Von dem heiligen Lichtmess-Tag oder Mariä Reinigung
Was das Lichtmess-Fest anbelangt, sollst du wissen, daß dasselbe ein gar hohes, liebliches, trostvolles und geheimnisreiches Fest ist, weil an demselben verschiedene große Geheimnisse zu unserem Trost geschehen sind. Von diesem Fest sagte der hl. Ambrosius: „Wenn die Gläubigen erst bedenken, was für ein Festtag heute gefeiert wird, so werden sie denselben mit der nämlichen Andacht begehen, mit welcher sie die Feier des heiligen Christtages begangen haben. Denn es gilt die heutige Festfeier demselben, dem auch die Christfeier gegolten hat, nicht mehr und nicht weniger; denn derjenige, welcher damals geboren worden, wird heute aufgeopfert. Welchen damals die Engel lobten, den preisen jetzt die Menschen, und der damals den Hirten verkündet wurde, der wird heute dem Simeon und der Anna geoffenbart. Also ist heute ein zweifaches Fest, ein fest Christi und ein Fest Mariä, nämlich Christi Opferung und Mariä Reinigung. O was für große Geheimnisse sind hier verborgen! O was für große Wunder sind heute geschehen! Die Allerheiligste unter den Weibern wird den andern Weibern gleich geachtet; die reiner war als die Sonne, wird gereinigt; die reicher war als Salomon, konnte kein Lamm kaufen; die eine schwache Jungfrau war, trägt den Allmächtigen auf ihren armen. Sie opfert dem allerhöchsten Gott den Allerhöchsten auf; sie stellt denjenigen Gott vor, der nimmer von Gott gewichen war; sie löst denjenigen aus, der die Erlösung selber war; sie bezahlt denjenigen mit geringem Geld, der mehr wert war als die ganze Welt; sie kauft den mit fünf Sekel (…) los, der die ganze Welt mit fünf Wunden erkaufen wird. Sie opfert denjenigen auf dem Altar, der sich selbst einst am Kreuz opfern wird; sie gibt dem Herrn denjenigen wieder zurück, den er ihr gegeben hat. So sind die Flüsse wieder an den Ort zurück gekehrt, von wo sie entsprangen, damit sie aufs neue wieder ausströmten.“
O was für eine tiefe Demut üben heute die allerheiligsten Personen Jesus und Maria! Die zwei strahlendsten Himmelslichter, die sonne und der Mond, werden verdunkelt und erleiden eine große Finsternis. Der schöne Mond, die seligste Jungfrau, wird heute einem gewöhnlichen Weibe gleich geachtet, wie wenn sie in Sündhaftigkeit empfangen und geboren und ihre Jungfrauschaft verloren und also gleich einer andern Mutter die Reinigung von Nöten hätte. –
Um dies zu verstehen, wisse, daß Gott im Gesetz befohlen hatte, daß wenn ein Weib ein Knäblein geboren, sie acht Tage für unrein gehalten werden sollte, so daß alle, die mit ihr umgingen, und alles, was sie berührte, durch sie unrein wurde. Nach diesen acht Tagen durfte sie zwar mit den Leuten, ohne diese zu verunreinigen, umgehen; gleichwohl aber wurde sie nicht für würdig gehalten, in die Kirche zu gehen, bis auf den vierzigsten Tag nach ihrer Geburt. Alsdann musste sie kommen, sich als eine arme Sünderin vor dem Priester im Tempel zu Jerusalem anklagen und Gott für ihre Sünden ein Opfer bringen, nämlich zwei Turteltauben oder junge Tauben, eine für ihre Sünden, die andere zum Brandopfer oder zur Danksagung, daß sie glücklich geboren hatte.
Diesem Gesetz war Maria nicht unterworfen, weil sie ohne Sünden empfangen und geboren hatte; gleichwohl, um uns ein Beispiel der Demut zu geben, hat sie gerne gelitten, für eine Sünderin, für ein gewöhnliches Weib von aller Welt angeschaut und durch den Priester gereinigt zu werden. „Maria ist so rein gewesen“, sprach der hl. Johannes zu St. Brigitta, daß man keine einzige Makel der Sünde jemals an ihr hat finden können, von ihrem Eintritt in das irdische Leben an bis auf den letzten Tag ihres Hinscheidens; ja selbst alle Teufel konnten an ihr nicht soviel Unreinigkeit finden, als eine Nadelspitze berühren könnte.“ Gleichwohl wollte dieser allerreinste Mond heute aus lauter Demut gereinigt werden, und aus lauter Demut wollte er auch, daß zu ewigen Zeiten dieses Fest genannt werde „Mariä Reinigung“, wie wenn sie einer unreinen Sünderin gleich der Reinigung bedurft hätte.
Heute ist aber auch die hell glänzende Sonne verdunkelt worden und hat eine große Finsternis erlitten, indem der Sohn des himmlischen Vaters nicht allein wie ein unreines Kind zugleich mit seiner Mutter gereinigt, sondern auch zum leibeigenen Sklaven hat gemacht werden wollen. Am Christtage erlitt gleichsam die Sonne eine Finsternis, weil Gott Mensch wurde; am Neujahrstag erlitt sie eine größere Finsternis, weil dieser menschgewordene Gott einem Sünder gleich ein Brandmal bekam. Heute aber leidet die Sonne noch größere Finsternis, weil er nicht allein wie ein Sünder, sondern wie ein leibeigener Knecht und wie ein Sklave erschien, indem er für den Preis eines Sklaven geschätzt und gleichsam verkauft wurde. O wie heilsam wurde für uns diese Sonnenfinsternis! Maria hat Christum dem himmlischen Vater um fünf Sekel abgekauft; jedoch gab sie das Geld nicht aus eigenen Mitteln, weil sie arm war, sondern die heiligen drei Könige hatten es ihr geliehen: diese aber waren die Erstlinge aus dem Heidentum und haben uns alle vorgestellt. So ist nun Christus durch Geld, welches wir ihm geliehen, und somit durch einen rechtmäßigen Kauf unser geworden. Darum nimmt Maria am heutigen Tage ihr Kindlein auf die Arme und ist bereit, es allen Menschen zu geben, weil es eigentlich ihnen gehört. Wer also nur immer will, der kann Maria entgegen gehen und ihr das Kindlein abnehmen.
Deshalb stellt die katholische Kirche heute eine Prozession an und will, daß wir alle mit brennenden Kerzen unserm Heiland entgegen gehen und ihn mit aller Andacht empfangen und ihn willkommen heißen sollen. Die Kirche singt bei dieser Prozession also: „Ziere dein Brautbett, o Tochter Sion, und empfange Christum, den König!“ – gleich als wollte sie sagen: „O Tochter Sion, du andächtige Seele! siehe, am heutigen Tage bringt die seligste Jungfrau deinen Erlöser; sie hat ihn schon dem greisen Simeon gegeben und will ihn auch dir geben, auf daß er dein eigen sei; darum ziere und bereite dein herz wie zu einem sanften Brautbett, damit du ihn darin aufnehmen kannst. Gehe ihm entgegen mit brennender Kerze, das ist mit wahrem Glauben, brennender Liebe und inbrünstiger Andacht, gleichwie die fünf weisen Jungfrauen dem Bräutigam entgegen kamen, und lade ihn ein, daß er zu dir komme und dein Herz mit seiner Gnade erfülle. Sprich daher. „Siehe, o mein liebster Jesus! Hier komme ich in Gesellschaft der fünf weisen Jungfrauen, die mit brennenden Lampen dir entgegen gingen, und begehre, dich in das Schlafgemach meines Herzens einzuführen; ich habe dir dasselbe als ein wohl geziertes Brautbett zubereitet, auf daß du sanft darin ruhen mögest. So komm denn zu mir und nimm deine ewige Wohnung bei mir. Amen.“
Endlich wisse, daß dieses Fest alle Jahre an diesem Tage mit großer Herrlichkeit im Himmel gefeiert werde, wie die hl. Brigitta einmal mit Augen gesehen hat, wovon ihre Offenbarung (7, 20) also meldet: „Am Tage der Reinigung Mariä, als die Braut Christi (Brigitta) zu Rom in der Kirche ‚Mariä der Größern‘ war, ward sie im Geist verzückt und sah, wie wenn alles im Himmel zu einem großen Fest bereitet würde. Sie sah auch einen wunderschönen Tempel, in welchem der ehrwürdige, gerechte Simeon stand und mit höchster Begierde und Freude wartete, das Jesuskindlein auf seine Arme zu nehmen. Danach sah sie die seligste Jungfrau mit größter Ehrbarkeit kommen, indem sie ihren Sohn auf den Armen trug, um ihn im Tempel zu opfern. Vor der Jungfrau her gingen unzählbare Engel und unterschiedliche Chöre der Heiligen Gottes, besonders der Jungfrauen und Frauen, welche die Mutter Gottes in unaussprechlicher Freude und Andacht umgaben. Vor ihr her wurde ein langes, breites blutiges Schwert getragen, welches jene großen Schmerzen andeutete, welche Maria beim Tod ihres allerliebsten Sohnes gelitten und die ihr heute der alte Simeon vorher gesagt hat. Hierauf verschwand das Gesicht, und der hl. Brigitta war nicht vergönnt, den übrigen Zeremonien beizuwohnen.“ Siehst du also, o andächtige Seele, wie im Himmel alle Jahre an diesem Tage ein herrliches Fest gehalten wird? –
aus: Des ehrw. P. Martin von Cochem großes Leben und Leiden unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi und seiner glorwürdigen Mutter Maria, 1898, S. 156 – S. 157