Die Liebe des Herzens Mariä
Das unbefleckte Herz Mariä
Nach Christi Himmelfahrt, dem glänzenden Abschluss der irdischen Pilgerfahrt des Herrn, feiert die Kirche das Fest des göttlichen Herzens Jesu. Es ist die Absicht der Kirche bei diesem Fest, uns auf die verborgenen Quelle, aus welcher das Wirken des Lebens Jesu floss, hinzuweisen und uns in der rührenden Darstellung seines Herzens gleichsam einen Abriss und ein Sammel- und Erinnerungs-Bild aller Geheimnisse zurück zu lassen. Aber die Kirche verehrt auch das Herz Mariä, und zwar in der gleichen Absicht. Auch der Gegenstand ist auf ähnliche Weise zu fassen wie beider Andacht zum göttlichen Herzen. Wir verstehen nämlich unter dem Herzen Mariä ihr leibliches herz als Sinnbild und Sitz der Liebe, also vor allem der Liebe, die in diesem Herzen zu Gott und zu uns brennt, und dann in erweitertem Sinne auch das süße Gemüt der Mutter Gottes, dessen Grund und Triebkraft die Liebe ist.
Die Liebe des Herzens Mariä nach der Himmelfahrt des Herrn
Der Heimgang der Mutter Gottes fand spät, sehr spät, nach der Himmelfahrt des Herrn statt. Jesus nahm sie nicht sofort mit in den Himmel, sondern ließ sie noch lange hier zurück, wo seine Kirche eben zu leben, zu wirken und sich zu entfalten begann. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß Maria namentlich neben den Aposteln und den Gläubigen aufgeführt wird, die sich im Abendmahlssaal versammelten, um den Heiligen Geist zu empfangen. Das Pfingstfest ist gleichsam die Geburtsstunde der Kirche. Da trat sie an die Öffentlichkeit und fing zu leben und zu wirken an. Wie Maria als Mutter an der Wiege Jesu gestanden hatte, so sollte sie an der Wiege der Kirche stehen, und beides im heiligen Geist und durch den Heiligen Geist. Sie sollte die geistige Mutter der Kirche sein, wie sie die leibliche Mutter Jesu geworden war. Wie sie dem Heiland Näherin, Erzieherin, Schützerin und Trösterin gewesen, so sollte sie auch die junge Kirche erbauen durch ihr Tugendbeispiel; sie sollte sie belehren durch das Zeugnis der erlebten, ihr allein bekannten Tatsachen des Glaubens; sie sollte sie ermuntern und trösten durch ihre Gegenwart und ihren Zuspruch; sie sollte sie schützen durch ihre Macht und Fürbitte, ihre ersten Schritte lenken durch ihren Rat. So ist eine wirkliche und liebliche Verkettung zwischen dem wahren und dem mystischen Heiland durch Maria und in Maria. Sie sollte beiden Mutter sein. Das war die Absicht des Heilandes, als er sie hier auf Erden zurück ließ, und zu diesem Beruf erhielt sie den heiligen geist und mit ihm, der die persönliche Liebe ist, eine Überfülle mütterlicher Liebe zur Kirche.
Immer und überall treue Magd des Herrn, trat die Mutter Gottes am Pfingsttag ihr hehres Amt an, das Herz erfüllt und überströmend von junger, mächtiger und nie abnehmender Liebe zur Kirche. Auch diese Liebe zog sie nicht von der Liebe zu Gott und zu Heiland ab. Sie erkannte sehr gut in der Kirche das Lebenswerk ihres Sohnes, das Reich seiner Glorie und Verherrlichung hienieden, den mystischen Leib ihres Sohnes, den fortlebenden und fortwirkenden Heiland. Deshalb wandte sie die ganze Liebe ihres Herzens der Kirche zu. Diese Liebe hielt sie auf der Welt zurück und setzte sie über das glühende Verlangen und ihr Heimweh nach dem Himmel, nach Gott, nach ihrem lieben Sohn hinweg. Für die Kirche lebte sie, für die Kirche betete sie, arbeitete sie, die Freuden und Leiden der Kirche waren ihre Freuden und Leiden; unnennbare Gnaden des Lichtes, der Belehrung, des Schutzes und des Trostes gingen von ihrem Herzen, dem geistigen Mittelpunkt der Kirche, aus auf die Apostel und auf die Gläubigen, die sie alle mit derselben mütterlichen Liebe umfing, bis es Gott gefiel, nach langem, seligem Wirken durch den Tod und die Himmelfahrt sie wohl dem Leibe, aber nicht dem Herzen und der Liebe nach der Kirche zu entrücken.
Das ist der schöne Lebenslauf, der süße, hehre Inhalt dieses Herzens. Was könnte auch anderes die innere Glorie dieser Königstochter, dieser Gottesmutter sein als Liebe? Herz ist Liebe, und Liebe ist Heiligkeit. Dieses Herz müssen wir also verehren. Es gibt kein reineres, kein lieberfüllteres, kein empfindsameres, kein standhafteres, stärkeres, kein heiligeres und verehrungswürdigeres Herz nach dem göttlichen Herzen Jesu als das Herz der Mutter Gottes. Es ist das Herz der Mutter Jesu und unserer Mutter. Wir müssen dem Herzen Mariä in Liebe und Dank zugetan sein. Kein Herz hat uns nach dem Herzen Jesu so geliebt, keines hat mehr für uns gelitten und geopfert, und keines hat uns so viel Gutes erwiesen wie das Herz Mariä, nicht einmal das Herz unserer eigenen Mutter, der wir doch so vieles zu danken haben. Was sind wir ihm zu Dank verpflichtet für das schöne Beispiel der reinsten und wahrsten Liebe zu Gott und zu den Menschen, aus deren Fülle wir alle schöpfen dürfen, um die Armut unserer Liebe zu ergänzen! Wir haben ja auch gesehen, wie unsere Kirche nach nach der Himmelfahrt Jesu in das Erbrecht und in die Erbpflicht der Liebe dieses Sohnesherzens eintrat und wie die Liebe der Kirche zu Maria gleichsam die Abwesenheit des Sohnes während ihrer Erdenfahrt ersetzen sollte. Wir ehren auch das tote Herz unserer Landes-Herrscherinnen, um wieviel mehr das Herz der Mutter Gottes, der wahren Königin und geistigen Mutter unserer heiligen Kirche! Die Andacht zu ihrem Herzen ist nur eine späte Anerkennung und Huldigung der Kirche der letzten Zeiten für seine großen Verdienste um die Kirche der ersten Zeit.
Gerade die großen Bedürfnisse dieser unserer letzten Zeiten waren für die göttliche Vorsehung der Beweggrund, die Andacht zum herzen Mariä nach der zu dem göttlichen Herzen Jesu ins Leben treten zu lassen. Sie sollte eine liebenswürdige Ergänzung zu dieser sein. Es war namentlich seit dem Jahre 1836, nach den Stürmen der französischen Revolution und deren Nachzüglerin, der sog. Julirevolution in Paris, als die Andacht zu wirken und sich zu verbreiten begann. Sie war gleichsam der liebliche, tröstende Regenbogen, das Zeichen des Heiles und der Versöhnung, das nach dem Abzug der Sturmmächte und der wüsten Wasser der neuen Sündflut über den verheerten Gefilden der Erde empor stieg, eine neue bessere Zeit verkündete, den alten Fluch und die Ursache aller Übel, die Sünde, von der Erde zu tilgen verhieß, und in den erstaunlich vielen und wunderbaren Bekehrungen der Sünder, die durch die Gnaden und Segnungen der Andacht zum unbefleckten Herzen Mariä erfolgten, das Heil in der Tat zu verwirklichen schien. Gnaden haben sich mächtig erwiesen überall, wo dieses rührende Zeichen der Liebe einer Mutter, die für die Rettung ihrer ärmsten Kinder, der Sünder, sich ins Mittel warf, erhoben wurde. Die Jahrbücher der Erzbruderschaft vom unbefleckten Herzen Mariä mit ihren angegliederten Zweigvereinen zählen die gewonnenen Gnadenkinder dieses Herzens nach Tausenden und aber Tausenden. Man kann wohl sagen, unsere verlorene Zeit habe den Rückweg zu Gott gefunden durch das Herz Jesu und das Herz Mariä, wie ihn ehedem das ganze Menschengeschlecht durch eben diese beiden Herzen gefunden hatte. –
aus: Moritz Meschler SJ, Aus dem katholischen Kirchenjahr, Erster Band 1919, S. 361 – S. 364