Unsere Liebe Frau von Guadalupe
Vierter Gesang
Neue Weisungen
Sonntagsmorgen! Heute winket
Allerorten heil`ge Ruhe.
Heut` den Schmuck der Feierkleider
Holt die Hausfrau aus der Truhe.
Durch die Täler, durch die Schluchten
Laute Glockenklänge schallen,
Und von ihrem Ruf gemahnet
Fromme Pilgerscharen wallen.
Heute gilt`s, mit Lob zu ehren
Einen Gott in drei Personen
Und zum Dank für deine Gaben
Christi Opfer beizuwohnen.
Heute wir des Tags gedenken,
Da der Herr vom Tod erstanden,
Jenes Tags, da er für ewig
Löset uns aus Todesbanden.
Heute kniet zerknirscht der Sünder,
Sich im Sühnungstod zu reinen,
Und im heil`gen Liebesmahle
Fromm mit Gott sich zu vereinen.
Voller Andacht lauscht die Menge
Worten himmlischer Belehrung;
Jedes Herz ist ausgegossen
In Anbetung und Verehrung.
Orgelklänge, Festgeläute,
Jubelton in heil`gem Liede –
Und aus all den frommen Klängen
Tönt`s erquickend: Friede, Friede!
Sonntagsmorgen! Sonntagsruhe,
Bild der ew`gen Sabbatwonne,
Da in göttlicher Umarmung
Heil uns strömt aus ew`gem Bronne! –
Traurig schreitet Juan Diego
Durch die Sonntagsmorgenstille,
Sinnend, wie wohl am besten
Seiner Mutter Wunsch erfülle.
Als zur Stelle er gekommen,
Wo sie gestern ihm erschienen,
Steht er, fromme Scheu im Herzen,
Fromme Ehrfurcht in den Mienen.
Sieh, da schwebt auf Zephyrschwingen
Schon die Wunderwolke nieder,
Und aus ihrem Purpurschoße
Grüßet ihn Maria wieder.
„Sei willkommen, Sohn Diego!
Doch nun sprich, wie dein Gebaren
Doch so traurig, gleich als wäre
Herbes Leid dir widerfahren?“
Sprach Diego: „Liebste Mutter,
Wohl hab` Ursach ich zu klagen;
Denn, ach! Meinen schwachen Schultern
Gabst Du schwere Last zu tragen.
„Freudig bin nach Deinem Willen
Ich zum Erzbischof gegangen,
Und ich hab` ihm treu gemeldet
Deinen Wunsch und Dein Verlangen.
„Doch er wollte mir nicht glauben,
Nannte Trug, was ich gesehen.
Hart ist es, o liebe Mutter,
Als Betrüger dazustehen.
„Sende drum, o laß Dich bitten,
Einen Mann, der wohl erfahren
In der Rede Kunst, dem Bischof
Deinen Wunsch zu offenbaren.“
Lächelnd hört` die holde Mutter
Ihn in Klagen sich ergießen;
Lächelnd sprach sie: „Sohn Diego,
Laß dich dessen nicht verdrießen.
„Wohl hab` ich der Diener viele,
Groß an Tugend, reich an Wissen,
Und ein jeder mir zu Liebe,
Mir zum Dienste treu beflissen.
„Aber dich hab` ich vor allen
Nun zu meinem Dienst ersehen;
Aus dem kleinen Samenkörnlein
Soll ein großer Baum erstehen.
„Fasse Mut denn und Vertrauen;
Denn ich helf` es dir vollbringen.
Was für mich du fromm begonnen,
Wird durch mich dir recht gelingen.
„Wieder geh` zum Erzbischofe
Morgen zu derselben Stunde,
Gib von meinem Wunsch und Willen
Ihm zum zweiten Male Kunde:
„Eine Kirche mir zur Ehre
Soll an diesem Ort er bauen,
Allen eine Gnadenquelle,
Die mich bitten voll Vertrauen.“
Sprach`s und schwand und ließ Diego
Halb voll Freude, halb voll Bangen.
In der Früh` am nächsten Morgen
Ist zum Bischof er gegangen.
Freundlich lauscht zum zweiten Male
Dieser seinen Wundermären,
Doch noch kann in seinem Herzen
Seinen Zweifeln er nicht wehren.
„Großes ist es, was du meldest,
Und gar schwer ist es zu glauben;
Schlangenklugheit muß bewachen
Frommen Einfaltsinn der Tauben.
„Drum, wenn sie sich wieder zeiget,
Daß die Wahrheit wir erkennen,
Bitt sie, daß sie uns möge
Ein untrüglich Zeichen nennen.“
Trauriger denn ehe gestern
Schleicht Diego sich von hinnen,
Herber heut` aus seinen Augen
Der Enttäuschung Tränen rinnen.
Aber auf Geheiß des Bischofs
Folgen Diener ihm vom weiten;
Schritt für Schritt, wohin er gehet,
Späheraugen ihn begleiten –
Folgen aus der Stadt ins Freie,
Durch die Marken und Gehege,
Berg hinauf und Tal hinunter –
Betend zieht er seine Wege.
Betend durch die rauhen Finger
Läßt den Rosenkranz er gleiten.
Das sind nicht Verbrecherpfade,
Die man betend mag beschreiten.
Plötzlich, wie in einem Nebel
Ist er ihrem Blick entschwunden,
Und vergebens all ihr Suchen,
Sein Verbleiben zu erkunden.
Doch er steht an heil`ger Stätte,
Und schon naht die Wolke wieder,
Und aus ihrem Purpurschoße
Lächelnd blickt Maria nieder.
„Wie mein Sohn, noch immer traurig?
Sprich, wie soll ich Trost dir spenden?“
„Mutter, Mutter, laß mich ziehen!
Nimmer kann ich es vollenden.
„Treu gab ich dem Bischof Kunde,
Wieder wollt` er mir nicht glauben.
Schlangenklugheit dünkt ihm besser
Als die Einfalt frommer Tauben.
„Schlangenklugheit heischt, Du sollest
Sichres Zeichen ihr gewähren;
Doch der frommen Taubeneinfalt
Dünkt vermessen solch Begehren.“
Sprach Maria: „Weisheit fordert,
Sichrer Prüfung nur zu weichen.
Morgen komm zur selben Stunde,
Und dann geb` ich dir das Zeichen.“
Sprach`s und schwand. Ein neues Hoffen
In Diegos Herzen sprießt,
Wie wenn Himmelstau erquickend
Sich auf Blatt und Blum` ergießet.
aus: Fritz Esser SJ, U.L. Frau von Guadalupe, 1895, S. 24 – S. 31
Bildquellen
- Guadalupe 2881501 640: pixabay