Die Gefangennahme Jesu im Ölgarten
Als Jesus noch redete, siehe, da kam Judas, einer von den Zwölfen, und mit ihm eine große Schar (1) mit Laternen, Fackeln (2), Schwertern und Prügeln, abgeschickt von den Hohenpriestern, Schriftgelehrten und Ältesten des Volkes (3). Es hatte ihnen aber der Verräter ein Zeichen gegeben (4), indem er sagte: „Den ich küssen werde, der ist`s, den ergreift und führt ihn behutsam!“ (5) Und sogleich trat er zu Jesus und sprach: „Sei gegrüßt, Meister!“ und er küßte ihn. Jesus aber sprach zu ihm: „Freund, wozu bist zu gekommen? Judas, mit einem Kuss verrätst du den Menschensohn!“
Darauf trat Jesus, der alles wußte, was über ihn kommen sollte, der Rotte entgegen und fragte sie: „Wen sucht ihr?“ Sie antworteten: „Jesus von Nazareth.“ Jesus sprach zu ihnen: „Ich bin es!“ Es stand aber auch Judas, der ihn verriet, bei ihnen. Sowie er nun zu ihnen sprach: „“Ich bin es!“ da wichen sie zurück und fielen zu Boden (6). Wiederum fragte er sie: „Wen suchet ihr?“ Sie aber sprachen: „Jesus von Nazareth!“ Jesus erwiderte: „Ich habe es euch gesagt, daß ich es bin; wenn ihr also mich sucht, so laßt diese hier gehen!“ – damit sein Wort erfüllt würde: „Von denen, die du mir gegeben hast, habe ich keinen verloren.“ (7) Da schickten sie sich an, Hand an ihn zu legen.
Als dies die Jünger sahen, sprachen sie: „Herr, sollen wir nicht mit dem Schwert dreinschlagen?“ Simon Petrus aber zog sein Schwert, schlug den Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm das rechte Ohr ab; der Knecht hieß Malchus. Jesus aber sprach zu Petrus: „Stecke dein Schwert in die Scheide! Denn alle, die das Schwert ergreifen, werden durch das Schwert umkommen. (8) Oder meinst du, daß ich meinen Vater nicht bitten kann, und er würde mir jetzt mehr als zwölf Legionen Engel schicken? (9) Wie soll aber dann die Schrift erfüllt werden, daß es so geschehen müsse? (10) Soll ich den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, nicht trinken?“ und er berührte das Ohr des Knechtes und heilte ihn. Zu denen aber, die gegen ihn ausgezogen waren, zu den Hohenpriestern, Tempelhauptleuten und Ältesten sprach er: „Wie gegen einen Mörder seid ihr ausgezogen mit Schwertern und Prügeln, um mich zu ergreifen. Täglich saß ich doch bei euch im Tempel, und ihr habt die Hände nicht gegen mich ausgestreckt; aber die Schrift muss erfüllt werden, und das ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.“ Da ergriffen und banden sie sie ihn. Die Jünger aber verließen ihn alle und flohen.“ Ein Jüngling folgte ihm, nur mit einem Linnentuch bedeckt; sie erfaßten ihn (11); da warf er das Linnentuch von sich und entkam ihren Händen.
(1) Sie bestand aus einer Abteilung der levitischen Tempelwache, aus Knechten des Hohen Rates (Joh. 18,10 u. 26) und einer „Kohorte“ römischer Soldaten (Joh. 18, 3 u. 12). „Kohorte“ hier kaum im eigentlichen Sinn = 600 Mann, sondern im weiteren Sinn = eine militärische Abteilung.
(2) Wenn es auch Vollmond war (es war ja der 14. Nisan, der erste Vollmond nach dem Frühlings-Äquinoktium), so kann doch der Himmel bewölkt gewesen sein. Bei dem Licht der Fackeln wird „das Licht der Welt“ gefangen.
(3) D.i. von dem Hohen Rat.
(4) Es mochten manche unter der Schar sein, die Jesus von Angesicht nicht kannten. Der Kuss war das gewöhnliche Zeichen der Begrüßung; hier musste er als Mittel des des schändlichsten Verrates dienen. Jesus, dem dieser Kuss schmerzlicher gewesen sein mag als alle folgenden Leiden, weist ihn nicht zurück, sondern erwidert ihn mit einer letzten liebevollen Mahnung. Judas aber blieb verstockt. – Der Ort des Verrats, in der Nähe der Grotte der Todesangst, gilt selbst bei den Mohammedanern als verflucht und ist ringsum hoch mit den Steinen umgeben, die zum Zeichen des Abscheus, ähnlich wie beim Denkmal Absaloms, von Vorübergehenden dahin geworden werden.
(5) Damit er nicht entfliehe.
(6) Wohl auch Judas, der nach Joh. 18,5 bei ihnen stand. Judas sollte erfahren, wie überflüssig sein Rat gewesen: „Ergreift ihn und führt ihn behutsam.“ – Jesus zeigte durch dieses Wunder, daß er sich freiwillig überliefere, da er allein und ohne Waffen, mit einem einzigen Wort sie zu Boden warf. Er selbst gab ihnen Macht über seine Person; zugleich aber setzte er mit seiner göttlichen Allmacht der Wut der Häscher Schranken durch das Verbot, die Seinigen zu berühren.
(7) Joh. 18,4-9; nur Judas, der „Sohn des Verderbens“ ging an Leib und Seele zu Grunde.
(8) Gleiches wird mit Gleichem vergolten, und die, die ihre Sache mit dem Schwert verfechten, müssen sich gefallen lassen, durch das Schwert bis auf den Tod bekämpft zu werden. Obwohl Petrus hier denken konnte, er handle in gerechter Notwehr, wie die Liebe zu seinem göttlichen Meister es fordere, so belehrt doch Jesus ihn, und in ihm alle seine Jünger, hier eines andern, daß nämlich seine Sache nicht miß äußerer Gewalt, sondern durch die geheimnisvollen Waffen der Geduld, der Standhaftigkeit, des Martertums, des Gebetes und Gottvertrauens verfochten werden müsse. Es ist das Geheimnis des Kreuzes, durch das Christus gesiegt hat, und durch das seine Braut, die Kirche, bis ans Ende der Zeiten triumphieren wird.
(9) Mehr als 72000 Mann, eine ganze Armee. Der Sohn Gottes bedarf menschlicher Hilfe nicht, und wenn er seinen Feinden Gewalt läßt, so geschieht es, damit der göttliche Ratschluss erfüllt werde, zur Ehre Gottes und zum Heil der Seelen. Gerade so ist es in Zeiten der Verfolgung der Kirche: Gott läßt da der Hölle Gewalt, aber nur zu seiner Ehre und zum Heil der Seelen; die Christen müssen dann durch glühende Gebete, wahres Streben nach Heiligkeit, unüberwindliche Geduld und Standhaftigkeit, heldenmütige Opfer etc. Gott verherrlichen, den Triumph der Kirche vorbereiten und die Hölle zu Schanden machen.
(10) Daß ich freiwillig und geduldig leiden müsse; vgl. z.B. Is. 53,7.
(11) Daraus ist ersichtlich, daß sie auch die Jünger ergriffen hätten, wenn Jesus ihnen die Macht dazu gelassen hätte. – Nach Grimm (Geschichte des Leidens Jesu I 408ff), Zahn (Einl. II 216f) und Belser (Einl. 70 und Geschichte des Leidens… des Herrn 272) war dieser Jüngling Johannes Markus, der Verfasser der zweiten kanonischen Evangelienschrift. Manche Väter dachten auch an den hl. Johannes; doch ist diese Meinung wenig begründet. –
aus: Schuster/Holzammer, Handbuch der Biblischen Geschichte, Bd. II, Neues Testament, 1910, S. 486 – S. 488