Jesus erscheint den Jüngern von Emmaus und dem Petrus
An demselben Tage gingen zwei von den Jüngern nach einem Flecken namens Emmaus, der 60 Stadien (1) von Jerusalem entfernt war. Und sie redeten miteinander über alles, was sich zugetragen hatte. Während sie so redeten, offenbarte sich ihnen Jesus in einer andern Gestalt (2); er kam herzu und ging mit ihnen. Ihre Augen aber waren gehalten, daß sie ihn nicht erkannten. (3) Er sprach zu ihnen: „Was sind das für reden, die ihr miteinander führet, und warum seid ihr traurig?“ Der eine, namens Kleophas (4), antwortete: „Bist du der einzige Fremdling in Jerusalem und weißt nicht, was daselbst geschehen ist in diesen Tagen?“ Er sprach zu ihnen: „Was?“ Sie antworteten: „Was sich mit Jesus von Nazareth begeben hat, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk, und wie ihn unsere Hohenpriester und Vorsteher zur Todesstrafe überliefert und gekreuzigt haben. Wir aber hofften, daß er Israel erlösen würde. (5) Nun aber ist es zudem bereits der dritte Tag (6), seitdem dies geschehen ist. Doch erschreckten uns (7) einige Frauen aus den Unsrigen, die vor Sonnenaufgang am Grab waren und, da sie seinen Leichnam nicht fanden, kamen und sagten, sie hätten auch eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagten, daß er lebe. Und einige von denen, die mit uns sind, gingen hinaus zu dem Grabe und fanden es so, wie die Frauen gesagt hatten; ihn selbst aber fanden sie nicht.“
Da sprach Jesus zu ihnen: „O ihr Unverständigen! Von welch langsamer Fassungskraft seid ihr doch, bis ihr alles glaubt, was die Propheten geweissagt haben! Musste denn nicht Christus dies leiden und so in seine Herrlichkeit eingehen?“ Und nun fing er von Moses an, ging alle Propheten durch und legte ihnen alle Stellen aus, die in der Heiligen Schrift über ihn geschrieben stehen.
Unterdessen waren sie dem Flecken, wohin sie gingen, nahe gekommen, und Jesus stellte sich, als wolle er weitergehen. (8) Da nötigten sie ihn (9) und sprachen: „Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.“ Und er ging hinein mit ihnen. Da er nun mit ihnen zu Tische saß, nahm er das Brot, segnete es, brach es und reichte es ihnen dar. (10) Da wurden ihre Augen aufgetan, und sie erkannten ihn. Er aber verschwand aus ihren Augen. Und sie sprachen zueinander: „Brannte nicht unser Herz in uns (11), als er zu uns redete auf dem Weg und uns die Schrift erschloß?“
Und sie machten sich noch in derselben Stunde auf und kehrten nach Jerusalem zurück. Dort fanden sie die Elfe und die andern Jünger versammelt (12), die ihnen zuriefen: „Der Herr ist wahrhaft auferstanden und dem Simon erschienen.“ (13) Nun erzählten auch sie, was ihnen auf dem Weg begegnet sei, und wie sie den Herrn am Brotbrechen erkannt hätten; aber man glaubte ihnen nicht.
(1) Etwa 3 Stunden oder 11 ½ km.
(2) Der Magdalena war er als Gärtner erschienen; hier erscheint er in der Gestalt eines „Fremdlings“, d.h. eines Festpilgers.
(3) Der himmlische Arzt handelte mit ihnen, wie es zur Heilung ihrer Zweifel am besten war.
(4) Schwerlich der Gatte der „Schwester“ der allerseligsten Jungfrau, da dies in keiner Weise angedeutet ist und beide Jünger aus Emmaus gewesen zu sein scheinen, wie man aus ihrer Einladung schließen kann: „Bleibe bei uns“ etc. Die Vermutung, der Ungenannte der beiden Jünger sei Lukas selbst gewesen, hat keine Wahrscheinlichkeit. (Seihe Belser, Einleitung 115) Kleophas wird von der Kirche als Märtyrer verehrt. (Martyrol. Rom. 25. September)
(5) Sie sprechen fast, als sähen sie sich in ihrer Hoffnung getäuscht. Offenbar stellten sie sich noch (vgl. Apg. 1,6) den Messias als den Gründer eines heiligen, aber irdischen Gottesreiches und Befreier Israels von irdischer Knechtschaft vor.
(6) Auf den uns seine Verheißung der Auferstehung verwies, von deren Erfüllung wir jedoch noch nichts wahrgenommen haben.
(7) Eigentlich: „Sie haben uns ganz außer uns gebracht“ und so in Schrecken und Staunen versetzt, daß wir, ganz verwirrt, gar nicht wissen, was wir denken sollen, und zwischen Furcht und Hoffnung hin und her schwanken.
(8) Er wollte bleiben, aber nicht, ohne von ihnen eingeladen zu sein. Sein Bleiben sollte ein Lohn ihrer Gastfreundschaft und zugleich der Benutzung der Gnade sein, die er ihnen eben erwiesen.
(9) Sie taten ihm mit ihren dringenden Bitten gleichsam Gewalt an. Es war dies die erste Frucht der Unterweisung Jesu; sie hatte empfängliche Herzen gefunden. Auf die Benutzung dieser ersten Gnade folgen nun andere, weit größere Gnaden.
(10) Die älteren Väter und manche Exegeten (auch Belser, Geschichte des Leidens… des Herrn 478 u. 487f) nehmen an, Jesus habe hier den zwei Jüngern seinen allerheiligsten Leib dargereicht, weil der hl. Lukas und die andern Evangelisten ganz mit denselben Worten die erstmalige Darreichung des Fronleichnams Jesu erzählen, und insbesondere der hl. Lukas sonst mit dem Ausdruck „Brotbrechen“ die Feier des heiligsten Altarsakramentes bezeichnet. (Vgl. Apg. 2,42 u. 46; 20, 7 u. 11) Darum sagt der hl. Hieronymus (Epitaph. Paulae, sive Epist. 108, al. 27, n. 8): Christus habe hier das Haus des Kleophas zur Kirche eingeweiht. (Vgl. auch S. Aug., De cons. Evang. 1.3, c. 25, n. 72) Dann müssten also auch die Jünger vier Tage vorher bei der Einsetzung des heiligsten Sakramentes gewesen sein, obwohl dies nicht ausdrücklich erwähnt wird, ähnlich wie bei der feierlichen Erscheinung des Herrn auf dem Weg in Galiläa oder auf dem Ölberg bei der Himmelfahrt (Mt. 28,16; vgl. 1. Kor. 15,6; Mk. 16,14; Lk. 24,33ff; auch Apg. 1,6ff u. 13ff), oder der Herr müsste durch die Kraft des heiligsten Sakramentes ihre Augen geöffnet haben, daß sie ihn im Glauben erfaßten und auch äußerlich erkannten.
(11) War es nicht ganz ergriffen und von unnennbarer Freude erfüllt? Es war jenes Feuer, von dem Jesus einst gesagt, er sei gekommen, es auf die Erde zu senden, und er wolle nichts anderes, als daß es brenne. Dieses heilige Feuer sucht sich denn auch hier gleich weiter zu verbreiten.
(12) Im Cönakulum und bei verschlossenen Türen.
(13) Mit diesem Zuruf scheint der Widerspruch, daß sie nach dem Bericht des hl. Markus (16,13) auch diesen Jüngern nicht glaubten. Allein auf die Freude über die Auferstehung konnte eine plötzliche trübe Umstimmung folgen; auch konnten einige glauben, andere zweifeln oder ungläubig bleiben. Daß in dieser Beziehung noch nicht alles in Ordnung war, sehen wir aus den gleich folgenden Worten Jesu, die der hl. Lukas (24,38ff) mitteilt. – Auch dem hl. Jakobus dem Jüngeren erschien der Herr besonders. Beide Erscheinungen bezeugt der hl. Paulus (1. Kor. 15,5) –
aus: Schuster/Holzammer, Handbuch der Biblischen Geschichte, Bd. II, Neues Testament, 1910, S. 595-597