Unsere Liebe Frau von Guadalupe
Siebenter Gesang
Die Enthüllung
Nicht im Strom des Weltgetriebes
Waltet Gott mit seiner Gnade.
Wer sich Gottes will erfreuen,
Walle einsam stille Pfade.
Einsamkeit! In deinem Frieden
Mag sich Gott, wie einst in Eden,
Zu den Menschen niederlassen
Und vertraut mit ihnen reden.
Einsamkeit! Du bist zu finden
Nur im hehren Gotteshause,
Wo die heil`gen Mauern halten
Fern das wirre Weltgebrause.
Oder auf der weiten Heide,
Wo ein steter Friede wohnet,
Oder auf dem Meer, wo herrlich
Gott in ew`ger Größe thronet.
Oder auch in stillen Talen
Unter hoher Bäume Wipfeln,
Oder in den reinen Sphären
Auf der Berge höchsten Gipfeln.
Einsamkeit! In deine Stille
Flieh` der Mensch mit seinen Sorgen,
Und in heil`ger Gottesnähe
Fühlt er sicher sich geborgen. –
An dem Fuße des Tepeyak
Wohnt in abgelegnem Tale
Unentweihter Gottesfriede.
Aber sieh, mit einem Male
Weicht der Friede, weicht die Stille
Einem emsigen Gedränge.
Mit dem Indianer mischet
Fromm der Weiße seine Sänge.
Mit dem Indianer einet
Sich mit Brudersinn der Weiße,
Beider Mutter Werk zu fördern
Mit gemeinsam regem Fleiße.
Von den wald`gen Bergeshängen
Hallen laut des Beiles Schläge,
Und im Tale geh`n geräuschvoll
Schaufel, Hammer, Hobel, Säge.
Aus des Berges dunklem Schoße
Fördern Steine sie zum Baue;
Rastlos reget sich der Steinmetz,
Daß er kunstvoll sie behaue.
Aus dem nahen See sie schöpfen
Wasser, um den Kalk zu mengen,
Und die Arbeit sie sich kürzen
Mit Marias Lobgesängen.
Zu Marias Heiligtume
Schon das Fundament sie legen,
Und nach heiligem Gebrauche
Spricht der Erzbischof den Segen:
„In des Vaters und des Sohnes
Und des heil`gen Geistes Namen!
Gnad`und Friede, Heil und Segen
Allen, die zum Werke kamen!
„Zu Marias Ehre weihen
Wir den Grund mit heißem Flehen,
Drauf nach ihrem Wunsch und Willen
Eine Kirche mög` erstehen.
„Jedem, der zu dieser Stätte
Kommt mit schwerem Leid gefahren,
Möge sich der süßen Mutter
Macht undMilde offenbaren!“
Und es ruft ringsum die Menge:
„Zu Marias Ehre, Amen!
In des Vaters und des Sohnes
Und des heil`gen Geistes Namen!“
Und nun heben sich die Mauern,
Himmelan die Balken ragen,
In des Daches letzte Sparre
Wird der letzte Stift geschlagen.
Denn die Liebe ja errichtet`
Nimmer träge die Gestelle,
Und die Liebe immer rege
Führt` den Hammer und die Kelle.
Jetzo ist der Bau vollendet.
Von dem wolkenlosen Himmel
Schaut die goldne Morgensonne
Auf ein buntes Volksgewimmel.
Aus der Nähe, aus der Ferne
Sind im Festschmuck sie erschienen,
Und ein Murmeln geht, ein Summen
Wie in einem Schwarm von Bienen.
Stille jetzt. Maria nahet
Dort, vom Erzbischof getragen.
Wo er schreitet mit dem Bilde,
Alle Herzen höher schlagen.
Fromm zur Rechten geht Diego,
Bernardino fromm zur Linken.
Vor dem Bischof mit dem Bilde
Alle auf die Knie sinken.
Jetzt ein Jubel: „Heil Maria,
Heil der Jungfrau auserkoren,
Die als Mutter unversehrt
Den Erlöser uns geboren!
„Heil der Königin voll Gnade,
Die zu ihrem Volk gekommen,
Allen Sündern zur Begnadung,
Und zum Segen allen Frommen!“
Langsam geht der Zug zur Kirche,
Nach drängt sich die fromme Menge;
Doch zu enge sind die Mauern,
Schier das weite Tal zu enge.
Vom Altare strahlt das Bildnis
Nun im Glanz von tausend Kerzen;
Heller flammt der Strahl der Liebesgabe
Zu der Königin der Herzen.
Sieh, da naht ein Chor von Kindern,
Naht in schön geschlungnem Reigen,
Ihr nach Indianerweise
Fromme Huld`gung zu erzeigen.
Holde Mägdlein, weiß gewandet,
Rote Schärpen um die Lenden,
Auf den Locken bunte Tücher,
Weiße Stäbchen in den Händen.
Nach dem Klang der Violinen
Geht`s in rhythmischer Bewegung
Nun im Tanzschritt auf und nieder;
Sittsam, würdig jede Regung.
Und von ihren Lippen schallen
Weihevolle Wechselsänge;
Wie des Meeres Brausen tönet
Antwort aus dem Schoß der Menge:
„Blick erbarmend auf uns nieder,
Vater, Geber alles Guten!
Jesus, der für unsre Sünden
Du am Kreuzholz wolltest bluten!
„Heil`ger Geist, Du Gnadenspender,
Geist vom Vater und vom Sohne!
Gott, dreifaltig und dreieinig,
Hör, erhör uns, schirme, schone!
Aber du, o Gnadenmutter,
Bitte, bitt` für Deine Kinder,
Die den Schöpfer Du geboren
Und den Höllenüberwinder!
„Mutter, höchster Liebe würdig,
Und mit höchstem Lob zu preisen;
Jungfrau, mächtig, treu und milde,
Weiser als die Erdenweisen!
„Du geheimnisvolle Rose,
Uns der Lieb` Geheimnis lehre!
Gegen unsrer Feinde Ansturm
Davids Turm, sei starke Wehre!
Hort der Sünder, Heil der Kranken,
Hilf in Leibs- und Seelenschmerzen!
Königin der Himmelschöre,
Herrsche auch in uns`rem Herzen!
„Flehe zu dem Gotteslamme,
Das die Schulden trug der Welten,
Daß versöhnend es uns führe
Zu der Sel`gen Lustgezelten.“
Also klingt es rings im Chore.
Segnend in der Kinder Mitte
Weilt die Mutter nun der Gnaden,
Lohnt mit Wundern jede Bitte.
Und nun geht ein endlos Fluten
Wie am Strande Well` um Welle.
Jeder drängt so nah wie möglich
Sich zur heil`gen Gnadenquelle.
Jeder will der Mutter klagen
Seine Sorgen, seine Leiden,
Und aus ihrer sel`gen Nähe
Ungern will ein jeder scheiden.
Bis in tiefste Abendstunden
Hört man ihre Melodien,
Da sie durch die dunklen Schluchten
Heim zur fernen Hütte ziehen.
Längst schon stand der Mond am Himmel,
Eh` verschwand die letzte Gruppe.
Und so schließt der Sang von Unsrer
Liebe Frau von Guadalupe.
aus: Fritz Esser SJ, U.L. Frau von Guadalupe, 1895, S. 51 – S. 59
Bildquellen
- Guadalupe 2881501 640: pixabay