Heiliger Papst Silvester – Der Silvesterabend
Es darf als eine besondere Fügung der göttlichen Vorsehung angesehen werden, daß die katholische Kirche am Schlusstag des bürgerlichen Jahres das festliche Andenken an den heiligen Papst Silvester begeht, welcher im merkwürdigsten Wendepunkt der Weltgeschichte der sichtbare Statthalter Jesu Christi auf Erden war. Denn wie die katholische Kirche gerade zu der Zeit, da Sylvester den Stuhl des hl. Petrus bestieg, nach dreihundert-jährigem Riesenkampf über das Heidentum der römischen Weltherrschaft triumphierte, den christlichen Gottesdienst, der bisher nur in den unterirdischen Katakomben und Grabhöhlen der Märtyrer und in verborgenen Gemächern und Gewölben der Häuser gehalten werden konnte, nun in prachtvollen Kathedralen und majestätischen Domen öffentlich feierte, und ihr Oberhaupt zu Rom auf dem Throne der Kaiser zu sehen sich freute: ebenso wird die katholische Kirche am Ende aller Jahre, da Jesus Christus selbst in großer Macht und Herrlichkeit wieder kommen wird, nach furchtbarem Kampf über den Antichrist triumphieren, ihren Gottesdienst, den sie bislang in diesem Jammertal gehalten hat, in der Herrlichkeit des Himmels mit ewigem Jubel feiern und ihr Oberhaupt, Jesus Christus, auf dem Thron zur Rechten des himmlischen Vaters in unendlich seligem Entzücken lobpreisen. O süße, unerschütterliche Hoffnung eines jeden wahren Mitgliedes dieser heiligen Kirche auf jenen ewigen Tag der Freude und Seligkeit, auf den keine Nacht mehr folgen wird!
Der Silvesterabend
Der Silvesterabend ist da in großem feierlichen Ernst, und dein Herz ist bewegt vom Heimweh nach dem himmlischen Vaterland, während dein Auge sinnend den heiligen Papst betrachtet. Angelangt bist du an der Grenzscheide zweier Jahre. In dieser Mitternacht endet für dich das alte Jahr und sinkt unwiederbringlich hinab in das grenzenlose Meer der Ewigkeit: in dieser Mitternacht beginnt für dich ein neues Jahr, und dieses trägt dich mit Windeseile entgegen dem Ende aller Dinge. Laß diese so wichtige Stunde nicht ablaufen, ohne vom alten Jahr Abschied zu nehmen und das neue Jahr willkommen zu heißen, ohne einen Blick rückwärts und einen Blick vorwärts zu tun:
Blicke rückwärts
was siehst du? In diesem Jahr sind vierzig Millionen Menschen – Kinder, Jünglinge, Männer und Greise – gestorben, auf sehr verschiedene Art und unter fast ebenso verschiedenen Umständen: dir hat der liebe Gott das kostbare Leben erhalten in manchen Todesgefahren. O wie gütig wacht das Auge Gottes über dich! Hast du diese Zeit in seinem Dienst, zu seiner Ehre verlebt?
In diesem Jahre haben Tausende auf dem harten Krankenbett gelegen, haben bei Tag und bei Nacht Schmerzen gelitten, bittere Medizinen eingenommen und Manche eine sehr mangelhafte Pflege gefunden. Dir hat der liebe Gott die Gesundheit geschenkt, viel Süßes und Angenehmes in deinem Stand, in deiner Familie bereitet und den Weg durch dieses Jammertal geebnet. O wie gütig sorgt Gott für dich! Wie hast du Ihm dafür gedankt?
…
In diesem Jahr haben Tausende die heiligmachende Gnade durch ihre schweren Sünden verloren und haben in der so entehrenden Knechtschaft und Sklaverei des Stolzes, des Geizes, der Unkeuschheit der Trunksucht geschmachtet und den Wurm des bösen Gewissens ruhelos ihr Herz zernagen gefühlt. Will`s Gott! hat dieses größte Unglück dich nicht getroffen, hast du die Kindschaft Gottes nicht verloren, hast du mit dem Reichtum seiner Gnade solche Versuchungen besiegt durch die Fürbitte Mariä und der Heiligen, und deinen Schatz im Himmel gemehrt! O wie barmherzig ist Gott dich! Wie steht es mit deiner Treue gegen Ihn?
Blicke vorwärts
was siehst du?
Das neue Jahr steht dunkel und geheimnisvoll vor deiner Seele. Was mag es wohl in seinem Schoß für dich bergen: Leben oder Tod, Wohlsein oder Krankheit, Freude oder Schmerz, Ehre oder Schande, Verdienst oder Schuld? Die Weisheit und Güte Gottes hält zu deinem Heil dir die bestimmte Antwort auf diese Fragen verborgen.
Das neue Jahr steht dunkel und geheimnisvoll vor deiner Seele. Wo und wie mögen es wohl die vierzig Millionen Menschen durchleben, welche während des letzten Jahres gestorben sind: im Himmel, im Fegefeuer, in der Hölle? Das ist dir verborgen. Du weißt nur, daß nichts Unreines in den Himmel eingehen wird; du weißt nur, daß die Leiden des Fegefeuers unvergleichlich schmerzlicher sind als die härtesten Qualen dieser Erde zusammen genommen; du weißt nur, daß der Weg breit ist, welcher in das unauslöschliche Feuer der Hölle führt, und daß Viele darauf wandeln.
Das neue Jahr steht dunkel und geheimnisvoll vor deiner Seele; aber über diesem Dunkel lebt und regiert der alte Gott, der liebende, gütige, barmherzige Vater, der seinem Kind, das Ihn um Brot bittet, gewiß keinen Stein und keine Skorpion gibt; und bei Ihm wohnen Maria, die Engel und Heiligen, welche deine mächtigen und beharrlichen Fürbitter sind.
Das neue Jahr steht dunkel und geheimnisvoll vor deiner Seele; aber ihre Mutterarme streckt dir entgegen die heilige, katholische Kirche, dich zu führen und zu schützen, und aus ihrem Tabernakel ruft dir Jesus selbst in eigener Person zu: „Komm, Ich will Mich dir vermählen auf ewig; Ich will dich erquicken, wie ich alle Heiligen an Mich gezogen und erquickt habe!“ O folge diesem Gnadenrufe, wie ihm gefolgt sind die jetzt im Himmel frohlockenden Heiligen! –
aus: Otto Bitschnau O.S.B., Das Leben der Heiligen Gottes, 1880, S. 978 – S. 980