Eva, die Ahnfrau des Menschengeschlechtes
Wie stand es um das Heil des ersten Menschenpaares
Daß das erste Menschenpaar außer diesen drei Kindern noch andere gezeugt, erhellt schon daraus, daß die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes ohne weibliche Nachkommen nicht möglich gewesen wäre, und aus der Angabe der Schrift: „Und Adam zeugte Söhne und Töchter“. (1) Moses erwähnt seinem Plane gemäß nur jene Kinder, welche auf die Heilsentwicklung einen positiven oder negativen Einfluß ausübten. Bedeutungsvoll ist, was die heilige Schrift über die Zeugung Adams und Eva’s berichtet; während Adam nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde (2), heißt es, daß Adam in seiner Ähnlichkeit nach seinem Bilde Söhne gezeugt habe (3), d. h. er pflanzte die ihm anerschaffene Gottes-Ebenbildlichkeit in der Gestalt, wie er sie durch seine Selbstentscheidung gewonnen hatte, also nicht mehr in ihrer ursprünglichen Reinheit, sondern in der durch die Sünde getrübten Gestalt fort. Die Adam-Bildlichkeit wird zwar der Gott-Bildlichkeit nicht gerade entgegen gesetzt, aber doch von der reinen, unanfänglichen Gottes-Ebenbildlichkeit unterschieden.
Doch wie stand es um das Heil des ersten Menschenpaares? Das Buch der Schöpfung berichtet hierüber nichts, wohl aber gibt das Buch der Weisheit Aufschluss. Nachdem der heilige Autor den Satz aufgestellt, daß diejenigen, welche von Anbeginn her dem Herrn wohlgefällig waren, durch die göttliche Weisheit gerettet wurden (4), beginnt er also gleich die Beispiele anzuführen und kommt auf Adam zu sprechen; da aber diesem seine Sünde entgegen zu stehen schien, so zeigt der Autor, daß er eben durch die göttliche Weisheit von seiner Sünde befreit worden ist: „Die göttliche Weisheit bewahrte den Erstgebildeten, der als alleiniger Vater (Stammvater) der Welt geschaffen war, und befreite ihn von seinem eigenen Falle“ (5); d. i. von seiner persönlichen Sünde im Gegensatz zu der Erbsünde, von welcher Adam seine Nachkommen trotz seiner Buße nicht befreien konnte, indem nämlich die göttliche Weisheit ihm die zur Neue erforderlichen Motive, Glaube, Hoffnung und Vertrauen auf den zukünftigen Erlöser eingab. Der Weise spricht hier zwar nur von Adam, weil er das Haupt des Menschengeschlechtes war; doch das, was von ihm ausgesagt wird, gilt auch von Eva, weil, wie Suarez (6) sagt, Beide unum veluti adaequatum principium generis humani extiterunt; denn so geziemte es sich, daß das erste, unmittelbar von Gott geschaffene Menschenpaar, welchem der Erlöser verheißen wurde, selbst gerettet wurde, wie der heilige Irenäus (7) bemerkt. Daß das erste Menschenpaar durch Reue und Buße Verzeihung der Sünde von Gott erlangt und somit der ewigen Seligkeit teilhaftig wurde, ist durch die übereinstimmende Lehre der Väter verbürgt. (8)
Als daher Christus in die Vorhölle hinabstieg (siehe den Beitrag: Abfahrt Christi zur Hölle), um den Seelen daselbst die Erlösung anzukündigen, war Adam der Erste, welcher diese frohe Botschaft vernahm und mit Christus erstand. (9) Die lateinische Kirche feiert ihr Andenken am 24. Dezember, also am Vorabende jenes Festtages, an welchem die zweite Eva den zweiten neuen Adam geboren hat; die griechische Kirche am 19. Dezember oder an dem Weihnachten vorangehenden Sonntage. (siehe den Beitrag: Die ersten Menschen Adam und Eva)
Auch die Maroniten rufen Adam und Eva gleich den übrigen Heiligen um ihre Fürbitte an. Darum wurde auch die Lehre des Tatian und seiner Anhänger, der Enkratiten, welche behaupteten, daß Adam und Eva verdammt seien, von den Vätern als eine Irrlehre bezeichnet und verworfen (10); und zwar mit Recht.
Wir haben bereits oben gesehen, daß Gott die ersten Menschen nach der Vertreibung aus dem Paradiese den Opferkult gelehrt hat. Daß sie auch wirklich Opfer dargebracht, können wir aus den Opfern ihrer Kinder schließen, welche gewiß nur dem Beispiele und der Anweisung ihrer Eltern folgten. Daß Adam und Eva die Vergebung ihrer Sünde und die Erlösung erhofften, bestätigt das Ergreifen der Verheißung vom Weibessamen, wie dies aus den von Eva ihren Kindern gegebenen Namen erhellt. Musste ja der mit Fluch belegte Boden, dem sie mit harter Arbeit den Ertrag abzuringen hatten, jene selige Zeit des paradiesischen Zustandes und die Sehnsucht nach Erlösung oft in ihrer Seele wachrufen und sie bestimmen, durch Opferleben und Buße zwar nicht das irdische, aber doch das überirdische Paradies wiederzuerlangen. Es fehlte auch nicht an Leiden und Trübsalen, welche sie läuterten und ihr Herz dem Himmlischen zuwandten. Wie schmerzlich und tief musste der erste Brudermord das unglückliche Elternherz nieder beugen, bei der Erinnerung, daß ja derselbe eine Folge ihres eigenen Falles sei! An Einem Tage wurden sie dreier Kinder beraubt: des von Kain erschlagenen Lieblingssohnes Abel, des Erstgeborenen, der, mit dem göttlichen Fluch belegt, aus Eden (*) flüchtig wurde, und einer Tochter, welche den unglücklichen Bruder in’s Exil begleitete. Der Anblick des ersten, in seinem Blute liegenden Toten, das starre, bleiche Antlitz des geliebten Abel musste das Wort morieris in seiner fürchterlichen Wahrheit mit allen seinen Schrecken in ihr Herz graben und sie noch um so mehr veranlassen, ihr noch übriges Leben als ein Geschenk Gottes, als eine Zeit der Buße und Sühne zu betrachten. Es sind dies psychologische Gründe, deren Wahrheit wohl Niemand bestreiten wird, welcher in die Lage der Stammeltern sich hinein versetzt und in sein eigenes Herz einen Blick wirft. Die an der Leiche ihres lieben, von Bruderhand getöteten Sohnes Abel trauernde Eva ist ein Typus Mariä unter dem Kreuze auf Kalvaria.
Wie lange Eva gelebt habe, berichtet die heilige Schrift nicht; wenn daher Marianus Scotus ihr Leben auf 940 Jahre ansetzt, so daß Eva den Adam um 10 Jahre überlebt hat, so ist dies eine Vermutung, die sich vielleicht auf eine haltlose jüdische Tradition stützt. Ebenso wenig wissen wir etwas Genaues von ihrem Grabe. Wahrscheinlich wurde sie an der Seite Adams begraben.
So ist also die erste Mutter der Erde, die Ahnfrau unseres Geschlechtes, eine unglückliche, eine büßende Mutter, welche durch ihre Tat und ihr Leben ein Spiegelbild für alle ihre Töchter geworden ist. Doch das Unheil, welches sie in der Welt angestiftet, aber nicht heilen, sondern nur büßen konnte, wurde durch eine Tochter ihres Samens, durch Maria, die zweite Eva, in seinen Folgen geheilt: Quidquid maledictionis infusum est per Hevam, totum abstulit benedictio Mariae. (11) Eva hat den Kain, den Urheber des Neides und der Bosheit, geboren, Maria dagegen den Urheber des Lebens und der Auferstehung ans Licht gebracht. (12) Darum fordert auch der heilige Bernard (13) das erste Elternpaar auf, sich zu freuen über die Geburt ihrer Tochter, und zu ihr zu eilen, um durch sie ihrer Schmach und Sünde enthoben zu werden, und die katholische Kirche unterweist in der herrlichen Antiphone „Salve regina“ uns, die verbannten Kinder Eva`s, aus diesem Tal der Tränen zu Maria, der Mutter der Barmherzigkeit, unsere Stimme weinend und seufzend zu erheben.
(*) In Gn. 2, 8ff.; Is. 51, 3; Ez. 28, 13; 31, 9 die fruchtbare, gut bewässerte Landschaft, worin das Paradies lag.
(1) Ambros. Lib. de inst. virg. cp. 4.
(2) Gen. 3, 20.
(3) Chrysost., hom. 18 in Gen. 3.
(4) Hieron. Epist. 123, 12.; August., de Gen. cont. Man. 1. 2. cp. 24.
(5) Gen. 3, 21.
(6) Thom. 1. c. q. 164. a. 2 ad 8.
(7) Aug., de Gen. cont, Man. 1. 2. cp. 21 u. Enarr. in Ps. 103, 8. Athanas.,
de pass. et cruc. n. 20.
(8) Epiphan., cont. haer. 1. 2. tom. 1; Chrysost., hom. 18 ad Gen. 3.
(9) Gen. 3, 22-24.
(10) Irenaeus, cont. haer. 1. 5. cp. 23; Aug., Gen. ad lit. 1. 1. cp. 10; L 11. cp. 33; 1. 9. cp. 4. Nach Dante (Göttl. Kom. Paradies) blieben sie nur sieben Stunden im Paradies.
(11) Vgl. Suarez, tract. I. de opere 6 dierum, 1, 4. ep. 8 u. Pererius, in Gen. 8, 28.
(12) Chrysost., hom. 58 ad Gen. 3; Hieronym., adv. Jovin. 1. 1. n. 2; Aug., de Gen.
ad lit. 1. 9. cp. 4. sermo 65 de tempore. Epiphan., cont. Haer. 1. 2. tom. 2.
(13) Gen. 4, 1.
(14) Chrysost., hom. 18 in Gen.
(15) Gen. 6, 29.
(16) Gen. 4, 25.
(17) Civ. Dei 1. 15. cp.
aus: Hermann Zschokke, Die Biblischen Frauen des alten Testamentes, 1882, S. 35 – S. 39