Der dreigestaltige Rosenkranz gegen die dreiköpfige Schlange
… Freilich jetzt haben viele Christen das Beten, und besonders das Betrachten verlernt. Der Geist der Welt mit all seiner Pracht und Herrlichkeit, seiner Genusssucht und Lebenslust ist in sie eingezogen, und er ist es nun, der durch ihr Auge schaut, durch ihr Ohr hört, durch ihren Mund spricht, durch ihr Herz empfindet, begehrt und liebt. Der Geist der Welt aber und der Rosenkranz, der Geist der Welt und das Kreuz, o nein, diese beiden harmonieren nicht; es ist darum ganz richtig, wo in einer Seele der Geist der Welt herrscht, da erscheint der Rosenkranz langweilig und geistestötend.
Es wird eine Zeit kommen, sagte einmal der fromme Seher und Erklärer der Geheimen Offenbarung, Bartholomäus Holzhauser, wo es Christen gibt, qui Christum portant in ore, die Christus im Munde, mundum in manibus, die Welt in den Händen, et diabolum in corde, und den Teufel im Busen tragen. Diese Zeit ist jetzt gekommen, diese Christen sind da; daher der Rosenkranz so vielen langweilig, so vielen geistestötend. Aber sollen und wollen sie nicht zu Grunde gehen, so muss der böse Geist ausgetrieben werden, und dies geschieht am wirksamsten durch den Rosenkranz. Denn was ist dieser böse Geist im Busen des Menschen, was ist dieser Geist der Welt? Der heil. Johannes sagt in seinem ersten Brief mit all der väterlichen Hirtenliebe, die ihn beseelte: „Ich schreibe euch, Kinder, weil ihr Gott, den Vater, kennt; ich schreibe euch, Jünglinge, weil ihr starkmütig seid und den Bösen überwunden habt.“ Und was schreibt er ihnen? Dies: „Habet nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist. Denn alles, was in der Welt ist, ist Begierlichkeit des Fleisches, Begierlichkeit der Augen und Hoffart des Lebens.“ Aus diesen drei Stücken aber besteht gerade der Geist der Welt; wer ihn also austreiben und bannen will, muss ihn in jedem dieser drei Wesensteile angreifen und zu erwürgen suchen.
Aber gerade der Rosenkranz, dreigestaltig wie er ist, ist darauf eingerichtet, jener dreiköpfigen Schlange siegreich zu Leibe zu gehen. Gegen die Hoffart des Lebens, gegen den Stolz, von dem aufgebläht jetzt so viele über sich und andere hinaus wollen, gegen Gottes Gebote sich empören und auflehnen und nach Art des verhärteten Pharao immer nur fragen: „Wer ist der Herr, daß ich ihm dienen solle?“, um dann dem Teufel nicht bloß im Hochmut, sondern sicher auch einmal im Falle ähnlich zu werden, ist der gnadenreiche (oder freudenreiche) Rosenkranz gerichtet; denn er zeigt uns den Sohn Gottes in seiner unbegreiflichen Demut und Herablassung, worin er, der wahre Gott, Mensch, – er, der Große, klein, – er, der Allmächtige, schwach, – er, der Höchste, gering geworden. Ist es denn aber da ein Wunder, daß derjenige, der den gnadenreichen Rosenkranz zu beten versteht, aus jedem seiner Geheimnisse den Mahnruf des Sohnes Gottes an seine Seele heraus hört: „Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen“? Einem solchen ist darum auch angesichts der Hoffart des Lebens zu Mute wie dem, der also betet:
O du von Herzen milde
Und demutsvoll und rein,
O laß nach deinem Bilde
Mein Herz gestaltet sein!
Und wenn er sich andächtig und immer andächtiger in den freudenreichen Rosenkranz hinein betet, so muss es ihm auf einmal ums Herz werden wie einem frommen Kinde um die selige Weihnachtszeit, das da seine Freude in dem Lied aussingt:
Sei uns gegrüßt in dunkler Nacht,
O Kind, so arm! So reich!
Du hast den Himmel uns gebracht,
Wer ist an Lieb` dir gleich?
Sei uns willkommen, heil ́ger Christ,
O kehre bei uns ein,
Und mach` uns, wie du selber bist,
So demutsvoll und rein.
Gegen die Begierlichkeit des Fleisches, d. h. gegen jene sündhafte Lust, welche den Menschen von der Höhe der Gottähnlichkeit degradiert und herunter würdigt, um ihn dem unvernünftigen Tiere gleichzustellen, ist der schmerzenreiche Rosenkranz gerichtet; denn er zeigt uns den Erlöser der Welt in seinem großen, namenlosen Leid, das er ausgestanden in seiner Todesangst, ausgestanden bei der Geißelung, ausgestanden bei der Dornenkrönung, ausgestanden auf dem Kreuzwege, ausgestanden und durchgelitten am Kreuz. Wem sollte denn aber angesichts dieses hehren Leidens, welches den unumstößlichen Beweis geliefert, daß jede Seele den Wert des Blutes Christi hat, nicht die Lust vergehen, seine Seele zu entwürdigen? Kein Wunder, daß jenem, der den schmerzenreichen Rosenkranz betet, in der Versuchung, wenn die böse Lust ihn anwandelt, dieser Rosenkranz ein Mahnruf ist: „Schau, und mache es nach dem Vorbild, das dir gezeigt worden auf dem Berge!“
Endlich gegen die Begierlichkeit der Augen, gegen die unersättliche Gier, welche jetzt so viele treibt, sich über Recht und Gerechtigkeit hinauszusetzen und von der Welt ein möglichst großes Stück an sich zu reißen, als ob im Besitz der Erdscholle, im Besitz des harten, toten Metalls das Glück wohnte, ist der glorreiche Rosenkranz gerichtet; denn er zeigt uns den Erlöser in seinem Sieg über Tod und Verwesung, in seinem Triumphzug in den Himmel, in dem Reichtum seiner himmlischen Güter, die er durch den heiligen Geist ausgespendet hat und immer noch ausspendet, in seiner Liebe zu seiner jungfräulichen Mutter, die er Zum Lohne all der mütterlichen Liebesdienste, die sie ihm in seinem Leben, Leiden und Sterben erwiesen, zu sich in seine Herrlichkeit aufgenommen und als Königin des Himmels gekrönt hat. Dieser Hinweis auf die ewigen, unvergänglichen Güter aber, wie er durch den glorreichen Rosenkranz stattfindet, muss dem betrachtenden Beter desselben alle Gier nach irdischem Besitz so verleiden, daß er mit dem hl. Stanislaus Kostka ausruft: Ad aeterna natus sum, zum Ewigen bin ich geboren.“ Also auch aus dem glorreichen Rosenkranz klingt ein Mahnruf an jedes Christenherz, der Mahnruf: „Sursum corda, himmelwärts, himmelwärts das Herz!“
Wer möchte denn aber, nach dieser vorläufigen kurzen Andeutung, den Rosenkranz noch langweilig, noch geistestötend nennen, da derselbe den Geistesblick des Beters die Wurzel des Grundübels, woran die Menschheit krankt, offenlegt und schneidend und brennend angreift, um es zu heilen? Ein solcher muss sehr arm im Geiste sein. –
aus: Philipp Hammer, Der Rosenkranz, eine Fundgrube für Prediger und Katecheten, ein Erbauungsbuch für katholische Christen, I. Band, 1896, S. 21 – S. 25
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