Als Christ fragst du gerne Andere um Rat
Bescheidenheit lehrt, andere um Rat zu fragen
In der Nachfolge Christi heißt es: „Es ist wahr, jeder handelt am liebsten nach seinem Kopf, und neigt sich mehr zu denen, welche mit ihm übereinstimmen. Aber wenn Gott bei uns ist, so müssen zuweilen unsere Meinung aufgeben um des Friedens willen. Wer ist so weise, daß er Alles vollkommen wissen kann? Daher sollst du nicht so sehr auf deine Ansicht vertrauen, sondern begehre auch gern die Ansicht Anderer zu hören. Ich habe vielmal gehört, es sei sicherer, Rat zu hören und anzunehmen, als zu geben. Es kann auch zutreffen, daß die Meinung von Jemand gut ist; aber Andern nicht zustimmen wollen, wo es Vernunft oder Grund verlangt, ist ein Zeichen von Stolz und Eigensinn.“
Dieses hat mir in dem Leben des seligen Pippin so wohl gefallen und habe es deswegen besonders heraus gehoben, daß dieser ausgezeichnete Mann, durch dessen Rat drei mächtige Könige sich leiten ließen, selbst wieder Rat bei tauglichen Männern angesucht hat. Der gewöhnliche Mensch ist ein hochmütiges, verblendetes Geschöpf. Ganz unwissende Menschen, Handwerksleute, Schreiber, Bauern, Weiber urteilen oft über Kirche und Staat, wie gepredigt und wie regiert werden solle; und würden es für gut halten, wenn Papst, König und Kaiser sie um Rat fragen würden, während sie selbst nicht einmal ihr eigenes Hauswesen und ihre Kinder in Ordnung zu halten wissen. Wie schön und edel steht dagegen der hoch gestellte weise Fürst Pippin da, der in keiner wichtigen Sache einen Entschluss fassen mag, ohne vorerst mit kenntnisvollen frommen Männern sich beraten zu haben! Solches Ratsuchen lehrt der wahre Geist des Christentums. (siehe den Beitrag: Seliger Pippin der Ältere Ratgeber)
Bist du ein wahrer Christ, so wirst du gern und oft Andere um Rat fragen, und nichts Wichtiges bloß auf deinen Kopf hin tun. Denn wenn du ein wahrer Christ bist, so bist du bescheiden und gewissenhaft. So wenig die Kraft des stärksten Mannes allein ausreicht, ein großes Haus zu bauen, so wenig reicht der Verstand des gescheitesten Menschen allein aus, das Richtige zu finden in jeder Angelegenheit. Deswegen verlangt die Bescheidenheit auch vom weisesten und gelehrtesten Mann, Andere oft um ihre Meinung zu fragen und nach Umständen sich darnach zu richten.
Gewissenhaftigkeit verlangt, andere um Rat zu fragen
Aber auch die Gewissenhaftigkeit verlangt es. Oft hängt außerordentlich viel von einem Entschluss oder einer Handlung a, und wie viele Tausendmal geht das Sprichwort in Erfüllung: „Vorher getan, hernach bedacht, hat Manchen in groß Leid gebracht“, und bringt oft nicht einen allein, sondern auch Andere, ganze Familien in großes Leid. Es gut gemeint zu haben bewahrt noch nicht vor verderblichen Folgen. Wenn der Arzt eine Krankheit nicht recht kennt und dem Kranken ein unrechtes Mittel gibt, so geht der Kranke zu Grunde, wenn es der Arzt auch noch so gut gemeint hat. Eben deshalb entschließe dich, ohne Rat von Andern in wichtigen Dingen eingeholt zu haben, z. B. wenn es sich um eine Heirat handelt, um die Wahl des Standes, um Versorgung eines Kindes. Nicht Rat hören wollen ist ein Zeichen von Eigensinn und hochmütigem Dünkel, und führt oft in großes Unglück und oft auch in Sünde.
Wähle Ratgeber, die auch gewissenhaft sind
Wenn du aber um Rat fragst, so wähle dir solche Leute, die in deiner Angelegenheit auch viele Einsicht haben. Was soll es helfen, leichtfertige Menschen anzuhören, die in alle Dinge sich mischen und mit ihren Ratschlägen aufdringlich sind, und vielleicht doch nur unwissende oberflächliche Schwätzer sind, die es nie der Mühe wert finden, ernstlich über eine Sache nachzudenken! Und wähle dir einen Ratgeber, der auch gewissenhaft ist. Pippin wählte zu seinen Ratgebern nach einander zwei Männer, die durch die Heiligkeit ihres Wandels sein vertrauen erworben hatten; und so lange der König Dagobert auf den Rat des Pippin hörte, war er glücklich in allen Dingen, beleibt bei dem ganzen Volk und berühmt noch über die Grenzen seines Landes hinaus. Sobald er aber auf andere gewissenlose Ratgeber hörte, geriet er, wie der König Salomon während seiner letzten Jahre, in Laster und Schande. Ist ein Ratgeber noch so gescheit, aber ein schlechter Christ, so wird er dir entweder raten, was deiner Regierung angenehm ist oder was ihm selbst einen Vorteil bringt, und wird wenig darnach fragen, ob es deiner Seele und andern Menschen Nachteil bringe oder nicht, ob es eine Sünde oder Gefahr zur Sünde ist. Hast du aber Jemanden gefunden, der wirklich den Geist des Rates, der Einsicht und der Gottesfurcht besitzt, dann suche auch seinen Rat in allen wichtigen und zweifelhaften Dingen; und wenn dir Etwas anders scheinen will, als er rät, so denk`, daß du aus Zuneigung oder Abneigung schwerer das Wahre und Richtige erkennst, als der Unparteiische, und halte dich an die Worte der Nachfolge Christi: „Es ist sicherer, Rat zu hören und anzunehmen, als zu geben.“ –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 1 Januar bis März, 1872, S. 267 – S. 269