Maria Hilfe der Christen – Retterin der Christenheit
Ein Lustwandeln, eine fromme Wallfahrt durch den Garten des schönen, friedlichen, gottseligen Lebens Marias ist der Mai. Die heilige Stadt Jerusalem, der Tempel, das liebliche Bethlehem, das stille Nazareth des Gelobten Landes sind die Stätten, wohin wir, angelockt durch den süßen Duft ihres Wandels, ihr folgen. Seit ihrer Himmelfahrt indes ist der Schauplatz ihres Lebens und Waltens ein ganz anderer. Der Plan ist die ganze Welt, die Jahrhunderte der Kirche als weite, unabsehbare Walstatt, auf der sämtliche christliche Völker harten Streit bestehen gegen ebenso zahlreiche, sichtbare und unsichtbare, unheimliche Mächte. Und die Führerin im Kampf ist Maria. Sie hat ihre Brust mit Stahl, ihre Hand mit dem Schwert bewehrt zur Abwehr und Niederwerfung feindlicher Gewalt; die jungfräuliche Hausmutter der Christenheit ist Kriegsherrin, Vorkämpferin, Retterin der Christenheit aus Gefahr und Untergang geworden.
Wir wollen uns zuerst die Betätigung dieser Hilfe vergegenwärtigen, dann auf deren Begründung eingehen und endlich einige Schlussfolgerungen ziehen.
Wie glorreich sich Maria als Helferin der Christen erwiesen hat.
Man kann zusammenfassend sagen, daß Maria die alte, bewährte, allgemeine, wunderbare und siegreiche Hilfe der Christen ist, die Hilfe, die nie versagt hat, in keiner Not, in keinem Gebiet der irdischen Herrschaft Gottes, und die ebenso viele Siege als Kämpfe zählt. Maria ist das erwählte Werkzeug der Hilfe in der Hand Gottes wie keine andere geschaffene Macht, der wahre Kriegs- und Schutzengel der Kirche. Dafür mögen nur einige geschichtliche Erweise zeugen.
Der äußere zeitliche Bestand der Christenheit an sich ist gewiß eine Gnade, die vor allem in Berechnung kommen kann und muss. Er war oft genug seit der Entstehung des Christentums der Angriffspunkt erbitterter und mächtiger Feinde. Abgesehen von den Verfolgungen unter den römischen Kaisern, folgten, um bei näher liegenden Zeiten zu bleiben, auf die Persereinfälle im Morgenland seit dem 7. Jahrhundert die der Mohammedaner. Die sog. schreckliche Türkennot war es, die trotz der Kreuzzüge immer bedrohlicher von Ost und West und Süd mehr denn ein Jahrtausend die Christenheit ängstigte und bedrohte. Die letzten großen Siege der Christen nun, welche die Türkenmacht für immer brachen, die Siege bei Lepanto (1571), am Kahlenberg bei Wien (1683) und bei Peterwardein (1716), werden von den Päpsten Pius V., Gregor XIII., Klemens X., Innozenz XI. und Klemens XI. der besonderen Hilfe der Gottesmutter zugeschrieben. Und das Rosenkranz- und Namensfest Marias, die von ihnen eingesetzt wurden, sind bleibende Denkmale dieser immerwährenden Hilfe und des Schutzes Marias über die Christenheit. In Verbindung mit der Türkennot steht die Berufung und Stiftung mancher Orden, welche die Mutter Gottes als ihre besondere Urheberin anerkennen; so der Orden der Deutschritter, auch Marienbrüder genannt, die erst im Gelobten Land (1191), dann, von da vertrieben, in Preußen und Livland den Glauben verteidigten und ausbreiteten; ebenso der Orden Unserer Lieben Frau von der Barmherzigkeit oder der Mercedarier zur Befreiung der Christensklaven (1235), die in übermäßiger Zahl bei den Mohammedanern in Ketten schmachteten und den Glauben zu verlieren Gefahr liefen. Diese Orden zählen aber ihre Mitglieder nach Legionen und stellen ganze Heere von Hilfsvölkern dar, welche Unsere Liebe Frau der armen Christenheit erweckte und die Jahrhunderte lang nicht bloß für das Heil der Seele, sondern auch für die Linderung des äußeren Elends der Christen Leib und Leben in die Schanze schlugen. Für die geistlichen wie für die leiblichen Nöten der Christenheit hat Maria ein mütterliches Herz und nachdrückliche Hilfe. Es gibt kaum ein katholisches Land, kaum ein katholisches Volk das, in Glaubens- und Religionskriege verwickelt, von Pest und Hungersnot heimgesucht, nicht ihre mächtige Fürsprache und ihren Schutz erfahren hätte. Spanien, Deutschland, Polen, Ungarn, Frankreich sind voll von Erinnerungs-Zeichen himmlischer Hilfe, Deutschland namentlich aus den verhängnisvollen Kriegsläufen unter Ferdinand II., Ferdinand III. und Leopold I.
Zum inneren Bestand der Kirche und der Christenheit aber gehört die Reinheit des Glaubens und der Sitten, und sie wird namentlich gefährdet durch Ketzerei, Gleichgültigkeit und sittliche Verderbnis. Auch da setzte Maria mit ihrer Hilfe ein. Vornehmlich kommen auch hier die großen Orden in Betracht, deren sich die Gottesmutter bediente, um durch ihre großen Männer und durch die Andachten, die sie verbreiteten, die Reinheit des Glaubens gegen Ketzereien zu bewahren, den Glaubensgeist zu wecken und die Sitten zu verbessern. Im 13. Jahrhundert bekämpften die apostolischen Orden der heiligen Dominikus und Franziskus von Assisi die gefährliche Ketzerei der Albigenser und bewirkten eine Reform des kirchlichen Lebens, während die Karmeliter durch das Skapulier den Christen eine neues Mittel des Heiles boten. Rosenkranz und Skapulier sind große Andachten, die auf Maria zurück gehen und unbeschreibbaren Nutzen, köstliche Frucht der Erneuerung des Glaubens, des sittlichen Lebens und des Heiles gezeitigt haben und jetzt noch zeitigen.
Das 16. Jahrhundert brachte neue verhängnisvolle Gefahren für den Glauben und den ganzen Bestand des christlichen Lebens durch die Reformation; aber es sah auch neue Hilfsvölker und Gnadenmittel erstehen durch neue Orden, unter andern die Gesellschaft Jesu, welche, auf dem Montserrat und auf dem Montmartre Maria geweiht, durch Missionswerke, Schulen und gelehrten Unterricht und durch die marianischen Kongregationen der Reformation in Deutschland und Frankreich halt gebot und eine Erneuerung des christlichen Lebens bewirkte. Vor allem aber gehört in die Christenheit der Papst mit seinem sichtbaren Sitz in Rom. Nach einem Bestand von mehr denn 1000 Jahren wurde im letzten Jahrhundert die natürliche Grundlage der geistigen Macht des Papsttums, die zeitliche Herrschaft, durch einen Weltenstürmer, wie ihn die Welt kaum je gesehen hatte, Napoleon I., erschüttert und vernichtet. Zwei Päpste mussten, mit Gewalt ihrem Sitz entrissen, über die Alpen in die Gefangenschaft. Pius VI. starb im Gefängnis, Pius VII. nannten die Feinde der Religion triumphierend schon Pius „den Letzten“. Aber so wie er gegen alles Erwarten erwählt worden war, so wurde er, ganz augenscheinlich durch höhere Hilfe, sozusagen auf den Händen andersgläubiger Mächte rasch wieder auf den päpstlichen Thron in Rom erhoben. Er hatte in der Gefangenschaft durch ein Gelöbnis die Hilfe der Himmelskönigin angefleht. Und er hielt es; im Jahre 1814 setzte er das fest Maria, Hilfe der Christen, in der Kirche ein.
Das sind einzelne große Züge, mit denen die Gottesmutter ihre Hilfe für die Christenheit in die Geschichte der Kirche eingezeichnet und in denen sie sich wirklich als altbewährte, allgemeine und oft wunderbare Retterin erwiesen hat. Durch keinen heiligen, durch keinen Engel hat Gott der Christenheit so große Wohltaten, so großartige Erweise des Schutzes und der Hilfe zukommen lassen. Die angeführten Beispiele umfassen den größten Teil der Geschichte des Volkes Gottes auf Erden. Über sie hinaus hat jedes Land und jedes Volk seine seine besonderen Erinnerungs-Zeichen und Gedenkfeste, die von den Wegen der Macht und Güte Marias Kunde geben. Werfen wir nur einen Blick auf die unzähligen Gnaden- und Wallfahrtsstätten Unserer Lieben Frau, welche die ganze Christenheit bedecken. Sie sind die sichtbaren Gnadenthrone ihrer Güte, die stets sprudelnden Quellen ihrer ewig frischen Gnaden- und Heilmacht; sie sind gleichsam die öffentlichen, übernatürlichen Heilstätten der Christenheit und der Welt, wo alle Leiden und Gebrechen, leibliche und geistliche, Genesung finden. –
aus: Moritz Meschler SJ, Aus dem katholischen Kirchenjahr, Erster Band 1919, S. 344 – S. 348