Unsere Liebe Frau von Guadalupe
Gesang 2
Die Erscheinung
Morgendämmern in den Talen,
Auf den Höhen lichtes Glühen.
Rüstig schreitet Juan Diego,
Frommer Friede lohnt sein Mühen.
Frommes Beten kürzt das Wandern
In der stillen Morgenstunde.
„Vater, Sohn und Geist der Liebe,
Preis sei Dir mit Herz und Munde!
„Preis zum Tagesanbeginne,
Preis beim Kommen und beim Gehen!
Erd` und Himmel Dir lobsingen,
Berg und Täler, Wald und Seen.
„Gruß auch Dir in treuer Minne,
Holde Mutter der Erlösten,
Stark, in jeder Not zu helfen,
Mild, in jedem Leid zu trösten!
„Morgenstern, o leucht` in Treue
Lieblich stets auf unserm Pfade!
Führe uns mit holdem Schimmer
Zu dem ew`gen Heimgestade!“
Also ging er schon drei Meilen
Rüst`gen Schrittes wie im Spiele;
Nur noch eine Hügelreihe
Trennt ihn vom ersehnten Ziele.
Plötzlich aus dem nahen Buschwerk
Horch ein Tönen, horch ein Klingen!
Nie zuvor so voll, so lieblich
Tönte ihm der Vögel Singen.
Lauschend späht er nach dem Sänger.
Sieh, da schwebt vom Berg hernieder
Eine Wolke, Gold und Purpur
Strahlen aus der Wolke wider.
Zaudernd hemmt er seine Schritte.
Soll er stehen? Soll er fliehen?
Wie in heil`ger Gottesnähe
Bange Schauer ihn durchziehen.
Horch, nun hört er aus der Wolke
Lieblich sich beim Namen rufen:
„Bleib Johannes!“ Und er kniet,
Wie man kniet an Altarsstufen.
Jetzt teilt sich der Wolke Schleier
Und in lichtem Glanze schwebet
Eine Jungfrau. Süßer Ahnung
Wonneglück sein Herz durchbebet.
Rosenfarben die Gewande,
Schön gestickt mit reichem Golde,
Sternbesät ein blauer Himmel
Schlägt die Falten um die Holde.
Königshoheit in den Zügen,
In den Augen süße Milde.
Jetzt spricht sie mit Glockentone,
Und vor Ehrfurcht lauscht der Wilde.
„Fürchte dich nicht, Juan Diego,
Dem in Liebe ich gewogen,
Wie ihr Kind die Mutter liebet,
Das mit Schmerz sie groß gezogen.
„Sag` mir nun, wohin du gehest.“
„In die Stadt zur hei`gen Messe,
Die dem lieben Gott wir weihen,
Daß er unsre Schuld vergesse.““
„Nun, mein Sohn, ich bin Maria,
Bin die Mutter auserlesen,
Die in ihrem Schoß getragen
Ihn, den Schöpfer aller Wesen.
„Die an ihrer Brust genähret
Den Neuschöpfer alles Lebens,
Ihn, der nach vollbrachter Arbeit
Selbst der Lohn des edlen Strebens.
„Höre nun und wohl dir merke,
Was ich wünsche und begehre;
Hier an diesem Ort erbauet
Eine Kirche mir zur Ehre!
„Eine Kirche meinem Namen,
Drin für ew`ge Zeit erschlossen
Eine Quelle reichster Gnade
Dir und deinen Stammgenossen.
„Eine Quelle reichster Gnade
Allen Leidenden und Armen.
Ihnen Hilfe zu gewähren,
Drängt`s mein mütterlich Erbarmen.
„Wenn ich ihre Seufzer höre
Und ihr Flehen voll Vertrauen,
Werden sie mit frohem Danke
Baldigst die Erhörung schauen.
„Jeder Klage meiner Kinder
Will mein Mutterohr ich leihen,
Jedem Leid an Leib und Seele
Laß ich Pflege angedeihen.
„Und den Sündern, die voll Reue
Hier um meine Fürsprach` bitten,
Will ich meinen Sohn versöhnen,
Der für sie am Kreuz gelitten.
„Geh, mein Sohn, denn ohne Säumen
Zu des Erzbischofs Palaste,
Und bevor mein Wunsch und Wille
Ward erfüllt, nicht ruh` und raste.
„Künde ihm mit schlichten Worten,
Was du hier gehört, gesehen:
Eine Kirche, mir zu Ehren
Soll an diesem Ort erstehen.
„Geh, mein Sohn, und deine Mühe
Will ich reichlich dir vergelten.
Glück und Trost mit dir hienieden,
Ew`ger Lohn in Himmelszelten.
Sprach`s und schwand. Johann Diego
Kniet noch staunend an der Stelle,
Eilet dann zur Stadt und stehet
Bald an des Palastes Schwelle.
aus: Fritz Esser SJ, U.L. Frau von Guadalupe, 1895, S. 12 – S. 17
Bildquellen
- Guadalupe 2881501 640: pixabay