Das Leben und Leiden und der Tod Jesu
Die Gefangennahme Jesu am Ölberg
Joh. 18,2. Es wußte aber auch Judas, der ihn verriet, den Ort: denn Jesus war oft mit seinen Jüngern dahin gekommen. – 3. Da nun Judas die Wache und die Diener von den Hohenpriestern und Pharisäern zu sich genommen hatte, kam er dahin mit Laternen, Fackeln und Waffen. – 4. Jesus aber, der alles wußte, was über ihn kommen sollte, trat hervor und sprach zu ihnen: „Wen suchet ihr?“ – 5. Sie antworteten ihn: „Jesum von Nazareth.“ Jesus sprach zu ihnen. „Ich bin es.“ – Es stand aber auch Judas, der ihn verriet, bei ihnen. – 6. Als er nun zu ihnen sprach: Ich bin es: da wichen sie zurück und fielen zu Boden. – 7. Da fragte er sie wiederum: „Wen suchet ihr?“ Sie aber sprachen: „Jesum von Nazareth.“ – 8. Jesus antwortete: „Ich habe es euch gesagt, daß ich es bin: wenn ihr also mich suchet, so lasset diese gehen.“ – 9. Damit das Wort erfüllet würde, welches er gesprochen hatte: Die du mir gegeben hast, keinen von ihnen habe ich verloren. – Simon Petrus aber zog das Schwert, das er hatte, schlug den Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm sein rechtes Ohr ab. Der Name des Knechtes aber war Malchus. – 11. Da sprach Jesus zu Petrus: „Stecke dein Schwert in die Scheide! Soll ich den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, nicht trinken?“ – 12. Die Wache aber, der Oberhauptmann und die Diener der Juden ergriffen Jesum und banden ihn.
Luk. 22,47. Und da Jesus noch redete, siehe, da war eine Schar: und einer von den Zwölfen, mit Namen Judas, ging vor ihnen her: und er nahte sich Jesu, um ihn zu küssen. – 48. Jesus aber sprach zu ihm. „Judas, mit einem Kuss verrätst du den Menschensohn?“ – 49. Als aber die, welche um ihn waren, sahen, was geschehen sollte, sprachen sie zu ihm: „Herr, sollen wir mit dem Schwert darein schlagen?“ – 50. Und einer von ihnen schlug auf den Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm das rechte Ohr ab. – 51 Jesus aber entgegnete und sprach: „Lasset ab, nicht weiter!“ und er rührte sein Ohr an und heilte ihn. – 52. Zu denen aber, die zu ihm gekommen waren, zu den Hohenpriestern, zu den Tempel-Hauptleuten und Ältesten, sprach Jesus: „Wie zu einem Mörder seid ihr ausgezogen mit Schwertern und Prügeln. – 53. Täglich war ich bei euch im Tempel, und ihr habt die Hände nicht gegen mich ausgestreckt: aber das ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.“ – 54. Sie aber ergriffen und führten ihn in das Haus des Hohenpriesters, und Petrus folgte von ferne.
siehe auch:
Matth. 26,45 – 26,56
Mark. 14,41 – 14,52
Der Heiland geht seinen Feinden entgegen
Gestärkt durch den Engel und in ruhigem Besitz seiner Kräfte kam der Heiland zum dritten Mal zu den Aposteln. Er fand sie wieder im Schlaf und sagte zu ihnen: Was schlafet ihr? Und mit einer leisen, liebenswürdigen Rüge: „Doch schlaft nur und ruhet, es ist fertig“, es ist genug des Ankämpfens gegen den Schlaf und Traurigkeit. „Stehet auf. Lasset uns gehen. Sehet, mein Verräter naht. Die Stunde des Leidens ist da, und der Menschensohn wird in die Hände der Sünder (der Heiden) überliefert“ (Matth. 26,45 u. 46; Mark. 14,41 u. 42; Luk. 22,45 u. 46).
Der Heiland mag bei diesen Worten auf den Talweg hingewiesen haben, auf welchem die Schar, die ihn gefangen nehmen sollte, heran kam. Judas hatte nämlich behufs Gefangennehmung des Herrn eine römische Kohorte mit einem Hauptmann, einen Teil der Tempelwache, die aus Leviten bestand, und Dienerschaft der Hohenpriester und mächtiger Pharisäer erhalten (Joh. 18,3). Unter ihnen befanden sich auch einige Priester höheren Ranges und Tempel-Befehlshaber und Älteste (Luk. 22,52) Sie waren abgeordnet vom Hohen Rat, die Gefangennehmung vorzunehmen, und waren deshalb bewaffnet mit Schwertern, Knütteln, und mit Windlichtern versehen (Matth. 26,47; Mark. 14,43; Joh. 18,3). Allen voraus ging Judas als Führer (Apg. 1,16), vielleicht in einiger Entfernung, um vor dem Heiland nicht den Schein zu haben, als hätte er mit der Rotte etwas zu tun. Als Zeichen, an dem die Soldaten den Heiland erkennen sollten, war ein Kuss verabredet, den Judas dem Herrn bei der Begegnung geben sollte, und zugleich hat er ihnen große Vorsicht anbefohlen (Matth. 26,48; Mark. 14,44).
Dieser Rotte ging also der Herr wahrscheinlich auf dem Weg neben dem Garten Gethsemani bis zur heutigen sogenannten Todesangst-Grotte entgegen. Die acht Apostel mochten indessen sich auch dem Heiland angeschlossen haben. Es ist dieses ein erhabenes Schauspiel, wie der Heiland seinen Feinden entgegen geht. Auch hier behauptet er den majestätischen Zug der Freiheit und Selbstbestimmung zum Leiden. Er will nicht von seinen Feinden überrascht werden. Und wie steht er ihnen gegenüber! Welch ein Gegensatz: hier himmlische Ruhe, Friede, Klarheit und Mut, dort Unsicherheit, Eile, Aufregung und Gewalt! In dem unsicheren Wogen ringsum ist er der einzige stille, ruhige und sichere Punkt. Es ist dies ein treffendes Bild der Kirche, wie sie in dieser Welt stets den Feinden und Verfolgern gegenüber steht.
Der Heiland begegnet seinen Feinden
In dieser Begegnung sind zwei Umstände zu betrachten.
Erstens, wie der Heiland erkannt wurde. Vor allem sollte dies geschehen durch den Verrat des Judas. Judas trat nämlich auf den Herrn zu, grüßte ihn: „Sei gegrüßt, Rabbi“, und gab ihm den üblichen Kuss (Luk. 22,47; Matth. 26,49; Mark. 14,45). Viele Soldaten, wohl die meisten, kannten den Heiland nicht. Zudem war es Nacht und schwierig, nicht fehlzugreifen. Was liegt aber nicht alles in diesem Kuss? Welche eine Frechheit, sich so unter den Augen der Apostel an die Person des Heilandes zu machen! Welch eine Heuchelei und Niederträchtigkeit, das Zeichen der Freundschaft und Jüngerschaft zum Verrat zu mißbrauchen! Und welch eine Bosheit und Gefühllosigkeit, so das Zeichen zum schrecklichen Marterprozeß zu geben! (2. Kön. 20,9 u. 10) – Wie benimmt sich nun der Heiland gegenüber dieser scheußlichen Tat? Er weist den Kuss nicht ab, er läßt ihn zu, nimmt ihn und erwidert ihn, weil er eben das Zeichen zu seinem Tod ist und weil er leiden und sterben will. Ferner begleitet er die Erwiderung des Kusses mit den Worten der unbegreiflichsten Sanftmut: „Freund, wozu bist du gekommen? Mit einem Kuss verrätst du den Menschensohn?“ (Matth. 26,50; Luk. 22,48) Er sprach dieses zu Judas, um ihm zu zeigen, daß er alles wisse und sein Herz und seine Gedanken durchschaue, und um ihn, wo möglich, durch diese Offenbarung seiner Absicht und seiner unergründlichen Sanftmut und Liebe zu rühren. Welch wunderbare Gnade! Wie viele Heilige und Diener Jesu würden einen Kuss von ihm für die höchste Belohnung ihrer Treue und ihrer Arbeit angenommen haben, und sie erhalten ihn nicht. Dem Judas aber erwies er diese Huld. Wohin ihn doch die Liebe zu den Sündern, das Verlangen nach dem Heil ihrer Seelen und das Verlangen nach dem Leiden bringt! – Wahrscheinlich aber wurde das Zeichen des Verrates in der Dunkelheit und Verwirrung nicht genugsam beachtet, und so wurde der Heiland zweitens erkannt durch das eigene Wort: „Ich bin es“; das er zweimal wiederholte (Joh. 18,5 u. 8), nachdem er auf diese Frage, wen sie suchten, die Antwort erhalten hatte, sie suchten Jesus von Nazareth (ebd. 18, 5 u.7). Damit gab er sich also ganz deutlich zu erkennen; und damit kein Zweifel übrig bleibe, wirkte er dabei ein Wunder, indem er diejenigen von der Rotte, die zunächst standen und antworteten, durch das einzige Wort. „Ich bin es“, zu Boden warf (ebd. 18,6). Er tat dieses, teils um seine Freiheit zu beweisen, teils um die Feinde von dem Verbrechen abzuschrecken und vorzüglich, um die Aufmerksamkeit und Tätigkeit derselben von den Aposteln ab- und auf sich selbst hinzulenken, wie er ja auch sagte: „Wenn ihr mich suchet, so lasset diese gehen“ (ebd. 18, 8 u. 9) „Der gute Hirte gibt sich selbst hin, um seine Schäflein zu retten“ (ebd. 10,11). Wie es scheint, beabsichtigten die Juden, auch die Apostel gefangen zu nehmen.
Der zweite Umstand bei der Begegnung war, daß der Heiland den Widerstand der Apostel verhinderte. Als die Soldaten Hand an den Heiland legen wollten, rief Petrus aus, ob sie mit dem Schwert darein schlagen sollten, und ohne die Antwort des Herrn abzuwarten, hatte er auch das Schwert gezogen und Malchus, einem Diener des Hohenpriesters, mit einem Schlag nach dem Haupt ihn ein Ohr abgehauen (Matth. 26,51; Mark. 14,47; Luk. 22,49 u. 50; Joh. 18,10). Der Heiland verwies ihm aber sein Tun und befahl ihm, das Schwert einzustecken.
Dafür gab er zwei Gründe an:
erstens weil jeder, der das Schwert ergreift, gewärtig sein muss, daß ihm mit dem Schwert begegnet wird zu seinem Nachteil; es scheint das Wort Jesu ein Sprichwort gewesen zu sein; zweitens weil es dem Willen Gottes widerspricht, sein Reich mit Waffen zu verteidigen; wenn nicht, könnte er Hilfe durch Engel haben, aber er will den Kelch, den der Vater ihm gibt, trinken, und die Schrift muss erfüllt werden (Matth. 26,52-54; Luk. 22,51; Joh. 18,11). Ein widersetzen wäre hier also töricht, unwürdig und überflüssig gewesen und dem Willen Gottes entgegen. Damit war der Widerstand nieder geschlagen. Voll Güte heilte der Heiland die Verwundung, die Petrus dem Malchus beigebracht hatte (Luk. 22,51). Ebenso verwies er aber auch den Priestern und Tempel-Befehlshabern die unwürdige und verächtliche Gewalttat, indem er sagte, daß sie gegen ihn wie gegen einen Räuber ausgezogen; jeden Tag sei er ja bei ihnen im Tempel gewesen, sie hätten ihn gefangen nehmen können; das sei aber ihre Stunde und die Macht der Finsternis, und es müsse so geschehen, damit die Schrift erfüllt würde (Matth. 26,55 u. 56; Mark. 14,48 u. 49; Luk. 22,52 u. 53). Mit diesen Worten beweist der Heiland ihnen seine Unschuld und seine freiwillige Hingabe in den Willen Gottes und erinnert sie an seine Wohltaten und schreckt sie durch den Hinweis auf ihre Tat, die nicht gut sein muss, da sie die Nacht sucht und den Satan zum Urheber hat.
Die Gefangennahme des Heilandes durch seine Feinde
Auf diese Worte hin legten die Soldaten Hand an den Heiland (Matth. 26,57; Luk. 22,54; Mark. 14,46; Joh. 18,12), banden und fesselten ihn und führten ihn ab, wahrscheinlich unter roher Misshandlung und kränkendem Spott. Der Herr ließ aber alles geduldig über sich ergehen. So wurden ihm denn die Hände gebunden, die stärker sich erweisen konnten als die Hände Samsons, und ruhig und geduldig ließ er sich abführen. In der Gefangennehmung brachte der Heiland eigentlich das Opfer seiner Freiheit, seiner Ehre und seines Lebens. Er ist von nun an nichts als das Opfer der Grausamkeit seiner Feinde und unserer Sünden. Voll unendlicher Geduld, Liebe und Demut brachte er dieses Opfer.
Indessen zerstreuten sich die Apostel und flohen nach allen Seiten (Matth. 26,56; Mark. 14,50). Nur ein junger Mann – man weiß nicht, wer er ist – folgte bloß im Unterkleid dem Zuge, der mit dem Heiland der Stadt zuging. Er wurde von den Soldaten gefaßt, entfloh aber mit Zurücklassung seines Linnen-Überwurfes (Mark. 14,51 u. 52). So war das Wort des Heilandes und die Schrift in Erfüllung gegangen. Alles war geflohen, und der Heiland, allein und verlassen, lag in der Macht seiner rohen und übermütigen Feinde. Es gehört diese Flucht der Jünger auch zu den Bitterkeiten seines heiligen Leidens, und die Propheten hatten sie lange vorher geweissagt (Ps. 21,12; 87,9 u. 19).
Die Gefangennehmung ist der majestätische Eingang der Passion. In welch glorreicher und liebenswürdiger Größe offenbart sich da der Heiland! Vor allem seine Allwissenheit. Er wußte, daß Judas es auf diesen Ort und auf diese Stunde abgesehen hatte (Joh. 18,2); er sah im Geist die Rotte sich nähern, und er wußte alles, was da kommen sollte (ebd. 18,4 – Wie herrlich entfaltet sich seine Macht und göttliche Freiheit! Er will und braucht keinen Verteidiger. Wenn es ihm auf Verteidigung ankäme und der Vater es nicht anders beschlossen hätte, genügte ein Wink, und die himmlischen Heerscharen ständen seines Winkes gewärtig. Aber auch die Engel braucht er nicht, mit einem Wort und Atemzug bannt er selbst die ganze Rotte. – Endlich beweist er seine rührende Güte sowohl gegen Malchus als gegen die Apostel, indem er sorgte, daß ihnen kein Leid widerfuhr (ebd., 18, 8 u. 9), sowie gegen einen Judas. – Die Kirche ist immer die Braut Christi und das treue Bild seines Geistes. So hält sie es stets der Welt gegenüber, die sie verfolgt, schmäht, beraubt und ihre Freiheit schmälert. Ihre Gedanken und Grundsätze gegenüber deren List und Gewalt sind stets dieselben geblieben. Sie greift nicht nach dem Schwert und Streitkolben; ihre Macht liegt im Willen Gottes und im Leiden und Dulden. Gebunden segnet sie noch und tut Gutes denen, die ihr schaden. Die Bande für Christus sind ihr schönster und kostbarster Schmuck und das höhere Unterpfand ihres Sieges! Immer spricht sie: Man braucht Gewalt, Gott sei Dank! –
aus: Moritz Meschler SJ, Das Leben unseres Herrn Jesu Christi des Sohnes Gottes in Betrachtungen Zweiter Band, 1912, S. 315 – S. 321