Mariens leibliche Aufnahme in den Himmel

Die Gottesmutter Maria, die in den Himmel aufsteigt, von drei Engeln umgeben, wird von ihrem Sohn und Gott Jesus gekrönt; darüber sieht man Gottvater und den Heiligen Geist als Taube

Maria die Glorreiche – Mariens leibliche Aufnahme in den Himmel

… der jungfräuliche Leib der Gottesmutter, meint der große Gelehrte Suarez, war insofern der Anfang unseres Heiles, als aus ihm der Leib und das Blut Christi entnommen war, das am Kreuz der Preis unserer Erlösung geworden. Christi Leib und Blut aber wurde zum Lohn der Welterlösung verklärt und in den Himmel aufgenommen: „Er entäußerte sich selbst, nahm Knechtsgestalt an, und war gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tod am Kreuze; darum hat Gott ihn auch erhöht…“ Daher ist es ganz der Vernunft entsprechend, daß auch der Leib der Gottesmutter teilnehme an der Verklärung und Erhöhung des Leibes ihres göttlichen Sohnes. Hören wir, was Sankt Augustin dazu sagt: „Eine Verheißung Christi lautet: wo ich bin, wird auch mein Diener sein. Wenn aber dies für alle gilt, die Christo durch den Glauben und ihre guten Werke dienen, um wie viel mehr gilt es dann für Maria, seine Mutter? Sie hat ihm doch gedient, wie kein anderer Diener es tat, indem sie alle, alle Mutterpflichten an ihm erfüllte. Wenn sie also mit ihrem Leibe nicht dort wäre, wo Christo will, daß seine Jünger seien, wo soll sie denn sein? Wenn sie aber mit dem Leibe dort ist, so ist die ihr bereits gewährte Auferstehung und Himmelfahrt eben nur der größere Lohn, den sie durch ihren größeren Dienst vor allen anderen Dienern Christi sich verdiente. Sonst wäre die Rechnung Gottes, die jedem gemäß seiner Verdienste vergilt, nicht gerecht.“ Wir haben also keine Ursache zu zweifeln: Maria ist nicht bloß mit ihrer Seele, sondern auch schon mit ihrem Leibe bei ihrem göttlichen Sohne im Himmel, und der Dichter hat recht, wenn er singt:

Das Grab, wo sie ruhte, längst steht es leer,
Nur Rosen und Lilien drin blühen, –
Den jungfräulichen Leib, man erblickt ihn nicht mehr,
Schon sollt` ihn Verklärung durchglühen!
Die da sündenrein war, die den Heiland gebar,
Am jungfräulichen Herzen ihn nährte,
Durft` Verwesung nicht sehn, sollte glorreich erstehn,
Ist schon jetzt die am Leibe Verklärte!
Ja, unbeflecktes Mutterherz,
Du fährst so glorreich himmelwärts,
O unsre Liebe nimm mit dir,
Nur laß uns dein Erbarmen hier!

Läßt sich denn aber dieses Vorrecht, wodurch Maria die Glorreiche ist, nicht noch besser beweisen, noch tiefer begründen? Der berühmte Bischof Bossuet, einer der größten französischen Redner, benützt den Umstand, daß gemäß der Überlieferung aus dem Grabe der seligsten Jungfrau Rosen und Lilien, die Sinnbilder der Liebe und jungfräulichen Reinheit, hervorsproßten, um aus diesen beiden Tugenden der Gottesmutter – ihre (leibliche) Himmelfahrt zu beweisen. Er ist nämlich der Meinung, um die leibliche Aufnahme in den Himmel zu erlangen, musste die Mutter des Herrn der Sterblichkeit entkleidet werden, das aber bewirkte ihre mütterliche Liebe; sie musste sodann mit Unsterblichkeit beschenkt und bekleidet werden, das aber bewirkte ihre jungfräuliche Reinheit.

Was nun das erste anbelangt, so führt es der große Bischof in folgender tiefsinniger Weise aus: Christus hat den Tod besiegt, aber nur dadurch, daß er selber starb, selber den Tod erlitt. Nun ist aber der Jünger nicht über dem Meister, der zu erlösende Mensch nicht über seinen Erlöser. Darum hat er für das Menschengeschlecht das Gesetz gegeben, daß niemand zum ewigen Leben gelange, als durch den Tod. Wo nun aber der Sohn mit sich selber keine Ausnahme machte, gibt es billigerweise auch keine Ausnahme mit seiner Mutter. Er wollte, daß sie ihm ähnlich werde, ähnlich nicht bloß im Leiden, sondern auch im Sterben. Darum musste auch Maria den Tod erleiden und sterben, wie ihr göttlicher Sohn gestorben. Aber sie starb nicht auf gewöhnliche Weise, sondern sie starb durch die Gewalt ihrer Liebe zu ihrem Sohn. Denn ihre Liebe bestand, wie der Bischof Amadeus von Lausanne so schön sagt – (…) – aus einer zweifachen Liebe, die in ihrem Herzen zu einer einzigen Liebe zusammengewachsen war: sie liebte nämlich in ihrem Sohne ihren Gott und in ihrem Gott ihren Sohn. Die Liebe der Mutter zum Kind aber, die Liebe zum Sohn ist die größte, welche die Natur, und die Liebe des Menschen zu Gott die größte, welche die Gnade erzeugt. Ganz einzig also, ganz eigenartig musste die Liebe der Gottesmutter sein, welche in ihrem Herzen aus dieser doppelten Liebe eine einzige geworden war.

Ihre himmlische Liebe erlangte ihre leibliche Aufnahme in den Himmel

Diese eigenartige Liebe im Mutterherzen Marias hatte aber gewiß auch eine ganz besondere, eine göttliche Kraft. Als wahrhaftige Mutter Gottes besitzt sie den Sohn gemeinsam mit Gott dem Vater, so daß Christus, unser Erlöser, nicht mehr und nicht weniger der Sohn Gottes des Vaters ist, als er der Sohn der Jungfrau Maria ist. Nun hat ihr der Vater nicht bloß den Sohn gegeben, um ihn mit ihr gemeinsam zu besitzen, sondern er hat ihr sicherlich auch seine Liebe gegeben, um ihn mit ihr gemeinsam zu lieben, also eine Liebe so groß, daß Maria als Mutter ihn geradeso lieben könne, wie der Vater ihn liebt. Die Liebe Gottes des Vaters zum Sohn aber ist unendlich. Daher war auch die Liebe der Gottesmutter zu ihrem Sohn so groß, so stark, daß wir ihre Größe und ihre Gewalt nicht einmal in Gedanken erreichen können.

Wer wäre nun aber imstande, die Sehnsucht, das Heimweh zu beschreiben, das diese wunderbar große Liebe im Herzen der jungfräulichen Gottesmutter nach ihrem Sohn hervorbrachte, als dieser durch seine Himmelfahrt von ihr geschieden und getrennt war? Das ist ja überhaupt das innerste Wesen der wahren Gottesliebe, daß sie verlangt aufgelöst zu werden, um mit Gott, mit Christus zu sein. Oder was war es denn, das die Blutzeugen drängte, die schwersten Martern zu erdulden, sich kreuzigen, mit dem Schwert enthaupten, von wilden Tieren zerreißen, auf dem Rad foltern, auf dem Scheiterhaufen verbrennen, auf glühendem Rost braten, von Rosshufen zerstampfen, im Rauch ersticken zu lassen? Ach, der Grund war ihre Liebe zu unserem Erlöser, und das Verlangen, mit Christus zu sein. „Caritas Christi urget nos, die Liebe Christi drängt uns!“ …Nun war doch aber die Liebe der jungfräulichen Gottesmutter zu ihrem göttlichen Sohn ohne Maßen größer, stärker, glühender, als die Liebe aller Blutzeugen, aller Bekenner, aller Jungfrauen gewesen ist. Wie sehr also mochte sie – Tag für Tag, um den heiligen Brand ihrer Liebe zu lindern, zum Himmel geschaut und geseufzt haben: „Ich wünsche aufgelöst und bei meinem Sohne zu sein!“… Es ist also geradezu wunderbar, meint mit Recht der Bischof Bossuet, daß Maria nach der Himmelfahrt ihres Sohnes es noch so lange, noch so viele Jahre hienieden auszuhalten vermochte, ohne daß ihr Herz vor Liebe zersprang. Aber gerade das wollte Gott, daß die Liebe der Gottesmutter den höchsten Grad, den Gipfel der Vollkommenheit erreichte, und dadurch fähig wurde, alles, was an Maria irdisch, vergänglich, sterblich war, zu durchglühen, zu verklären und gleichsam zu vergeistigen…

Die Liebe aber, welche im Herzen Mariä brannte, glich einer wahren Feuersglut, die alles Sterbliche an ihr verklärte, durchleuchtete und gegen die Verwesung schützte. Es ist also wahr, die himmlische Liebe, welche die Mutter des Herrn durchglühte, hat sie der Sterblichkeit, der Fäulnis entkleidet: sie glich dem brennenden Dornbusch in der Wüste, der mitten in einer Feuerflamme stand und brannte, aber nicht verbrannte, und Moses zu dem staunenden Ausruf zwang: „Ich will hingehen und schauen diese große Erscheinung, warum der Dornbusch nicht verbrenne!“ –
aus: Philipp Hammer, Der Rosenkranz eine Fundgrube für Prediger und Katecheten, ein Erbauungsbuch für katholische Christen, Bd. 3, 1897, S. 95 – S. 102

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