Jesus Christus ist Gott und Mensch zugleich
Vor dem Kaiser Konstantin wurden die Katholiken grausam gemartert wegen ihres Glaubens an die Gottheit Jesu Christi, nachher wurden sie, wie du am hl. Flavian gesehen, gemartert wegen ihres Glaubens an die Menschheit Jesu Christi. Beiden Klassen dieser Blutzeugen schuldet die Christenheit den wärmsten Dank; denn, so sagt schön der heilige Papst Leo I.: „Christus muss als der Eingeborene Sohn Gottes und als der Menschensohn geglaubt werden; das Eine ohne das Andere kann das Heil nicht bewirken, und die Gefahr ist gleich groß, ob man den Herrn Jesus Christus nur als wahren Gott ohne seine Menschheit, oder nur als wahren Menschen ohne seine Gottheit glaube.“ Die katholische Kirche hat die fundamentale Glaubenslehre, daß in Jesus die göttliche und die menschliche Natur unvermischt und unverändert, ungeteilt und unzertrennlich zu Einer göttlichen Person vereinigt sei, mit allen Kräften verteidigt; und zwar aus zwei Gründen, welche dein ernstliches Nachdenken verdienen.
Christus ist der Welterlöser, weil Er Gott und Mensch zugleich ist. Denn dadurch, daß sich der Sohn Gottes so sehr erniedrigt, seine göttliche Herrlichkeit mit der Knechtsgestalt des im Elend schmachtenden Menschen überkleidet hat, um für die Sünden der Menschen zu leiden und zu sterben, wird die Abscheulichkeit und Unseligkeit der Sünde in ihrer unendlichen Größe sichtbar und anschaulich, weit mehr, als wenn der Mensch sein Vergehen mit dem Verlust des Himmels und mit der Qual im unauslöschlichen Feuer der Hölle büßen würde. Zugleich ist durch diese Gottestat die Macht der Sünde und die satanische Lüge, als ob das göttliche Gesetz nur dazu gegeben sei, um die Freiheit des Menschen zu knechten, vernichtet. Denn da Gott selbst, um den Schuld beladenen Menschen zu retten, in die Tiefe des Elends, das derselbe durch die Sünde sich zugezogen hat, herab gestiegen ist, so kann nur die göttliche Liebe es sein, welche dem Menschen Gesetze gibt und von ihm Gehorsam verlangt, und die Übertretung dieses Gesetzes erweist sich klar als boshafte Verschmähung der göttlichen Liebe.
Jesus Christus ist der Welterlöser, dadurch, daß Er nicht bloß als Mensch, sondern als Gottmensch das göttliche Gesetz vollkommen erfüllt hat, gehorsam geworden ist bis zum Tode, ja bis zum Tod am Kreuz, und sich durch diesen unendlich schmerzlichen Gehorsam ein unendlich wertvolles Verdienst erworben hat, ein Verdienst, wie es alle Menschen und alle Engel miteinander zu erwerben nie im Stand gewesen wären. Durch diesen unendlich verdienstvollen Gehorsam, den Jesus zu Gunsten des sündigen Menschengeschlechtes geleistet hat, ist die unendliche Beleidigung Gottes getilgt, Ihm eine unendlich Ehre erwiesen und somit die ganze Schuld der Sünde bezahlt. Hätte aber Jesus nicht als wirklicher, sondern nur als scheinbarer Mensch diesen Gehorsam geleistet und den Tod gelitten, so wäre sein Gehorsam und sein Tod kein wirklicher, sondern nur ein scheinbarer, also auch seine Erlösung keine wirkliche, sondern nur eine scheinbare, d.h. Jesus hätte die Menschheit nicht erlöst, wie Er gelehrt, sondern betrogen! Der Vater jeder Ketzerei ist somit der Teufel. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 125