Die Päpste in Avignon
Das Pontifikat von Papst Gregor XI. (regierte von 1370 – 1378)
Schon am ersten Tage der Wahl, am 30. Dezember des Jahres 1370, fielen die Stimmen auf den Kardinal Petrus Roger von Beaufort aus der Diözese Limoges, eines Sohnes des Grafen Wilhelm von Beaufort. Ihn hatte sein Onkel, Clemens VI., schon im Alter von achtzehn Jahren zum Kardinaldiakon ernannt. Er verdiente diese Auszeichnung durch den Glanz seiner Fähigkeiten. Im sich dieser hohen Auszeichnung noch mehr würdig zu machen, hatte er sich mit vielen Gelehrten umgeben und gründliche Studien gemacht, so daß er bald für einen der besten Kenner des geistlichen und weltlichen Rechtes galt. Alle Geschichtsschreiber haben in voller Übereinstimmung seine Demut, Bescheidenheit, Klugheit und Freigebigkeit gerühmt. Er hatte noch nicht das vierzigste Lebensjahr angetreten, als er die Regierung der Kirche übernahm. Am 4. Januar des Jahres 1371 wurde er zu Avignon in Frankreich gekrönt. Sogleich nach seiner Thronbesteigung suchte der Papst zwischen den Königen von Frankreich und England den Frieden wieder herzustellen. Doch gelang es ihnen nicht, den tiefen Hass beider Fürsten gegen einander zu beseitigen. (*)
Eben so wenig Erfolg hatte er, die christlichen Fürsten zur Verteidigung der Griechen gegen die immer furchtbarer um sich greifende Macht der Türken zu vereinigen. Gefährlich war auch die Lage in Italien. Im Kirchenstaat war man vielfach erbittert über die französischen Beamten; in verschiedenen Städten Italiens brachen Unruhen aus. Gregor versuchte vorerst mit Güte Frieden zu stiften; endlich aber musste er die schwersten Kirchenstrafen über die Städte verhängen. –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden, 1907, S. 556
In Italien standen die Dinge sehr schlimm. Die Florentiner waren im Bunde mit den Viskonti von Mailand in den Kirchenstaat eingefallen, hatten verschiedene Städte erobert und andere zur Empörung verleitet. Als alle Ermahnungen des Papstes fruchtlos blieben, ja, die päpstlichen Gesandten beschimpft wurden, sprach Gregor über Florenz den Bann aus und untersagte den Handel mit den Florentinern. Anfangs wurde der Bann nicht beachtet; als aber Handel und Industrie großen Schaden erlitten, wurde die hl. Katharina von Siena als Friedens-Vermittlerin abgeschickt. Der Papst war zur Aussöhnung bereit, aber die Florentiner wollten selbst die billigsten Bedingungen nicht erfüllen; daher dauerten die Feindseligkeiten fort. Während dieser Wirren kam eine Gesandtschaft von Rom und versprach, daß die Römer dem Papst mit aller Macht gegen seine Feinde beistehen werden. Als dann noch die hl. Katharina von Siena den Papst zur schleunigen Erfüllung seines Vorhabens aufforderte, ließ sich Gregor weder von seinem Vater noch vom König selbst in Avignon zurück halten. –
aus: P. Andreas Hamerle C.Ss.R., Geschichte der Päpste III. Band, 1907, S. 481
Um die Unruhen zu bewältigen, beschloss Papst Gregor, endlich für immer nach Rom zurück zu kehren. Trotz aller Hindernisse, welche ihm die französischen Kardinäle und der Hof von Frankreich bereitetet, trotz der Verwirrung, die in Italien herrschte, hatte er sich entschlossen, den Plan unter allen Umständen auszuführen. Es war auch höchste Zeit; denn die Römer dachten bereits im Ernst an die Wahl eines Gegenpapstes. Am Montag den 13. September des Jahres 1376 verließ er den Palast von Avignon, um nie mehr dahin zurück zu kehren.
Am 17. Januar des folgenden Jahres kam Papst Gregor nach vielen Beschwerden in Rom an und wurde von den Römern aufs feierlichste empfangen. Von jenem Tage an wurde die alte Ordnung in Europa wieder hergestellt; der päpstliche Stuhl befand sich wieder dort, wohin er nach Gottes Anordnung gehörte; die babylonische Gefangenschaft hatte ihr Ende erreicht. Die Stadt Rom fand aber der Papst in tiefstem Verfall. Die Gotteshäuser waren halb zerstört; es fehlte an den notwendigsten Gegenständen zum Gottesdienst; die Priester waren gezwungen, das heilige Messopfer in den ärmlichsten Gewändern zu verrichten. (**) Die Unruhen brachen bald wieder aus, fast überall tobte der Krieg. Noch in demselben Jahr verließ der heilige Vater die Stadt und begab sich nach Anagni. Ja, er hatte sogar den Gedanken gefaßt, wieder nach Avignon zurück zu kehren. Doch wurde er daran durch den Tod verhindert. Der Papst war schon länger leidend und starb am 27. Mai des Jahres 1378. „Die Römer sahen in seinem Tod“, sagt ein katholischer Geschichtsschreiber, „ein göttliches Strafgericht, weil der Papst, von den Zuständen Italiens erschreckt, die Rückkehr nach Avignon beschlossen hatte.“ Dieser letzte französische Papst hatte keine der großen Aufgaben seiner Vorgänger außer acht gelassen; der Kreuzzug, die Wiedervereinigung der Griechen, die Besserung der Geistlichkeit und der Klöster, die Hebung und Pflege der Studien lagen ihm sehr am Herzen. Dem Kaiser Karl VI., der seinen Sohn Wenzel zum römischen Kaiser wählen lassen wollte und wohl wußte, daß er hierzu der päpstlichen Zustimmung bedürfe, gab er hierin in Rücksicht auf das Wohl des Reichs nach. Gleich seinem Vorgänger schärfte der Papst den Bischöfen die Abhaltung besonderer Kirchen-Versammlungen ein, vertrat die Rechte der Kirche gegen vielfache Beeinträchtigung von Seiten der Fürsten und suchte allenthalben die Kirchenämter mit tüchtigen Männern zu besetzen. Aber seine edlen Bestrebungen hatten nur wenig Erfolg. Die Kirche wie die Staaten waren zu großer Zerrüttung verfallen; die Liebe zum Heiligen Stuhl ward vielfach erkaltet; neue gefährliche Irrlehren tauchten auf.
Rom ehrte diesen Papst, indem es auf sein Grab die dankbaren Worte schrieb: „Dem Papst Gregor XI., ausgezeichnet durch Wissenschaft und Frömmigkeit, der, um die italienischen Verhältnisse zu beruhigen und zu ordnen, den päpstlichen Sitz von Avignon zur Ehre Gottes und Freude der Christenheit wieder nach Rom zurück verlegt hat.“ –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden, 1907, S. 556 – S. 558
(*) Es wütete eben der sogenannte hundertjährige Krieg zwischen Frankreich und England, mit kurzen Unterbrechungen von 1339 bis 1453. (Hamerle, S. 481)
(**) Rom war nur mehr eine Ruine. Viele antike Monumente waren verschwunden, ehrwürdige Gebäude abgetragen, Steine, Säulen und Statuen für andere Gebäude verwendet und sogar zu Kalk verbrannt worden. Man zählte 414 Basiliken; fast alle waren dem Verfall nahe… Die Einwohnerzahl soll auf 30000 herab gesunken sein. Trotz dieses Elendes, aus dem die Römer nur die Anwesenheit des Papstes erretten konnte, wollte ihr Stolz nicht von Unterwerfung wissen, noch auch das gegebene Versprechen halten. (Hamerle, S. 481