Die Arche war ein Vorbild der Kirche Christi
Worin dieser Bund, den Gott mit Noe schloß, bestand, sehen wir aus dem Folgenden. Danach wollte Gott zunächst den Noe und die Seinigen retten und durch sie ein neues, Gott treu ergebenes Menschengeschlecht begründen. So wird Noe der Retter und zweite Stammvater des Menschengeschlechtes, und Gott versammelt um ihn in der Arche die Tiere, die jetzt um seinetwillen gerettet werden, wie sie einst um Adams willen erschaffen worden waren.
Die Unterscheidung von reinen und unreinen Tieren erscheint hier als bekannt voraus gesetzt, jedoch nicht so, daß die späteren levitischen Bestimmungen darüber in die Urzeit zurück datiert wären. Sie findet sich bei allen Völkern und reicht vielleicht bis zum Sündenfall hinauf. Die Gesetzgebung hat sie auch in Israel vorgefunden, im einzelnen näher bestimmt und durch religiöse Motive geheiligt. Unter den reinen Tieren sind die von Pflanzen sich nährenden und eine reinere Lebensweise führenden Tiere zu verstehen, insbesondere die gewöhnlichen Haustiere. (1) Gerade aus ihnen, deren Hingabe und Verlust dem Menschen am schwersten fiel, mussten die Opfer genommen werden. Unter den unreinen Tieren sind die verstanden, welche mit Tod und Verwesung in besonders naher Beziehung stehen, daher alle Raubtiere, Raubvögel, auch Würmer und alles Ungeziefer; sodann alle, die in besonderer Weise unreinlich sind, wie das Schwein u. dgl., und hierdurch wie durch ihre Lebensweise, den Menschen an den Tod und dessen Ursache, die Sünde, erinnern.
Durch diese Unterscheidung sollte den Menschen hauptsächlich die Ehrfurcht vor dem unendlich reinen, heiligen Gott und die Sorge für die eigene Heiligung nahe gelegt werden. So spricht es Gott selbst aus: „Verunreinigt eure Seelen nicht mit irgend einem kriechenden Gewürm… Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.“ (2) Es sollte ihnen dadurch ferner eine Erinnerung ihrer Auserwählung und Bevorzugung vor allen heidnischen Völkern gegeben werden, sofern sie als „Volk Gottes“ nur vom Besten, „von dem Mark der Erde“ (3), sich nähren durften; auch sollten sie vor dem heidnischen Aberglauben bewahrt werden, der sich an das Opfern und Essen mancher Tiergattungen knüpfte. Man hat behauptet, es sei dabei auch auf das heiße Klima des Morgenlandes und die hierdurch bedingten Gesundheits-Verhältnisse Rücksicht genommen worden. Das war aber sicher gar nicht oder nur ganz nebensächlich der Fall; denn die heidnischen Nachbarvölker, welche diese Unterscheidung nicht kannten, die Philister, Syrer usw., waren ebenso gesund wie die Israeliten.
An Zeit zum Bau der Arche fehlte es nicht, da von der ersten Ankündigung des Strafgerichtes (4) bis zum Einbrechen der Flut 120 Jahre verflossen, und über die Dauer des Baues nichts gesagt ist. (5) Daß Noe sie nicht allein mit seinen drei Söhnen baute, versteht sich von selbst; an Arbeitern brauchte es ihm nicht zu mangeln, mochte er sie nun aus der eigenen Familie nehmen oder um Lohn dingen. Es liegt ein hoher Ernst darin, daß schließlich nicht einmal die Werkleute gerettet wurden.
Die Sündflut war ein furchtbares Strafgericht Gottes, das Christus der Herr selbst mit dem allgemeinen Weltgericht am Ende der Tage in Vergleichung bringt: „“Gleichwie es in jenen Tagen des Noe war, so wird es auch bei der Ankunft des Menschen Sohnes sein usw.“ (6) In ähnlicher Weise sagt der hl. Petrus: „Die damalige Welt ging, durch Wasser überschwemmt, zu Grunde. Der Himmel aber und die Erde, die jetzt sind, werden aufbewahrt für das Feuer am Tage des Gerichtes und der Verdammung der gottlosen Menschen. Nachher aber erwarten wir einen neuen Himmel und eine neue Erde, in welcher Gerechtigkeit wohnt.“ (7) – Sündigen wir daher nicht in vermessenem Vertrauen auf Gottes Langmut, sondern hören wir getreu auf die inneren und äußeren Mahnungen zur Buße, und seien wir nach der ernsten und liebreichen Mahnung des Herrn und seiner Apostel allzeit bereit, da wir nicht den Tag und die Stunde wissen. (8)
Die Sündflut war nach den heiligen Vätern und der Liturgie der Kirche ein Vorbild der heiligen Taufe, insofern durch sie die Sünden der Welt gleichsam hinweg gespült wurden und ein neues Geschlecht entstand: „ein und dasselbe Element (Wasser) machte der Sünde ein Ende und ward Anfang neuer Tugenden.“ Auch fanden in dem Wasser der Sündflut ohne Zweifel viele Zeitgenossen Noes Rettung für ihre Seelen; während nämlich ihre Leiber elend umkamen, taten sie noch im letzten Augenblick, inmitten der sie umdrängenden Wogen, Buße. „Christus kam dem Geist nach auch zu den Geistern, die im Gefängnis waren, und predigte denen, welche einst ungläubig waren und die Langmut Gottes missbrauchten, da die Arche gebaut ward“ (9), d. i. die aber nachher, als die Sündflut wirklich plötzlich herein brach, sich noch bekehrten. (10) Die Taube, die zur Arche zurück kehrte, wird als ein Bild des Heiligen Geistes betrachtet, der dem Wasser die Kraft der Heiligung verleiht. (11) Die Sündflut war ferner für Noe und die Seinigen der Übergang zu einem neuen Leben. „In ähnlicher Weise macht die Taufe selig“ (12), indem sie den Menschen zu einem neuen Geschöpf in Christus, reich an Gnaden, und zu einem Kind Gottes und Erben des ewigen Lebens macht.
Vorbildlichkeit der Arche
Die Arche war „ein Vorbild der Kirche Christi, die selig wird durch das Holz (des Kreuzes), an welchem der Mittler zwischen Gott und den Menschen, Christus Jesus, gehangen.“ (13) „Die Öffnung an der Seite bedeutet jene Wunde, durch welche die Seite des gekreuzigten eröffnet wurde; hier treten wir ein, wenn wir zu ihm kommen, weil aus ihr die Sakramente flossen, durch welche die Gläubigen Gott geweiht werden. Dort müssen alle eintreten, die nicht in der Sündflut umkommen wollen.“ Außerhalb der Arche gab es keine Rettung gegen den Untergang in der Sündflut. Außerhalb der Arche gibt es kein Heil gegen den ewigen Untergang, wie auch der hl. Cyprian (14) bemerkt: „Der kann Gott nicht zum Vater haben, der die Kirche nicht zur Mutter hat. So wenig einer, der außerhalb Noes Arche war, dem Untergang entrinnen konnte, so wenig wird auch der, welcher außerhalb der Kirche sich befindet, entrinnen können.“ –
Die Arche umschloss Geschöpfe aller Art; die Kirche umschließt in ihrem Schoß alle Völker, „jegliche Kreatur“. (15) Nur eine Türe führte in die Arche; nur die Taufe öffnet den Eingang in die Kirche. Die Arche zählte in ihrer großen Ausdehnung viele Bewohner, die nur Noe und den Seinigen bekannt waren. Das ungeheure Haus der Kirche zählt viele nur Gott und den Engeln bekannte Mitglieder, d. i. alle diejenigen, welche ohne ihre Schuld einer Sekte angehören, dabei aufrichtig den wahren Glauben suchen und nach bestem Wissen die Gebote Gottes halten. – Die Arche erschien gegenüber den die Erde überflutenden, furchtbar sich auftürmenden Wogen nur als ein schwaches, schwankendes Fahrzeug, „ein verächtliches Holz“ (16); allein der allmächtige und allweise Gott selbst lenkte sie und machte sie zu einem segensreichen Holz. Auch die Kirche stellte sich angesichts der ungeheuren Verfolgungen, die gleich anfangs über sie herein brachen, als ein sehr gebrechliches Schiff dar, da sie aller irdischen Macht entbehrte und sich nur auf das Kreuzesholz, diesen Gegenstand der allgemeinen Verachtung, stützte; allein der eingeborene Sohn Gottes selbst, der nach seiner Verheißung (17) für alle Zeiten ihr Steuermann ist, machte dadurch, daß er am Kreuzesholz für unsere Sünden litt und starb, dieses und die Kirche selbst zu einer unversiegbaren Quelle des Segens. – Die Wogen hoben die Arche in die Höhe, und sie glitt dahin über die Gewässer, und je höher die Wasser stiegen, desto höher und herrlicher erhob sie sich gen Himmel. So heben die irdischen Drangsale die Kirche von der Erde, d. i. von irdischem Streben empor, und je mehr Trübsale und Stürme sie erfährt, desto mehr erhebt sie sich zu Gott und desto herrlicher schreitet sie über dem niedern Treiben der Welt einher.
Wird die Sündflut als ein von Gott gesandtes Strafgericht und als das Werk eines außerordentlichen Eingreifens seiner Allmacht geschildert, so schließt das die Mitwirkung natürlicher Ursachen nicht aus. Gott, der mit seiner Allmacht die ganze Natur und ihre Kräfte geschaffen hat, lenkt und regiert dieselbe nach den Absichten seiner Weisheit, Liebe und Gerechtigkeit. Er ist es, der die Geschöpfe bewaffnet gegen die Sünder“ (18). So schon gleich nach der Sünde Adams und gegen Kain die Natur des Erdbodens, so hier die Wasserfluten, so später das Feuer gegen Sodoma usw. Er bestimmt die Geschöpfe, die sein Strafgericht vollziehen; er bestimmt die zeit und das Maß der Strafe; er kann ohne alle natürlichen Zwischenursachen eingreifen; er kann aber auch über all die zahllosen Kräfte in der Natur gebieten, die sich unserer Berechnung und selbst unserer Kenntnis gänzlich entziehen. Wenn jedoch die göttlichen Wunder sich an natürliche Verhältnisse anschließen, so tritt gerade das Übernatürliche an ihnen, das unmittelbare Eingreifen des Herrn der Natur nur um so schärfer hervor, wie an den ägyptischen Strafwundern, dem Manna usw.; anderseits liegen solche Wunder gewissermaßen unserm Verständnis näher und lassen der Verstockung des Unglaubens eine, wenn auch schwache und unvernünftige Ausflucht natürlicher Erklärungs-Versuche. Der Glaube hindert uns nicht, solchen natürlichen Ursachen, den Werkzeugen in der Hand des Allmächtigen, nachzuforschen, namentlich wo die Heilige Schrift selbst sie andeutet, wie hier bei der Sündflut und später bei dem Untergang von Sodoma; im Gegenteil ist dies zur Beschämung der Einwände der Ungläubigen sehr nützlich, und der hl. Augustin tadelt diejenigen, die gleich zu Wundern und zur absoluten Allmacht Gottes ihre Zuflucht nehmen, wo sie eine der Natur der Sache entsprechende Erklärung aufsuchen sollten. (19)
(1) Dies ergibt sich besonders aus Lv. 11, 1-30 und Dt. 4, 3-20.
(2) Lv. 11, 44.
(3) Gn. 45, 18; vgl. Nm. 18, 12.
(4) Vgl. 6, 3.
(5) Wegen 5, 31 (vgl. 6, 9 12; 7, 6 11) wird vielfach angenommen, der Bau habe 100 Jahre gedauert; allein da bei dem Befehl, die Arche zu bauen, bereits der Weiber der Söhne Noes gedacht wird (6, 14 18), diese Söhne aber ihm am Anfang dieser 100 Jahre von seinem 500. Jahre an, geboren wurden (5, 31; 6, 10; 7, 11), so sind jedenfalls noch wenigstens einige Jahrzehnte von diesen 100 Jahren in Abzug zu bringen. So könnte immerhin noch ein Zeitraum von 50 bis 70 Jahren für den Bau der Arche angenommen werden.
(6) Mt. 24, 37ff.
(7) 2. Petr. 3, 6 7 13.
(8) Mt. 24, 43f; 1. Thess. 5, 2ff; 2. Petr. 2, 3 10; Offb. 3, 3; 16, 15.
(9) 1. Petr. 3, 19f.
(10) So haben die Stelle schon der hl. Hieronymus und andere heilige Väter und nach ihnen fast alle bedeutenden katholischen Schriftsteller, z. B. Kornelius a Lapide (Comm. Ad Gen. 6, 5 et 1. Petr. 3, 20), Estius (Comm. Ad 1. Petr. 3, 20), Allioli, erklärt. Vgl. Hundhausen, Das erste Pontifikalschreiben des Apostelfürsten Petrus, Mainz 1873, 348f.; Weiß, Messianische Vorbilder, 10 f.
(11) Vgl. die Weihe des Taufwassers am Karsamstag.
(12) 1. Petr. 3, 21.
(13) S. Aug., De civ. Dei 1. 15, c. 26; C. Faust. 1. 12, c. 14; Tract. 120 in Ioann.; ähnlich die anderen Väter. Der hl. Augustin hebt an erster Stelle noch insbesondere hervor, daß auch die Maße der Länge, Höhe und Breite den menschlichen Körper bedeuten, den Christus nach der Verheißung wahrhaft annehmen sollte und annahm; denn der menschliche Körper ist sechsmal so lang als breit und zehnmal so lang als hoch, wenn er der Länge nach ausgestreckt ist. S. Aug., De civ. Dei 1. 15, c. 26, 1.
(14) De unit. Eccl. c. 6 (ed Hurter, Oeniponte 1868).
(15) Mk. 16, 15.
(16) Weish. 10, 4.
(17) Mt. 28, 20.
(18) Weish. 5, 18; vgl. 11, 18; 16, 1ff 24.
(19) S. Aug., De Gen. Ad lit. 1, 19, n. 39; 2, 1, v. 2. –
aus: Schuster/Holzammer, Handbuch der Biblischen Geschichte, Bd. I, Altes Testament, 1910, S. 212 – S. 218