will, ist das hohe Wort: „Kind Gottes!“
Das ist jetzt keine Schmeichelei von meiner Seite, sondern es ist unfehlbare katholische Wahrheit; und wenn du sie nicht glauben willst, so hast du dich selber aus der Familie Gottes ausgeschlossen; hast du aber Gott nicht zum Vater, kannst du auch die Kirche nicht zur Mutter haben, du hast dich selber exkommuniziert, es braucht es dein Bischof oder Pfarrer nicht erst noch extra am nächsten Sonntag von der Kanzel aus zu verkünden. Du bist kein Katholik mehr! – Verstehst du mich? –
aus: Franz Ser. Hattler SJ, Wanderbuch für die Reise in die Ewigkeit, I. Band, Erster Teil. Wo gehst du hin?, 1883, S. 7 – S. 14