Verkündigung der Geburt Jesu
(Lk. 1, 26-38; 3, 24-38; vgl. Mt. 1, 1-17; Mk. 1, 1; Joh. 1, 1-18)
Im sechsten Monat (1) aber ward der Engel Gabriel (2) von Gott nach Nazareth, einem Städtchen in Galiläa gesandt (3), zu einer Jungfrau, die einem Manne namens Joseph verlobt war aus dem Hause Davids (4), und der Name der Jungfrau war Maria (5). Der Engel trat zu ihr hinein und sprach: „Gegrüßet seist du, Gnadenvolle (6), der Herr ist mir dir (7), gebenedeit bist du unter den Weibern!“ (8) – Da sie dies hörte, erschrak sie über seine Rede (9) und dachte nach, was das für ein Gruß sei. Und der Engel sprach zu ihr: „Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast Gnade gefunden bei Gott! Siehe, du wirst empfangen und einen Sohn gebären, und seinen Namen sollst du Jesus (10) nennen. Dieser wird groß sein und der Sohn des Allerhöchsten genannt werden (11), und Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben und er wird herrschen über das Haus Jakob in alle Ewigkeit und seines Reiches wird kein Ende sein.“ (12)
Maria aber sprach zu dem Engel: „Wie wird das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ (13) Der Engel antwortete und sprach zu ihr: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten (14). Darum wird auch das Heilige (15), das (aus dir) geboren werden soll, Sohn Gottes (16) genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, auch sie hat einen Sohn empfangen in ihrem Alter, und schon ist`s im sechsten Monat; denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ (17) Da sprach Maria:“ Siehe, ich bin eine Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort.“ (18) Und der Engel schied von ihr. (19)
Dies war zugleich der Augenblick der gnadenreichen Menschwerdung des ewigen, eingebornen Sohnes Gottes. In Betrachtung dieses Geheimnisses erhebt der hl. Johannes zuerst seinen Blick zum Thron Gottes, um uns an die ewige Herrlichkeit des Erlösers zu erinnern; dann lenkt er unsere Blicke auf die Allmacht dieses göttlichen Wortes und auf die große Liebe, mit der er sich schon früher der Welt geoffenbart, aber bei den meisten Menschen nur Undank gefunden; endlich darauf, wie er trotz dieses Undankes sich in der unaussprechlichsten Weise den Menschen geoffenbart und hingegeben in der Menschwerdung.
Anmerkungen:
(1) Nach der Empfängnis Johannes` des Täufers.
(2) Derselbe Engel, der mehr als 500 Jahre früher dem Daniel die Zeit des Messias geoffenbart, ist nun auch der Bote der Erfüllung, wie an Zacharias (siehe den Beitrag: Verkündigung der Geburt des Johannes), so an die seligste Jungfrau. Seine Name Gabriel bedeutet „der Starke Gottes“; er sollte die darum auch die Menschwerdung des Sohnes Gottes verkünden, dieses Wunderwerk des Herrn, „der mächtig ist“ und „der Macht übt mit seinem Arm“ )Lk. 49 u. 51).
(3) D. i. durch einen göttlichen Willensakt, der dem Engel offenbart wird. Der Engel erschien der Jungfrau in einer wirklichen leiblichen Hülle die sich zu seinem geistigen Wesen verhält wie ein zu einem bestimmten Zweck angelegtes Kleid oder wie ein vorübergehend benutztes Werkzeug. Das geistige Wesen ist tätig durch diese leibliche Hülle. Vgl. Mt. 28, 3; Mk. 16, 5; Lk. 24, 2; Joh. 20, 12; Apg. 1, 10; 10, 30 u. a.
(4) Die Worte „aus dem Hause Davids“ gehören nicht zu Joseph, sondern bilden die nähere Charakteristik der fest geschlossenen Wortgruppe: „zu einer Jungfrau, die einem Manne namens Joseph verlobt war“, also zu „Jungfrau“. Denn nicht Joseph steht hier im Mittelpunkt der Erzählung, sondern die Jungfrau; ihr, nicht Joseph, wird die Botschaft gebracht. Ein Anlass, Josephs Herkunft zu nennen, ergab sich erst im weiteren Verlauf der Erzählung (Lk. 2, 4), und da wird sie denn auch genannt. Hier also direkt bezeugt, daß Maria aus dem Hause Davids war (vgl. auch Augustinus bei Friedrich, Die Mariologie des hl. Augustinus, Bachdem 1907, 19ff). Die davidische Abstammung Mariä ergibt sich auch daraus, daß (Lk. 1, 32) der Engel den Sohn des Jungfrau als den Sohn und Thronerben Davids bezeichnet. Im Hinblick auf die häufige indirekte Bezeugung (z. B. Mt, 1, 1 u. 18 u. 20 u. 25; Röm. 1, 3) der davidischen Abkunft Mariä sagt schön der hl. Augustinus (Contra Faustum 23, 5-9): „Wir glauben, daß auch Maria zur Verwandtschaft Davids gehört hat, weil wir jenen Schriften glauben, die beides besagen, sowohl daß Christus dem Fleisch nach aus dem Samen Davids ist, als auch das Maria seine Mutter ist, und zwar nicht durch Beiwohnung eines Mannes, sondern als Jungfrau. Wer immer also sagt, Maria habe nicht zur Blutsverwandtschaft Davids gehört, der kämpft offenbar gegen die so hoch stehende Autorität dieser Schriften an.“ (Näheres siehe bei Bardenhewer, Mariä Verkündigung 74-82; vgl. auch schon Ignatius, Ad Eph. 18 und Justinus, Contra Tryph. 100.)
(5) Maria oder Marjam (beide Formen kommen in den Evangelien vor) ist die griechische Wiedergabe des hebräischen Mirjam. Im Alten Bund trug die Schwester des Moses und Aaron diesen Namen. Die Ableitung des Namens ist unsicher. Nach Bardenhewer (Der Name Maria. Geschichte der Deutung desselben, BST. I, Freiburg 1895, 1-155) bedeutet er einfach „die Schöne“. Beachtung verdient auch die von Zorell (ZKTh 1906, 356 ff) gegebene Erklärung: Mirjam oder Marjam sei ein ägyptischer Name, gebildet aus der ägyptischen Verbalwurzel mer oder mar = lieben und dem hebräischen Gottesnamen Jâm = Jahwe. Danach würde Maria bedeuten: „Jahwe liebend“, vielleicht auch „von Jahwe geliebt“. Andere erklären: Herrin, Meeresmyrrhe oder Meerestropfen, Bitterkeit des Meeres, bitteres Meer. Im ganzen gibt es mehr als 60 Deutungen des Namens; sind auch die meisten ohne Kenntnis hebräischer Wortbildung aufgestellt und darum wissenschaftlich wertlos, so liefern doch alle treffliche Bausteine zur Geschichte der Marienverehrung. Den die heiligen Väter und Kirchenschriftsteller haben in dem Namen Maria, je nach der Ableitung, die sie ihm gaben, fromme und sinnige Beziehungen zur Stellung der seligsten Jungfrau im Reich der Gnade gefunden. So erblickten sie darin eine tiefe Hindeutung auf ihre Bestimmung, die ganze Welt zu erleuchten durch ihren göttlichen Sohn, den Seelen zu leuchten als Hoffnungsstern auf dem finsteren, stürmischen Meer dieses Lebens in allen Nöten, gefahren, Versuchungen. Ein Meer von Bitterkeiten verkostete sie beim Leiden ihres Sohnes; und Herrin ist sie über alles Erschaffene, und besonders unsere Herrin, als Mutter Gottes und Königin des Himmels. (Vgl. S. Bern., Hom. 2 super Missus est, im Brevier Dom. Infra Oczav. Nativ. B.M.V. II. Noct.; S. Greg. Thaum., Serm. 2 de annunt.; S. I o. Damasc., De orthod. Fide 1. 4, c. 14; S: Ambros., De institut. Virginis c. 5; S. Petr. Chrysol., Serm. 146; S. Isid. Hispal., Etym. 1.7, c. 10; Beda Ven., In Luc. c. 1.) (siehe auch den Beitrag: Vieira, Predigt auf das Fest Mariä Namen)
(6) Im vollsten Sinne des Wortes und in jeder Beziehung ist Maria die „Gnadenvolle“ durch die Erwählung zu der in einer Beziehung unendlichen Würde als Mutter Gottes (S. Thom., Summ. 1, q. 25, a. 6 ad 4), durch die Bewahrung vor der Erbsünde und die Reinheit von jeder persönlichen Sünde, wie durch die Ausstattung mit den reichsten Gnaden und Tugenden und durch eigene treueste Mitwirkung mit all diesen großen Gnaden. Vgl. A. Schäfer, Die Gottesmutter in der HeiligenSchrift, Münster i. W. 1900.
(7) In ganz ausgezeichneter und wunderbarer Weise ist der Herr mit Maria 1. durch jene Gnadengaben und insbesondere 2. durch die nun unmittelbar bevorstehende und fortan unzertrennliche innige Verbindung des Sohnes Gottes mit seiner heiligsten Mutter. (S. Bern., Serm. 3 super Missus est n. 4) Seinen vollsten Inhalt also erhielt das Wort „Der Herr ist mit dir“ in dem Augenblick, in dem Maria die Mutter Gottes wurde.
(8) Die gesegnetste unter allen Frauen ist Maria als die jungfräuliche, hoch begnadigte Mutter Gottes. Eben dadurch ist sie ein Segen und eine Freude für die ganze Welt, in der fortan der Gruß des Engels aus den Herzen von Millionen ihrer dankbaren Kinder von einem Ende der Erde bis zum andern und bis zum Ende der Zeiten erschallen sollte.
(9) Im geraden Gegensatz zu Eva, die einst durch die Verheißung: „Ihr werdet sein wie Gott“, sich hatte verführen lassen, erschrickt Maria in ihrer Demut, und sie, „die weiseste Jungfrau“, denkt über den Gruß nach, ob er wohl von Gott komme.
(10) Jesus ist die griechische Form des hebräischen Jeschua; dieses ist die verkürzte Form für Jehoschua (Josua) = „der Herr ist Heil“, d. h. hier derjenige in dem und durch den Gott das Heil (im vollendeten Sinne des Wirtes) bringt und verwirklicht, oder göttlicher Heiland, göttlicher Erretter und Erlöser; „denn“, so erklärt der Engel dem hl. Joseph, „er wird sein Volk erlösen von dessen Sünden“ (Mt. 1, 21). Schon einige seiner Vorbilder im Alten Bund trugen diesen Namen, so Josue, der von Moses aufgestellte Führer des Volkes Gottes bei der Eroberung Kanaans, und Josue, der mit Zorobabel aus dem Exil zurück gekehrte Hohepriester. Die ganze Stelle ist die Wiederholung der Verheißung des Isaias (7, 14 u. 9, 6 u. 7) bis auf den Namen Jesus, für den der Prophet den fast gleich bedeutenden Namen „Emmanuel“ hat, sowie die andern herrlichen Namen (Is. 9, 6), in denen er sich gewissermaßen abmüht, eine passende Bezeichnung für das Heilandkind zu finden, und die gleichsam nur stückweise ausdrücken, was der eine Name „Jesus“ in sich schließt. – Zorell (ZKTh, 1906, 746) glaubt, der zweite Bestandteil des Namens Jesus sei nicht Hauptwort, sondern Befehlsform und erklärt: „Herr (Jahwe) rette!“ oder „Herr, gib Heil!“ Auch in dieser Bedeutung würde der Name Jesus ein dem Heiland zustehender Name sein.
(11) Er wird „groß sein“, nicht bloß wie Johannes der Täufer etwa (vgl. Lk. 1, 15 mit Mt. 3, 11), sondern in uneingeschränkter Weise; er wird der „Sohn des Allerhöchsten“ (Lieblingswort des Lukas, vgl. 1, 35 u. 76; 6, 35; 8, 28; Apg. 7, 48; 16, 17), das ist, wie (Lk. 1, 35) gleich folgt, „der Sohn Gottes“ genannt werden, d. i. er wird als solcher (und zwar im Sinne von Ps. 2, 7 u. ä.) anerkannt werden.
(12) Er wird der ewige, alle Völker beherrschende göttliche König sein, den Gott dem David verheißen, auf den die Propheten und insbesondere der König der Propheten so oft hingewiesen.
(13) Da Maria „einem Mann verlobt“ war, so können ihre Worte nur den Sinn haben, daß sie den unabänderlichen Vorsatz oder vielmehr, nach der Annahme der Väter und der beständigen Überlieferung, das Gelübde ewiger Jungfräulichkeit gemacht hatte. Ihre Worte sind also nicht eine Frage des Zweifels, ob das möglich sei, was ihr der Engel verkünde, und woran sie es erkennen solle (vgl. Lk. 1, 18), auch nicht so sehr eine Frage, wie es geschehen solle, sondern der lebhafte Ausdruck der Überraschung und Verwunderung: „Wie ist doch das möglich! Habe ich mich doch Gott verpflichtet, Jungfrau zu sein und zu bleiben.“ „Höre die Stimme der reinen Jungfrau! Der Engel verkündet ihr die Mutterschaft, und sie klammert sich an die Jungfrauschaft“ (Gregor Nyss., Oratio in diem natalem Christi). – Daß Maria aber trotz ihres Gelübdes sich verlobte, wollte Gott offenbar, und darum fügte er es so. Gott wollte, daß sein eingeborener Sohn bei seiner Menschwerdung nicht aus einer menschlichen Ehe, aber doch in der von Gott gesetzten heiligen Ordnung der Ehe geboren werde; als Sohn der Jungfrau aus dem Hause Davids war er wirklich „Davids Sohn“; da er für einen Sohn Josephs, der aus dem Hause Davids war, gehalten wurde, war er auch vor der Öffentlichkeit als „Sohn Davids“ beglaubigt und konnte sich auf dieses unentbehrliche Kenn- und Prüfzeichen des Messias berufen. Auch sollte nach den heiligen Vätern 1. die Ehre der Jungfrau vor der Welt, der das Geheimnis noch nicht offenbart werden konnte, gewahrt bleiben; 2. sollte der hl. Joseph der Hüter und Beschützer ihrer Jungfräulichkeit sein und ihr wie dem göttlichen Kind zum Beistand dienen. Nach dem hl. Ignatius (Eph. v. 19) sollte dadurch 3. demTeufel das Geheimnis der Menschwerdung verborgen werden. Durch welche Umstände aber Gott fügte, daß sich die Jungfrau trotz ihres Gelübdes verlobte, sagt uns die heilige Geschichte nicht; wie es nach Lk. 2, 5 scheint, war sie eine sog. Erbtochter, und als solche musste sie nach Gesetz und Herkommen einen Mann ihres Geschlechtes heiraten und diesem ihr Erbgut übergeben. „Es mag also wohl das Erbtöchter-Gesetz gewesen sein, durch welches der Himmel Maria den Wink zukommen ließ, Joseph ihre Hand zu reichen“ (Bardenhewer, Mariä Verkündigung 130).
(14) Wie die Wolke über dem Bundeszelt das Wohnen Gottes inmitten seines Volkes symbolisierte, so deutet hier die bildliche Bezeichnung „überschatten“ an, daß durch die Wirksamkeit des heiligen Geistes in der Menschwerdung des Sohnes Gottes in Maria jenes Wohnen Gottes unter den Menschen beginne, von dem die alt-testamentliche Schechina nur ein schwaches Vorbild war.
(15) Wie bei Dn. 9, 24.
(16) Im wahren und eigentlichsten Sinn, weil die zweite göttliche Person die menschliche Natur annahm und auch in dieser Natur der wahre Sohn Gottes war. Maria konnte dies aus den Worten des Engels in zweifacher Weise entnehmen, einmal wegen der wunderbaren Empfängnis durch den heiligen Geist, insbesondere aber wegen der Beziehung der Worte auf die Weissagungen, besonders bei Isaias (7, 14; 9, 6 u 7), in denen die Gottheit des Messias so deutlich ausgesprochen wird. Überdies wurde sie auch innerlich von Gott auf das klarste über das Geheimnis erleuchtet. – Ist aber das Kind im wahren und eigentlichen Sinne der Sohn Gottes, dann ist seine Mutter im wahren und eigentlichen Sinne die Mutter Gottes.
(17) Zu der Erklärung, wie ihre Jungfräulichkeit bewahrt bleibe, erhält Maria noch, was sie nicht begehrt, auch eine tatsächliche Beglaubigung, sofern ein ähnliches Wunder der göttlichen Allmacht dazu gehörte, daß Elisabeth in ihre Greisenalter, wie dazu, daß die Jungfrau einen Sohn gebäre.
(18) Ausdruck der Beistimmung zum göttlichen Ratschluss und zugleich der aller tiefsten Demut angesichts dieser Erhebung zur höchsten Würde, die es für ein Geschöpf geben kann: „Ich gehöre unter allen Umständen Gott an, bin sein Geschöpf und diene ihm, sei es als arme, unbekannte Jungfrau, sei es als Mutter Gottes und Königin des Himmels.“ Dieses ihr Wort zog das ewige Wort vom Himmel hernieder und bezeichnet sonach den Augenblick der gnadenreichen Menschwerdung des Sohnes Gottes, wie uns die Kirche täglich dreimal im „Engel des Herrn“ in dankbare Erinnerung ruft. – Mit dem 4. Jahrhundert fand in der syrischen, griechischen und lateinischen Kirche die bildliche Redeweise Eingang, die Jungfrau habe den Sohn Gottes durch das Ohr (d. i. durch das gläubige Anhören der Botschaft des Engels und durch das gläubige Eingehen auf Gottes Absichten) empfangen. Vgl. ThR 1906, 116.
(19) Erst später wurde auch dem hl. Joseph durch einen Engel das Geheimnis der Menschwerdung Christi verkündigt. –
aus: Schuster u. Holzammer, Handbuch zur Biblischen Geschichte, Zweiter Band, Das Neue Testament, 1910, S. 76 – S. 81