Zweites Tagewerk Das Firmament
(Gen. 1, 6-8)
Zweites Tagewerk. (V. 6-8) „Gott sprach: es werde das Firmament in der Mitte der Wasser und scheide Wasser von Wasser. Und Gott machte das Firmament und schied die Wasser, welche unter dem Firmament waren, von denen, welche über dem Firmament waren, und es geschah so. Und Gott nannte das Firmament Himmel; und es ward Abend und Morgen – der zweite Tag.“
Unter Firmament, Himmelsfeste, ist nichts anderes zu verstehen, als was man zu allen Zeiten darunter verstanden hat, die Erd-Atmosphäre, der Luftkreis, der die Erde rings umgibt und unsern Augen wie ein Gewölbe erscheint. (1) Dies Firmament hat die Aufgabe, zu scheiden zwischen den Wassern, die über ihm sind, und denen, die unter ihm sind (2), d. h. zwischen den Wolken und Wasserdünsten, die es gewissermaßen trägt, und dem flüssigen Wasser auf Erden.Der Name dieses Firmamentes ist auch „Himmel“, aber nicht in dem weiten Sinn wie im ersten Vers, wo er alles außer der Erde bezeichnet. Es handelt sich hier um ein sehr wichtiges Naturgesetz, ohne welches kein Leben von Pflanzen, Tieren oder Menschen auf Erden möglich wäre, nämlich um das Gesetz, daß das Wasser weder bloß im flüssigen, noch bloß im dunstförmigen Zustande die Erde umgebe, sondern in einem bestimmten Wechselverhältnis geschieden, teils flüssig an der Oberfläche der Erde weile, teils dunstförmig in der Luft schwebe, besonders gesammelt in den Wolken.
Mit jener Hauptaufgabe, das Verhältnis zwischen dunstförmigem und flüssigem Wasser zu bestimmen und zu erhalten und hierdurch Dasein und Gedeihen lebender Wesen auf Erden zu ermöglichen, verbindet der Luftkreis auch noch manche andere Bestimmung. Er führt das Licht bis zu jedem Auge und pflanzt den Schall fort bis zu jedem Ohr. Er erfreut unser Auge durch sein reines, schönes Blau, und selbst die Veränderungen, die in ihm vorgehen, ersättigen unser Auge durch einen immer neuen Wechsel verschiedenster Beleuchtung der Dinge auf Erden und erregen unser Empfindung durch eine unerschöpfliche Abwechslung von Naturerscheinungen, von der milden, erquickenden Ruhe eines schönen Frühlingstages bis zu den großartigsten Vorgängen in Sturm und Gewitter; von der ergreifenden Pracht eines schönen Sonnen-Aufganges oder Sonnen-Unterganges bis zu dem stillen Ernst eines trüben Herbst- oder Wintertages. Der Wechsel der Wolkenbildungen und Luftströmungen, Regen und Tau, Schnee und Hagel, Witterung und die mannigfachsten Lichterscheinungen, Nordlicht, Regenbogen, Morgen- und Abendröte sind durch die Atmosphäre bedingt. Wie mächtig und lieblich, wie freudig und ernst dadurch der Menschengeist erregt und zu seinem Schöpfer hingezogen, und mit welchem Reichtum an Gedanken und Empfindungen er dadurch erfüllt werden kann, wissen wir alle aus der Erfahrung; aber nirgendwo ist es schöner und anschaulicher ausgesprochen als in den gottbegeisterten Liedern der Heiligen Schrift selbst. (3)
Anmerkungen:
(1) Das hebräische Wort (1) rakîa heißt eigentlich das „Ausgedehnte, Ausgebreitete“, und ist, wie Kepler (Epit. Astronom. Copern. Linz 1618, 495) hervor hebt, der passendste Ausdruck, um den gewissermaßen „unbegrenzten Raum“ zu bezeichnen. Sonst hat die Heilige Schrift dafür eine Menge von ausdrücken, die schon durch ihre Verschiedenheit zeigen, daß man sie nicht buchstäblich, sondern nur bildlich nehmen darf. So wird z.B. der Himmel mit einem gegossenen Spiegel verglichen, oder er wird bezeichnet als fest, wie aus Erz gegossen, durchsichtig wie Saphir oder Kristall; er wird ein ausgebreiteter Teppich, ein Zelt, ein dünner Schleier genannt; oder es heißt, Gott breite den Himmel aus wie ein Nichts oder wie Schleier; er spanne den Norden aus über die Leere und hänge die Erde auf über das Nichts. (Vgl. Is. 40, 22; Jb. 26, 7; 37, 18; Spr. 8, 28)
(2) Wie die Vorstellung von dem Himmelsgewölbe, so ist auch die Vorstellung von den Wassern, die über diesem Gewölbe sind, dem ganzen Altertum geläufig (den Indern, Babyloniern, Ägyptern, Persern, Griechen). Es ist deshalb natürlich, daß auch die Heilige Schrift in ihrer Ausdrucksweise an diese Vorstellung anknüpft und die Wasser, die über dem Himmel sind und durch die Schleusen des Himmels herab stürzen, öfters erwähnt; so gleich im Sündflut-Bericht Gn. 7, 11; dann 4. Kg. 7, 2 19; Ps. 103, 3 13; 148, 4; Dn. 3, 60; vgl. 2 Kg. 22, 12; Jb. 26,8; Is. 24, 18; Mal. 3, 10. Eine physikalische Erklärung ist damit weder beabsichtigt noch tatsächlich gegeben. Aber die populäre Vorstellung gründet sich auf die Tatsache, daß das Wasser von oben kommt, und sie enthält sogar die Elemente, aus denen die Wissenschaft mit der Zeit die Schlüsse zog, die zur Feststellung der physikalischen Gesetze führten. Eine gewisse Fortentwicklung der älteren Vorstellung und genauere Beobachtung der Naturvorgänge tritt uns bereits in späteren Büchern der Heiligen Schrift entgegen. Vgl. Am. 5, 8; 9, 6; Prd. 1, 6-7; Jb. 14, 11 12; 37, 11; 38, 9; Spr. 25, 23; Sir. 43, 22; Weish. 7, 17-21. Das in diesen Stellen hervor tretende Naturwissen steht dem der Griechen und Römer nicht nach, die Naturbetrachtung der letzteren aber hält mit der biblischen überhaupt keinen Vergleich aus. Die meteorologischen Gesetze sind sämtlich erst in den letzten 400 Jahren gefunden worden. Es gereicht darum der Heiligen Schrift keineswegs zur Unehre und ist nicht einmal eine Unvollkommenheit, daß sie sich nur an die Erscheinungen hält, ohne eine physikalische Erklärung zu geben.
(3) Vgl. Ps. 17 28 96 103 147 148; Sir. 43, 12-26. –
aus: Schuster/Holzammer, Handbuch der Biblischen Geschichte, Bd. I, Altes Testament, 1910, S. 121 – S. 123