ULF von Guadalupe Gesang 6 Das Zeichen

In Guadalupe steht eine Statue der Muttergottes Maria: von dunkler Hautfarbe

Unsere Liebe Frau von Guadalupe

Sechster Gesang

Das Zeichen

Heimwärts ziehet Juan Diego

Schnellen Schrittes, mit dem Kranken

Und dem Arzte und dem Priester

Nur beschäftigt in Gedanken.

Doch Maria und das Zeichen

Und die anberaumte Stunde

Ist vergessen, bis er stehet

In des Tals geweihtem Grunde.

Plötzlich ruft er: „Wehe, wehe!

Nun ließ ich die Zeit verstreichen.

Ach, wie werd` ich nun erhalten

Für den Erzbischof das Zeichen?“

Und er wendet seine Schritte

Um, so schnell er kann, zu fliehen.

Tor! Wer kann der Macht des Himmels

Sich durch eitle Flucht entziehen?

Eh` er sich noch umkehret,

Steht er vor der Wolke wieder,

Und aus ihrem Purpurschoße

Schwebt Maria zu ihm nieder.

„Nun, mein Sohn, woher des Weges?

Und wohin mit schnellen Schritten?

Warum bist du nicht gekommen,

Dir das Zeichen zu erbitten?“

„Mutter“, spricht er, „ach, verzeih!

Nicht aus Bosheit und vermessen,

Nur aus Sorge um den Oheim

Hab` ich meine Pflicht vergessen.

„Bernardino hat das Fieber,

Arzt und Priester wollt` ich holen,

Und so ist die Zeit verstrichen,

Da zu kommen Du befohlen.“

„Armer Juan, so klein im Glauben,

Und ein Schilfrohr im Vertrauen!

Bin ich nicht die Hilfe derer,

Die in Liebe auf mich bauen?

„Sprich! Bin ich nicht deine Mutter,

Nicht der Kranken Heil und Leben,

Nicht die Stütze der Verlassnen,

Die in meinen Schutz sich geben?

„Wirf auf mich dein voll Vertrauen

All dein Kümmern, all dein Sorgen.

Sieh, dein Oheim Bernardino

Ward geheilt an diesem Morgen.“

Jubelnd kniet Diego nieder,

Dankesfreudig sie zu ehren.

„Kannst du nun, o hohe Herrin,

Mir das Zeichen nicht gewähren –

„Daß zum Erzbischof ich gehe,

Meine Sendung zu beweisen,

Daß in Deinem Heiligtume

Deine Kinder froh Dich preisen?“

„Wohl, so steige auf die Spitze

Des Tepeyak, eilig pflücke

All die Rosen, die dort stehen,

Und dann komm zu mir zurück-“

Rosen, dachte Juan Diego,

Auf dem Felsen? Eitles Mühen!

Nie sah dort man eine Rose,

Und zumal im Winter blühen.

Doch die Zweifel er verbannet,

Steiget mit behendem Fuße

Auf die Höhe; sieh, da winken

Lichte Rosen ihm zum Gruße.

Zarter Tau liegt auf den Blättern

Wie ein reicher Himmelssegen,

Aus den vollen Blütenkelchen

Quillt ihm süßer Duft entgegen.

Auf die Knie sinkt Diego,

Preist Marias Liebewalten,

Sammelt all die Purpurrosen

In des weiten Mantels Falten.

Eilt dann wieder zu Maria:

„Sieh, o Mutter, welche Rosen!

Leben gibt der tote Felsen

Und der Winter Lenzesrosen.“

„Ja, das sind der Liebe Rosen,

Blüten meiner Muttertreue,

Die ich meinen lieben Kindern

Segnend auf die Pfade streue.“

Und dann neigt sie hold sich nieder,

Deckt die zarten Wunderblüten

Mit des Mantels Enden; also

Gibt sie ihm den Schatz zu hüten.

„So, nun geh zum Erzbischofe,

Wie zu Noe kam die Taube

Mit des Ölbaums Zweig, und sag` ihm,

Daß er diesem Zeichen glaube.

„Hüte treu, was dir vertrauet,

Daß kein fremdes Aug` es sehe.

Sorge, daß der Bau der Kirche

Ganz nach meinem Wunsch geschehe.“

Leichten Schrittes geht Diego,

Frohen Herzens – tausend Meilen

Würd` er gern mit solcher Bürde

Zu Marias Ruhm durcheilen.

Jeder Zweifel ist verschwunden,

Jede Furcht aus dem Gemüte.

Und mit frohen Lobesweisen

Preist er seiner Mutter Güte.

Wieder steht er an der Pforte,

Einlaß frohen Muts begehrend

Und der Diener eitler Neugier

Nach des Mantels Schätzen wehrend.

Freudig tritt er vor den Bischof:

„Großer Vater, sieh das Zeichen!“

Freudig öffnet er den Mantel,

Ihm die Rosen darzureichen.

Aber auf der beiden Lippen

Jäher Wonneruf ersticket;

Denn ein neues Gnadenzeichen

Ihr erstauntes Aug` erblicket.

Auf dem lockern Wollgewebe

Seh`n ein Wunderbild sie strahlen –

Das kann nicht des Künstlers Pinsel,

Das kann nur ein Engel malen.

Wonnevoll auf goldnem Grunde

Steht Maria, Anmut, Milde,

Königshoheit in den Zügen,

Gleich als lebte sie im Bilde.

Rosenfarben die Gewande,

Schön gestickt mit reichem Golde,

Sternbesät ein blauer Mantel

Schlägt die Falten um die Holde.

Um das Haupt schließt keusch verhüllend

Sich des Mantels Bord zusammen,

Und darob in Sternenschimmer

Sieht man eine Krone flammen.

Ihr zu Füßen schwebt der Halbmond,

Und ein Engel kniet bescheiden,

Der die Schleppe ihres Kleides

Hält mit seinen Händen beiden.

Stumm vor Staunen steht der Bischof

Und vor Staunen stumm der Wilde;

Heil`ge Schauer sie erfüllen

Vor dem wunderbaren Bilde.

„Ja, das ist des Himmels Zeichen!

Nicht mehr darf ich Zweifel hegen,

Und nun gilt es unverweilet

Hand ans heil`ge Werk zu legen!“

Und zum Gnadenbild der Bischof

Ruft sein ganzes Hausgesinde,

Daß in heiliger Gemeinschaft

Es des Lobes Kranz ihm winde.

Kerzen flammen, Lieder klingen,

Also geht es zur Kapelle,

Daß das Gnadenbild in Ehren

Hänge an geweihter Stelle.

Drauf der Bischof zu Diego:

„Nun, mein lieber Sohn, erzähle,

Wo die Kirche zu erbauen

Nach der Königin Befehle.“

Sprach Diego: „An dem Orte,

Wo Maria ich gesehen,

Hart am Fuße des Tepeyak

Soll die Gnadenkirche stehen.

„Meinem Oheim Bernardino

Hat sie gleiche Kund` erteilet,

Den von einem bösen Fieber

Heute morgen sie geheilet.“

Sieh, schon nahet Bernardino,

Kniet entzückt vor ihrem Bilde:

„Ja, so hab` ich sie gesehen,

Ganz voll Würde, ganz voll Milde.

„Ja, die Kirche sollt ihr bauen,

Freudig will ich es bekennen.

Unsre Frau von Guadalupe

Soll man ihren Namen nennen.“

Sprach Don Juan von Zumarraga:

„Preis sei der Gebenedeiten,

Die voll Milde ihrem Volke

Große Gnade will bereiten!

„Auf nun, zu Marias Ehre

Rege jeder seine Hände,

Um ihr Werk zu fördern, jeder

Seine Liebesgabe spende.“

aus: Fritz Esser SJ, U.L. Frau von Guadalupe, 1895, S. 41 – S. 50

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