Leo XIII.: Rundschreiben „Sapientiae christianae“
Der Gehorsam gegenüber Kirche und Papst
Wie der Apostel Paulus mahnt, muss aber die Einheit eine vollkommene sein. – Der christliche Glaube beruht nicht auf menschlicher, sondern auf göttlicher Autorität; „wir halten nämlich das“, was wir von Gott empfangen haben, „für wahr, nicht weil wir dessen innere Wahrheit mit dem Lichte der natürlichen Vernunft durchschauen, sondern auf die Autorität Gottes hin, der es uns offenbart, und der weder sich noch uns täuschen kann.“ (2. Kor. 4,13) Daraus folgt, daß wir jede einzelne Wahrheit, von der feststeht, daß sie von Gott geoffenbart ist, mit der gleichen Zustimmung annehmen müssen; wer auch nur einer dieser Wahrheiten den Glauben versagt, verwirft damit alle. Jeder, der entweder leugnet, daß Gott zu den Menschen gesprochen hat, oder der an der unendlichen Wahrhaftigkeit und Weisheit Gottes zweifelt, zerstört damit die Grundlage des ganzen Glaubens.
Das kirchliche Lehramt hat aber zu bestimmen, was zur Lehre der göttlichen Offenbarung gehört; ihm hat Gott die Überwachung und die Auslegung seines Wortes übertragen. Der oberste Lehrer in der Kirche ist aber der Papst. Wie die Einheit in der Gesinnung eine vollkommene Übereinstimmung in dem einen Glauben verlangt, so fordert sie die vollkommene Unterwerfung und den Gehorsam des Willens gegenüber der Kirche und dem Papst ebenso wie gegen Gott selbst.
Vollkommen muss dieser Gehorsam sein, da er vom Glauben selbst vorgeschrieben ist; und dies hat er mit dem Glauben gemeinsam, daß er unteilbar ist; ja, wenn er nicht ganz ohne Vorbehalt ist, mag er auch alle anderen guten Eigenschaften haben, so verliert er die Natur des Gehorsams und ist ein Gehorsam nur dem Scheine nach. Es ist Sitte unter den Christen, von diesem vollkommenen Gehorsam auszusagen, daß er jenes Kennzeichen ist, woran man den Katholiken stets erkannt hat und noch erkennt. Außerordentlich schön wird dieses Wort vom heiligen Thomas von Aquin erklärt: „Der Grund, weshalb wir glauben, ist die höchste Wahrheit, wie sie sich in der Heiligen Schrift und in der Lehre der Kirche, die aus der obersten Wahrheit hervorgeht, offenbart. Wer also der Lehre der Kirche, die aus der in der Heiligen Schrift geoffenbarten höchsten Wahrheit hervorgeht, nicht folgt als der unfehlbaren und göttlichen Regel des Glaubens, der besitzt nicht den Glauben; er mag den Wahrheiten des Glaubens auf andere Weise zustimmen, jedenfalls geschieht es nicht durch den Glauben… Es ist aber klar, wer den Lehren der Kirche als der unfehlbaren Glaubensregel zustimmt, nimmt alles an, was die Kirche lehrt; wenn er nämlich von dem, was die Kirche lehrt, annimmt, was ihm gefällt, und zurückweist, was ihm nicht gefällt, so folgt er nicht der Lehre der Kirche als der unfehlbaren Glaubensregel, sondern seinem eigenen Willen.“ „In der ganzen Kirche darf nur ein Glaube sein nach der Heiligen Schrift: Ihr sollt alle dasselbe sagen, und es sollen keine Spaltungen unter euch sein. (1. Kor. 1,10) Das kann aber unmöglich verwirklicht werden, wenn nicht die Glaubensfragen von dem Oberhaupt der ganzen Kirche entschieden werden, auf daß alsdann seine Entscheidung von der ganzen Kirche festgehalten wird. Daher untersteht eine neue Fassung des Glaubensbekenntnisses wie auch alles, was die Gesamtkirche betrifft, allein der Machtvollkommenheit des Papstes.“ (Thomas von Aquin)
Was nun die Grenzen dieses Gehorsams angeht, so soll niemand meinen, den kirchlichen Oberhirten, insbesondere dem Römischen Papst, habe man nur in den Glaubenslehren (Dogmen) zu gehorchen, deren hartnäckige Verwerfung das Verbrechen des Irrglaubens ausmacht. Es genügt sogar nicht, aufrichtig und fest jenen Lehren zuzustimmen, welche von der Kirche zwar nicht durch einen feierlichen Ausspruch definiert sind, aber doch von dem ordentlichen und allgemeinen kirchlichen Lehramt als göttlich geoffenbarte Wahrheiten uns zu glauben vorgestellt werden; das Vatikanische Konzil hat entschieden, daß diese Wahrheiten mit göttlichem und katholischem Glauben festzuhalten sind. Es ist vielmehr auch Christenpflicht, daß man sich durch die Regierungsgewalt der Bischöfe, besonders aber durch die des Apostolischen Stuhles leiten und führen lasse. Wie richtig dieses ist, ist leicht einzusehen. Die göttliche Offenbarung enthält Wahrheiten, die sich teils auf Gott beziehen, teils auf den Menschen und auf die zum Heile der Menschen notwendigen Mittel. Über beides, nämlich über das, was wir zu glauben, und das, was wir zu tun, gibt uns, wie gesagt, die Kirche kraft göttlichen Rechtes Vorschriften, und in der Kirche steht dies hinwiederum dem Papst zu. Darum muss der Papst gemäß seiner Autorität auch entscheiden können, was die göttliche Offenbarung enthält, was mit der Offenbarung im Einklang steht und was nicht; ebenso muss er erklären können, was sittlich ist und was unsittlich, was wir zu tun und was wir zu lassen haben, um das Heil zu erlangen; sonst könnte er weder das Wort Gottes mit Sicherheit auslegen, noch dem Menschen ein sicherer Führer auf dem Lebenswege sein… –
aus: Anton Rohrbasser u.a., Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII., 1953, S. 551 – S. 554
siehe auch Auszug aus „Sapientiae christianae“: Der Glaube ist zu bewahren durch Studium und Gebet
Gesamtes Schreiben zu finden unter: Leo XIII. Enzykliken und Rundschreiben