Psalm 68 – Buchstäbliche Erfüllung im Leiden Christi
Psalm 68 ist reich an einzelnen Zügen, die ihre eigentliche und buchstäbliche Erfüllung im Leiden Christi finden sollten (1). Darum haben auch die Apostel und nach ihnen die heiligen Väter sich auf denselben in diesem Sinne bezogen. Die wichtigsten sind in folgenden Versen enthalten (2).
Hilf mir, o Gott,
denn die Wasser sind gedrungen bis an meine Seele.
Mehr denn meines Hauptes Haare sind,
die mich hassen ohne Ursache;
stark sind meine Feinde, die mich ungerecht verfolgen;
was ich nicht geraubt (3), muss ich nun bezahlen.
Fremd bin ich geworden meinen Brüdern
und ein Fremdling den Kindern meiner Mutter (4).
Denn der Eifer für dein Haus verzehrt mich (5),
und die Schmach derer, die dich schmähen (6), fällt auf mich.
Vor deinem Angesicht sind alle, die mich quälen.
Mein Herz ist gewärtig der Schmach und des Elends:
und ich harre, ob einer mit mir trauere, und es ist keiner;
ob einer tröste, und ich finde niemand.
Und sie geben mir zur Speise Galle,
und in meinem Durst tränken sie mich mit Essig (7).
So werde denn ihr Tisch vor ihnen zum Fallstrick (8)
und zur Vergeltung und zum Anstoß.
Finster sollen werden ihre Augen, daß sie nicht sehen,
und ihren Rücken krümme immerdar (9).
Gieße aus über sie deinen Zorn,
und der Grimm deines Zornes ereile sie.
Es werde ihre Wohnung wüst,
und in ihren Hütten sei niemand, der da wohne (10).
Denn ihn, den du geschlagen (11), haben sie verfolgt
und zu dem Schmerz meiner Wunden noch hinzu getan (12).
Anmerkungen:
(1) Auf Leiden Davids allein kann sich der Psalm nicht beziehen, da er so vieles enthält, was eben an David und selbst an jedem andern Leidenden nicht vollkommen wahr wäre. Auch die Strafe für die Verfolgung ist so, wie sie eben nur die Juden für ihren Gottesmord getroffen hat.
(2) Vers 2 u. 5 u. 9 u. 10 u. 21-27.
(3) Der hier betende Gerechte ist ohne Schuld, ja sein Eifer für die Ehre Gottes ist der Grund seiner Verfolgung, und doch redet er von seiner Torheit, seinen Missetaten; vom Messias verstanden sind dies unsere Sünden, die er auf sich genommen, um sie zu sühnen, ganz wie Is. 53, 4ff; auch Ps. 21, 2.
(4) Den Juden, zum Teil selbst den eigenen Jüngern.
(5) Joh. 2, 17.
(6) Röm. 15, 3.
(7) Mt. 27, 34 u. 48.; Joh. 19, 29.
(8) Wie Tiere mit Lockspeisen gefangen werden.
(9) Vgl. Röm. 11, 9 u. 10.
(10) Vgl. Lk. 13, 35; Apg. 1, 20.
(11) Den Messias. (Vgl. Is. 53, 8).
(12) Diese Stelle ist zugleich ein Beispiel aus den sog. Fluchpsalmen, deren Absicht und Inhalt häufig missverstanden werden. Die Anwünschungen lassen sich im ganzen als Ankündigungen der göttlichen Strafen verstehen, die sich nicht gegen persönliche Feinde des Psalmisten, sondern gegen Feinde der Sache Gottes richten. Der Psalmist spricht im Namen Gottes aus, was kraft der göttlichen Gerechtigkeit und der Norm des ius talionis sich an den Feinden Gottes (den Verfolgern des Messias, des Volkes Gottes, der unschuldig Leidenden) erfüllen wird und muss, insofern sie eben Feinde Gottes sind und bleiben. –
Solche Psalmen dürfen also, ähnlich wie manche Strafreden der Propheten gegen Israel (vgl. Ir. 18, 18ff) und heidnische Völker, nicht als Ausdruck persönlicher (oder nationaler) Rachsucht betrachtet werden. Sie widerstreiten nicht der Liebe, da Gerechtigkeit und Liebe gewissermaßen zwei Seiten des einen göttlichen Wesens sind, die sich nicht ausschließen. (…) Was u.a. Thomas von Aquin (S. th. 2, 2, qu. 25, a. 6 ad 3; ebd. qu. 76, a. 1 u. qu. 83, a. 8 ad 1) bemerkt, trifft die Sache viel besser und erledigt die Schwierigkeit vollständig. –
aus: Schuster/Holzammer, Handbuch der Biblischen Geschichte, Bd. I, Altes Testament, 1910, S. 746 – S. 747
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