Das Hinscheiden Mariens und ihre Himmelfahrt
Die Geschichte ihres seligsten Hinscheidens und ihrer glorreichen Aufnahme in den Himmel erzählt uns eine alte Überlieferung also (*):
Mariens Hinscheiden in Jerusalem
Maria wohnte, während die Apostel in der Welt das Evangelium verkündeten, bei dem heiligen Evangelisten Johannes zu Ephesus, wo sie ihre letzten Tage in Gebet und Betrachtung zubrachte. Die grenzenlose Liebe zu ihrem göttlichen Sohne und die namenlose Sehnsucht, ihn im Himmel zu schauen und mit ihm ewiglich vereint zu werden, hatten ihr Leben beinahe verzehrt. Ihr liebendes Herz fand nur Trost im Besuch der heiligen Orte im heiligen Land, jene Orte, an welchen ihr Sohn während seines Lebens sich aufhielt, wo er litt und starb. – Da sie fortwährend nach ihrem Heiland seufzte, so wollte Gott nicht länger zögern, ihre Sehnsucht zu stillen. Er rief sie in sein Reich.
Einige Tage vor ihrem Tod sandte Gott den Erzengel Gabriel zu ihr, auf daß er ihr den Tag ihres Hinscheidens verkünde. Unendlich war die Freude ihres Herzens über diese Botschaft. Sogleich gab sie dem heiligen Johannes Nachricht davon. Bevor sie aber von dieser Welt schied, wollte sie noch einmal die heiligen Orte in Jerusalem besuchen. Nachdem sie dasselbe mit heißester Andachtsglut getan, zog sie sich in das Haus zurück, Coenaculum genannt, wo der Herr das heilige Abendmahl gehalten und eingesetzt. Hier erwartete sie mit freudiger Sehnsucht den Ruf ihres göttlichen Sohnes. Kraftlos lag sie auf ihrem Bettlein, betend und betrachtend. Siehe, da erschienen alle Apostel und ein Teil der Jünger des Herrn in ihrer Kammer. Ein Wunder der Allmacht Gottes hatte sie aus verschiedenen Weltteilen, in welchen sie zerstreut waren, hierher geführt. Als Maria nun alle ihre geliebten Söhne in ihrer Gegenwart erblickte, sprach sie ihnen Trost zu und versicherte sie ihres Beistandes im Himmel. Insbesondere mahnte sie den Heiligen Apostel Petrus, als dem Haupt der Kirche und dem Statthalter ihres Sohnes auf Erden, den heiligen Glauben immer weiter auszubreiten und versprach ihm ihre besondere Hilfe; dann segnete sie alle Apostel und nahm Abschied von ihnen.
*) Nach Alphons Liguori und Hirscher. Leben der heiligen Jungfrau.
Als die Stunde gekommen, wo sie entschlafen sollte, schenkte sie die beiden Kleider, welche sie besaß, zweien frommen Jungfrauen. Dann legte sie sich in jene Lage, in der sie zu Grabe getragen werden wollte. Und jetzt glänzte ihr Angesicht in einer unaussprechlichen Verklärung, denn sie sah ihren göttlichen Sohn in Begleitung von Scharen himmlischer Geister hernieder kommen, um ihre Seele aufzunehmen. Er selbst reichte ihr Wegzehrung und sprach voll Liebe zu ihr: „Nimm, meine geliebte Mutter, aus meinen Händen diesen Leib, welchen du mir gegeben hast.“ Nachdem die göttliche Mutter mit größerer Liebe als je diese letzte Kommunion empfangen hatte, da sprach sie, ehe sie den Geist aufgab, noch diese letzten Worte: „Siehe mein geliebter Sohn, in Deine Hände empfehle ich meinen Geist; ich empfehle Dir diese meine Seele, welche Du vom Anfang an, um Deiner unendlichen Güte willen mit so vielen Gnaden bereichert, welche Du auf ganz besondere Weise von aller Sündenmakel bewahret hast. Ich empfehle Dir meinen Leib, von welchem Du Dich gewürdigt hast, Dein heiliges Fleisch anzunehmen. Ich empfehle Dir auch diese meine lieben Söhne, Deine Jünger, siehe, meine Entfernung betrübt sie, da Du sie mehr liebst als ich selbst, segne sie, und gib ihnen die Kraft, große Dinge für Deine Ehre zu tun.“
Als der letzte Augenblick für die göttliche Mutter kam, vernahm man in der Kammer, in welcher sie sich befand, eine liebliche Musik und sah sie hell erleuchtet. An dieser Musik und an dieser ungewöhnlichen Helle erkannten die Apostel, daß die Zeit da sei, wo Maria sie verlassen werde. — Es kam auch der Tod, aber nicht in Trauer und Leid gehüllt, wie er zu den anderen Menschen kommt, sondern mit Wonne und Freude geschmückt. Doch was reden wir vom Tode? sagen wir lieber, daß die göttliche Liebe gekommen sei, um den letzten Faden, welcher dies Leben noch an die Erde fesselte, abzuschneiden. Gleich wie eine Lampe, ehe sie verlischt, noch einmal höher auf lodert, so schickte die allerseligste Jungfrau Maria auf die Einladung ihres Sohnes, versenkt in ein Flammenmeer seiner Liebe, inbrünstige Liebesseufzer zum Himmel empor, stieß endlich den letzten und feurigsten Seufzer aus und gab den Geist auf. (*) Auf solche Weise löste sich diese große und heilige Seele, diese schöne Taube des Herrn, von den Banden dieses Leibes und eilte in den Himmel, wo sie als Königin thront.
*) Die gottselige Katharina Emmerich sagt, daß Maria das Alter von 64 Jahren erreicht habe, als sie starb.
Die heiligen Apostel tragen den heiligen Leib in das Grab
Die heiligen Apostel empfanden den tiefsten Schmerz über den Hingang ihrer liebevollsten Mutter. Doch goss ihnen der Anblick des in unaussprechlich seliger Verklärung daliegenden Leibes, des mit des Himmels Glorie überzogenen holdseligen Antlitzes Trost ins Herz. Die heiligen Apostel konnten sich nicht satt sehen. Sie sahen nur eine Entschlafene, alle Heiligkeit, in die ihre Seele entrückt war, in ihrem Angesicht wiederstrahlend. Endlich dachten sie an die Bestattung ;bereits war ein Grab am Fuße des Ölberges hergerichtet. Die Apostel, begleitet von einer Menge von Gläubigen, trugen den heiligen Leib auf ihren Schultern zur Grabesstätte. Scharen von Engeln um schwebten den frommen Zug, himmlische Gesänge singend. Es war kein Trauerzug, sondern ein Triumphzug. Da trat ein Jude, einer von den Feinden Jesu, nahe an den Zug heran, um den heiligen Leichnam auf den Boden zu werfen und zu verunehren. Schon hat er die Bahre er faßt, da fielen ihm plötzlich die Hände ab. Aber die Augen gingen ihm auf. Er weinte und flehte bitterlich um Heilung, die ihm auch zu Teil wurde. Nun wurde der Leichnam beigesetzt. Noch einmal wollten Alle das teuerste Antlitz der entschlafenen Gottesmutter sehen, um ihr holdestes Bild sich einzudrücken und zu bewahren. Endlich ward der Sarg verschlossen und mit einer Steinplatte bedeckt. (*) Drei Tage besuchten die Apostel das Grab. So oft sie da waren, vernahmen sie in den Lüften über sich himmlische Gesänge von ungekannter Lieblichkeit. —
(*) Der berühmte Graf Chateaubriand, der das heilige Land bereiste, beschreibt die Grabstätte der allerseligsten Jungfrau also: „Gerade am Rande und fast am Ursprünge des Bergstromes Kidron, nicht weit vom Ölgarten und von der Stadt, wo sonst Gethsemane lag, tritt man in das Grab der heiligen Jungfrau. Es ist eine unterirdische Kirche, zu der man auf 50 ziemlich guten Stufen herab steigt; die Katholiken besitzen das Grab Mariens, selbst die Türken haben hier einen Betsaal, denn auch sie ehren Maria… Das Grab, schreibt ein anderer Augenzeuge, hat die Gestalt einer Nische oder kleinen Grotte, wo man eine Art Altartisch sieht, auf welchem der Körper wahrscheinlich gelegen ist. Die Grotte ist in den Felsen gehauen, mit dem auch der Altar zusammen hängt, in dessen Höhlung man einen Körper begraben konnte.“
Einer der Apostel, die Überlieferung sagt, der heilige Apostel Thomas, war bei dem Hinscheiden und dem Begräbnis der Gottesmutter nicht zugegen. Er war am Weitesten entfernt und kam deshalb zu spät. Als er vernahm, daß der heilige Leib bereits im Grabe ruhe, ließ er das heftige Verlangen laut werden, das Antlitz der Heiligsten zu schauen. Man willfahrte ihm. Der Stein ward weggehoben. Es war nach dem Begräbnis der dritte Tag. Als Thomas mit den Übrigen in den aufgeschlossenen Sarg blickten, was sahen sie? Die fromme Überlieferung sagt: —
Maria ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen
Der Leichnam war verschwunden. In dem Grab lagen nur die Tücher, worin der heilige Leichnam eingehüllt gewesen, und wunderschöne Rosen, die einen himmlischen Wohlgeruch aushauchten. (*) — Das Grab konnte den mit keiner Makel der Sünde befleckten Leib nicht behalten; der sündenlose Leib, aus dem der Herr sein Fleisch und Blutgenommen, durfte nicht verwesen; das reinste Gefäß, in welchen die schönste Seele gewohnt, durfte nicht zerbrochen werden. Die Hochgebenedeite ward also mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen. Sie sollte also ganz dort sein, und Niemand sie anderswo suchen, als allein oben bei ihrem göttlichen Sohn. — Als daher im fünften Jahrhundert der fromme Kaiser Marcian und seine Gemahlin, die heilige Pulcheria den auf dem Konzil zu Chalcedon anwesenden Erzbischof von Jerusalem, Juvenalis, mit den übrigen Bischöfen des heiligen Landes zu sich beriefen und sie befragten, ob im Grabe der heiligsten Jungfrau zu Gethsemane bei Jerusalem nicht ihre Reliquien vorhanden seien, um dieselben nach Konstantinopel bringen zu lassen, antwortete Juvenalis, daß eine alte Überlieferung besagt, Gott habe den unbefleckten Leib der allerseligsten Jungfrau vor der Verwesung bewahrt und ihn vor der allgemeinen Auferstehung in den Himmel aufgenommen, mithin seien im Grab keine Reliquien vorhanden. — Wirklich besitzt keinVolk, keine Stadt, keine Kirche die sterbliche Hülle der heiligen Jungfrau, noch irgend einen Teil ihres Körpers, während doch Reliquien von den heiligen Aposteln und anderen Heiligen fast überall vorhanden sind und hochverehrt werden. –
aus: Georg Ott, Marianum Legende von den lieben Heiligen, Zweiter Teil, 1869, Sp. 1864 – Sp. 1867
siehe auch den Beitrag vom gleichen Autor: Das Fest Aufnahme Mariens in den Himmel
und von Otto Bitschnau: Aufnahme Mariens in den Himmel
Ein weiterer Beitrag von Philipp Hammer: Maria die Glorreiche – Mariens leibliche Aufnahme in den Himmel