Das Fest Mariä Himmelfahrt
Die Aufnahme Mariens in den Himmel
15. August
Das Fest der Himmelfahrt Mariä ist das Hauptfest der seligsten Jungfrau und das älteste aller Marienfeste in der Kirche; es ist das ausdrücklichste Bekenntnis der Herrschaft Mariä in der ganzen Christenheit, weil sie dadurch gefeiert wird recht eigentlich als die „Königin des Himmels“, wohin die Engel sie trugen zu ihrem göttlichen Sohne, und wo sie ihr Gnadenamt so milde verwaltet zum Heil der Menschen.
Die uralte Überlieferung berichtet über den Abschied Mariä von dieser Erde und über ihre Thronbesteigung im Himmel also: Maria, die Jungfrau, Mutter und Witwe, verweilte nach der Himmelfahrt ihres Sohnes noch ungefähr fünfzehn Jahre auf Erden und erfüllte ihre übernommenen Mutterpflichten gegen die junge Kirche zu Jerusalem. Während das Heimweh nach ihrem göttlichen Sohne ihr Herz verzehrte, während sie unermüdlich wanderte von einem geheiligten Ort zum andern, wo ihr Sohn gelehrt, gelitten und geblutet hatte, brachte ihr der Erzengel die frohe Botschaft, daß ihr zeitliches Leben bald enden werde. Voll des Dankes und der Freude besuchte Maria noch zum letzten Male die heiligen Stätten zu Jerusalem und erwartete ihre Auflösung in jenem Haus, in welchem Jesus mit seinen Aposteln das wunderbare Abendmahl gehalten und eingesetzt hatte. Von der göttlichen Vorsehung gerufen, versammelten sich die Apostel, welche schon in vielen, weit entfernten Ländern das Evangelium verkündeten, um ihr Sterbebett. Maria sprach süße Trostworte zu ihren geliebten Söhnen, versicherte sie ihres treuen Beistandes im Himmel, ermahnte vorzüglich den Petrus, das Haupt der Kirche und den Statthalter ihres Sohnes auf Erden, daß er doch den heiligen Glauben eifrigst ausbreite, und versprach ihm ihre besondere Hilfe. Dann segnete sie Alle zum Abschied, verteilte ihre Kleider an zwei fromme Jungfrauen und erwartete ruhig die Ankunft ihres Sohnes.
Auf einmal verklärte sich ihr Angesicht in überirdischer Schönheit; denn Jesus, umgeben von strahlenden Engeln, kam und reichte ihr die heilige Wegzehrung mit den Worten: „Geliebte Mutter, nimm aus meinen Händen diesen Leib, den du Mir gegeben.“ Maria kommunizierte voll Demut und Andacht und betete: „Geliebtester Sohn, in deine Hände empfehle ich meinen Geist: ich empfehle Dir meine Seele, welche Du von Anfang an begnadigt und vor jeder Sünde bewahrt hast; ich empfehle Dir meinen Leib, von dem Du deinen Leib zu nehmen Dich gewürdigt; ich empfehle Dir diese meine Söhne, deine Apostel: meine Trennung betrübt sie; da Du sie aber mehr liebst, als ich sie lieben kann, so segne sie und gib ihnen Kraft, Großes für deine Ehre zu vollbringen.“ Nun ertönte eine unvergleichliche Melodie himmlischer Geister und begleitete die Seele der Hochgebenedeiten in den Schoß Gottes. Ihr Leichnam, von dem Glanz übernatürlicher Schönheit übergossen, erquickte die trauernden Apostel mit himmlischer Süße, so daß sie sich an demselben nicht satt sehen konnten.
Endlich bereiteten sie ein Grab am Fuße des Ölberges, trugen, umgeben von andächtigen Gläubigen und begleitet von den Freudengesängen der Engelscharen, die heiligste Leiche dahin und verharrten drei Tage im Gebet.
Unterdessen kam auch der Apostel Thomas an, welcher weiter entfernt gewesen war als die übrigen Apostel und deshalb dem Tode und Leichenbegräbnis Mariä nicht hatte beiwohnen können, und bat inständig, das Grab öffnen und noch ein letztes Mal die teuerste Mutter, diesen Tempel Gottes schauen und verehren zu dürfen. Man willfahrte ihm, aber der heilige Leib war nicht mehr da, man fand nur noch die Leintücher, in welche er eingewickelt gewesen, und wunderschöne Rosen, welche einen paradiesischen Wohlgeruch weithin verbreiteten – (Zum Andenken an diese Rosen werden heute an vielen Orten Palmen, Blumen und Kräuter gesegnet). – Die Apostel, voll Bewunderung und Freude, erklärten sich dieses Geheimnis folgendermaßen:
Das ewige Wort Gottes, dem es gefallen hatte, in eigener Person im unbefleckten Schoß Mariens Fleisch anzunehmen und durch seine Geburt die Unversehrheit des jungfräulichen Leibes zu erhöhen, wollte denselben nach seiner eigenen Himmelfahrt unverwesen in die himmlische Herrlichkeit aufnehmen, ohne ihn auf die allgemeine Auferstehung warten zu lassen.
Diese uralte Überlieferung ist im höchsten Grade glaubwürdig, weil die Einfachheit und Natürlichkeit dieser Erzählung der echte Stempel ihrer Wahrhaftigkeit ist: weil gewiß ein Volk, ein reich, eine Stadt, eine Kirche sich freudigst rühmen würde, den heiligen Leib der seligsten Jungfrau oder doch irgend einen Teil desselben zu besitzen; weil ganz besonders diese Überlieferung die notwendige Folge und der würdige Abschluss jener Geheimnisse des Lebens Mariä ist, welche im heiligen Evangelium selbst beglaubigt sind. Denn der Tod ist nach der allgemeinen Ordnung der Widerhall des Lebens, nach dem bekannten Sprichwort: „Wie man lebt, so stirbt man.“
In der Menschwerdung empfing Maria den Erlöser Jesus, und es war billig, daß der in den Himmel voraus gegangenen Erlöser wiederum Maria aufnahm, daß Er, nachdem Er es nicht verschmäht hatte, sich in die herab zu lassen, sie zu sich erhob, um sie in seine Herrlichkeit einzuführen. Wundere dich nicht, daß Maria durch einen solchen Tod verherrlicht wird und so glorreich über dem Grabe triumphiert; denn Jesus, dem sie das Leben gab aus Gehorsam, gibt es ihr aus Dankbarkeit. So sind beide Geheimnisse innig verbunden.
Wenn ferner der Menschensohn in großer Herrlichkeit wieder kommen und die Auserwählten zur Glorie seines Reiches huldvoll einladen wird: „Kommet, ihr Gesegneten meines Vaters; denn Ich war hungrig, und ihr habt Mir zu essen gegeben, …!“ wie ganz angemessen und geziemend war es, daß Er mit sehnsüchtiger Liebe entgegen ging der hoch gebenedeiten Mutter, die Ihn persönlich aufgenommen, die Ihm das Leben gegeben, die seinen Leib aus ihrem Blute gebildet, mit ihrem Fleisch bekleidet, mit ihrer Liebe gespeist, mit ihrem Kummer und Schmerz zum Heil der Welt und für die himmlische Glorie erzogen hat.
Diese glorreiche Aufnahme Mariä in den Himmel hat auch der Psalmist geweissagt, indem er die Auferstehung Christi angekündigt und dem Sieger über den Tod die erhabenen Worte zuruft: „Erhebe Dich, o Herr, zu deiner Ruhe, Du und die Arche deiner Heiligung.“ (Ps. 131) Wer anders kann diese Arche sein, als die makellose heilige Jungfrau, welche das Manna des Himmels und die Tafeln des Gesetzes Gottes in der Person ihres einzigen Sohnes in sich schloß, als sie Ihn in ihrem keuschen Schoß trug? Denn da das Manna und die Gesetzestafeln Vorbilder Jesu Christi sind, so muss die Arche das Vorbild Mariä sein. Von der Kirche aber hatte Gott befohlen, daß man sie aus unverweslichem Holz (2. Moses 25) baue, zum Vorbild der Unverweslichkeit des Leibes der seligsten Jungfrau. Deshalb wird sie, weil von der Verwesung ausgenommen, in die ewige Herrlichkeit versetzt durch eine Himmelfahrt, die eine notwendige Ergänzung der Himmelfahrt ihres göttlichen Sohnes ist, „du und die Arche deiner Heiligung“. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 603 – S. 605