Unsere Liebe Frau von Guadalupe
Fünfter Gesang
Wunderbare Heilung
Seit der Herr im Stall geboren
Und am Kreuzesholz gestorben
Und durch Kreuz die Himmelskrone
Sich und uns das Heil erworben –
Gilt für seines Namens Träger
Ein Gesetz, – wohl schwer und drückend,
Aber, wenn getreu erfüllet,
Einst mit süßem Trost beglückend:
Modern muss das Korn im Erdreich
Soll es reiche Ähren tragen.
Gottes Werke nur gedeihen
Unter Opfern und Entsagen.
Aber die mit Tränen säen,
Werden Frucht in Freuden ernten;
Süße Hoffnung wird erquicken,
Die mit Gott zu trauern lernten.
„Wisset, Brüder“, schreibt St. Peter,
„Daß der Herr für uns gelitten,
Uns ein Beispiel hinterlassend,
Daß wir folgen seinen Schritten. (*)
„Doch die Auferstehung Christi
Soll im Hoffen uns erneuern;
Denn ein unvergänglich Erbe
Harrt im Himmel der Getreuen.“ (**)
Dennoch hat Johann Diego
Nicht der Worte Sinn erfasset.
Drum vor einer kleinen Prüfung
Er erbebet und erblasset.
Lange Abendschatten warfen
Schon der Berge Felsengrate,
Als mit sorgenschwerem Herzen
Müd` er seiner Hütte nahte.
Dunkel lag schon in dem Grunde;
Doch der Sterne licht Geflimmer
Goss vom Himmel auf die Erde
Einen matten Silberschimmer.
Licht und Schatten, Furcht und Hoffnung
In Diegos Herzen stritten.
Sieh, da kam sein Weib Lucia
Eilends mit erregten Schritten.
„Eile, Juan, o komm geschwinde!
Bernardino liegt dar nieder;
Jählings goss ein tückisch Fieber
Feuersglut in seine Glieder.“
Bernardin, der treue Oheim,
Der den Knaben angenommen,
Als durch Feindes Arglist meuchlings
Einst der Vater umgekommen –
Und die Mutter, gramgetötet,
Mit ihm ward ins Grab geleget.
Treulich hat das Pfand der Beiden
Wie ein Vater er gepfleget –
Bis er wuchs zum starken Jüngling
Und Lucia, die Geliebte,
Heimführt`, und mit ihr am Oheim
Frohe Pflicht des Dankes übte.
Jetzt, von Fieberglut verzehret,
Liegt er auf der Schmerzensstätte!
Doch Diego und Lucia
Wachen treu an seinem Bette –
Seh`n das Herz, als wollt es sprengen
Sein Gefängnis, mächtig schlagen,
Seh`n das Blut in starker Wallung
Unstet durch die Pulse jagen.
Stöhnend wälzt auf seinem Lager
Sich der Kranke.Von der Stirne
Strömt der Schweiß. Mit Hammerschlägen
Dröhnt`s in dem gequälten Hirne.
Und das Auge fiebernd irret,
Bang die heiße Lippe ächzet;
Nach des Wassers süßer Labe
Die gedörrte Zunge lechzet.
Armer Juan! Wird er nun sterben?
Kaum vermag er es zu fassen,
Und er seufzt wie in Verzweiflung:
„Hat Maria uns verlassen?“
Doch sein frommes Weib Lucia
Ihn mit sanfter Rede rüget:
„Laß uns fest auf Gott vertrauen!
Was er fügt, ist wohl gefüget.“
Träge wie mit Schneckengange
Schleicht die Nacht; vor Schrei des Hahnen
Eilt zur fernen Stadt Diego,
Arzt und Priester herzumahnen.
Treulich wacht indes Lucia
An des teuern Kranken Seite,
Wie ein Mütterlein bekümmert,
Daß sie Lindrung ihm bereite.
Endlich naht ersehnter Morgen
Und mit ihm erneutes Hoffen;
Sachter von der Stirn des Kranken
Schon des Schweißes Perlen troffen.
Klarer auf der Pflegetochter
Schon der Blick des Kranken ruhte;
Dankestränen in den Augen
Seufzt er: „Gott vergelt`s, du Gute.“
„Gott sei Dank und seiner Mutter!“
Ringt sich`s aus der Brust der Frommen;
„Lieg nun still, bald wird Diego
Mit dem Medizinmann kommen.
„Ruh ein wenig! Unterdessen
Will ich Holz und Wasser holen
Und in Hast den Herd bestellen.
Ruh` in Gottes Hut befohlen!“
Doch zuvor mit einem Tuche
Hüllt das Fenster sie behende,
Daß kein greller Strahl der Sonne
Störend dringe durch die Blende.
Einsam liegt nun in der Kammer
Bernardin. Mit einem Male
Sieht er wunderbar umflossen
Sich von hellen Lichtes Strahle.
Das ist nicht des Tages Helle,
Nicht der Glanz der Wintersonne;
Nimmer gab ihr kalter Schimmer
Solch ein Leben, solche Wonne.
Sieh, und in des Lichtes Strahlen
Schwebt die Lieblichste der Frauen,
Schwebt Maria, Wonne ist es,
In ihr Angesicht zu schauen.
Rosenfarben die Gewande,
Schön gestickt mit reichem Golde,
Sternbesät ein blauer Mantel
Schlägt die Falten um die Holde.
Freundlich grüßt sie: „Bernardino,
Kennst du mich?“ „O edle Freue,
Wohl bist Du die Mutter Gottes,
Der ich kindlich fromm vertraue.“
„Gottes Mutter, deine Mutter.
Wolle nun mir Antwort geben
Ganz nach deines Herzens Wunsche:
Willst du sterben oder leben?“
„Wie Gott will! In seine Hände
Fromm befehl` ich meine Pfade,
Leb` ich nur in seiner Liebe,
Sterb` ich nur in seiner Gnade.“
„Glaubst du denn, daß Macht mir eigen,
Dich vom Fieber nun zu heilen?“
„Wenn Du willst, o Herrin, kannst Du
Jede Gnade mir erteilen.“
„Wohl, weil du getreu befunden,
Höre nun, was ich dir sage;
Denn mich dauert deines Volkes,
Heimgesucht von mancher Plage.
„Darum soll zu meiner Ehre
Eine Kirche man erbauen,
Eine Gnadenquelle jedem,
Der mich anruft mit Vertrauen.
„Dreimal schon hab` ich Diego
Meinen Willen kundgegeben.
Seine Botschaft zu bezeugen,
Schenk` ich jetzo dir das Leben.
„Eile, was du sahst und hörtest,
Vor dem Bischof zu bekennen.
Unsre Frau von Guadalupe
Soll man meinen Namen nennen.“ (***)
Segnend schwand sie und entschwebet
Zu den lichten Engelkreisen.
Bernardin steht auf vom Lager,
Seine Retterin zu preisen.
Grade kehrt Lucia wieder,
Steht ein Weilchen jäh erschrocken,
Eilet dann, aus Herzens Grunde
Frohen Dankes Laut zu locken.
aus: Fritz Esser SJ, U.L. Frau von Guadalupe, 1895, S. 32 – S. 40
(*) siehe 1. Petr. 2, 21
(**) siehe 1. Petr. 1, 3 u. 4
(***) Der Name U.L.F. von Guadalupe wurde von der Mutter Gottes ohne weitere Begründung angegeben. Jetzt hat sich bei dem Gnadenbild am See Tezcuco das kleine Dorf de Guadalupe Hidalgo gebildet.
Bildquellen
- Guadalupe 2881501 640: pixabay