P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
Fünfter Glaubensartikel – 1. Abfahrt Christi zur Hölle
„Abgestiegen zu der Hölle, am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten.“
Was lehren uns die Worte: „Abgestiegen zu der Hölle“?
Daß die Seele Christi nach seinem Tode in die Vorhölle hinab stieg, d. h. an jenen Ort, wo die Seelen der verstorbenen Gerechten waren und die Zeit ihrer Erlösung erwarteten.
Der vorher gehende Glaubensartikel belehrte uns, daß nach dem Tode Christi sein heiligster Leib ins Grab gelegt wurde; der gegenwärtige sagt, wohin seine Seele ging, nachdem sie sich vom Leibe getrennt hatte. Sie ging in die Vorhölle. Der Ausdruck des Glaubens-Bekenntnisses heißt zwar „Hölle“. Aber um denselben richtig zu verstehen, muss man wissen, daß das deutsche Wort „Hölle“ ähnlich wie auch das lateinische inferi, welches an dieser Stelle des Glaubens-Bekenntnisses steht, früher die allgemeine Bedeutung „Unterwelt“ hatte. Es bezeichnete also überhaupt „die Welt unter uns“, wo die Seelen der verstorbenen weilen. Diese Seelen weilten aber zur Zeit des Todes Christi noch an drei verschiedenen Orten, nämlich teils in der eigentlichen Hölle oder dem Ort der Verdammten, teils im Fegefeuer oder dem Reinigungsort, teils an dem Ort, den wir die Vorhölle nennen. In der Vorhölle befanden sich jene Gerechten des Alten Bundes, die bereits vollkommen geläutert waren. Ohne irgend einen besonderen Schmerz harrten sie daselbst in seliger Hoffnung ihrer Erlösung entgegen. Hierin also stieg die Seele Christi nach ihrer Trennung vom Leibe hinab und verweilte daselbst bis zur Auferstehung. (Vgl. Cat. Rom. P. I. c. VI. n. I.)
Daß die Seele Christi in Wirklichkeit und nicht bloß der Kraft nach in der Vorhölle hinab gestiegen, ist ausdrückliche Glaubenslehre. (*) Das vierte allgemeine Konzil vom Lateran spricht sie in dem von ihm verfaßten Glaubens-Bekenntnis in folgenden Worten aus: Der eingeborene Sohn Gottes, Jesus Christus, ist in die Unterwelt hinab gestiegen; er ist der Seele nach hinab gestiegen und dem Fleische nach auferstanden.“ Wie demnach Christus dem Fleische nach wirklich und wahrhaft auferstanden, so ist er auch der Seele nach wirklich und wahrhaft hinab gestiegen zur Unterwelt. Dasselbe bezeugen nicht nur die Aussprüche der Kirchenväter, sondern auch die Hl. Schrift. Im Buch der Psalmen (15, 10) heißt es: „Du wirst meine Seele nicht im Totenreich lassen.“ Diese Worte, welche sich nach der Lehre des hl. Paulus (Apgsch. 2, 32) auf Christus beziehen, sind offenbar von der Vorhölle, nicht vom Grabe zu verstehen, da ja nur der Leib Christi, keineswegs aber seine Seele im Grabe lag. Dasselbe ergibt sich auch aus den Worten des hl. Paulus (Eph. 4, 8. 9), daß Christus, bevor er aufgefahren, „zuerst hinab gestiegen ist in die untern Orte der Erde“, d. h. in die Vorhölle. Dazu kommt der klare und ganz unzweideutige Ausspruch des hl. Petrus (1. Br. 3, 18. 19): „Christus wurde zwar getötet dem Fleische nach, aber lebendig gemacht dem Geiste nach, in welchem er auch zu den Geistern kam, die im Gefängnis (in der Vorhölle) waren, und ihnen predigte“, d. h. die frohe Botschaft von der Vollendung des Erlösungs-Werkes verkündete. (Unter den „Ungläubigen“, von denen der hl. Petrus an dieser Stelle redet, sind nicht die zu verstehen, welche zur Zeit der Sündflut im Unglauben verharrend gestorben sind, sondern vielmehr jene, welche, durch das hereinbrechende Strafgericht erschüttert, sich zu Gott bekehrt haben.)
(*) Das Konzil von Sens und Innozenz II. verdammten den Satz 18 des Abaelard: „Die Seele Christi ist nicht selbst, sondern bloß der Kraft nach in die Vorhölle hinab gestiegen.“
Warum waren die Seelen der verstorbenen Gerechten in der Vorhölle?
Weil der Himmel durch die Sünde verschlossen war und erst durch Christus wieder eröffnet werden sollte.
Könnten auch die Menschen schon vor dem Opfertod Christi mit Rücksicht auf dessen künftige Verdienste gerechtfertigt werden und so ein Recht auf den Himmel erwerben, so war es ihnen dennoch nicht gestattet, in denselben einzugehen; denn die Sünde des Stammvaters hatte der gesamten Menschheit den Eingang verschlossen. Jesus Christus, der Hohepriester des Neuen Bundes, musste durch seinen blutigen Kreuzestod den Himmel erst wieder eröffnen.
Dieses alles war nach der Lehre des hl. Paulus angedeutet in jener Vorschrift des mosaischen Gesetzes, kraft welcher es nur dem Hohenpriester erlaubt war, in das Allerheiligste einzugehen, und zwar erst, nachdem er zuvor ein blutiges Sühnopfer dargebracht hatte. „In das hintere Gezelt“ (das Allerheiligste), so schreibt der Völkerapostel (Hebr. 9, 7. 8), „ging einmal im Jahr der Hohepriester allein, nicht ohne Blut, welches er darbrachte für seine und des Volkes Sünden, wodurch der l. Geist andeuten wollte, daß der Weg zum (himmlischen) Heiligtum noch nicht geöffnet sei, solange das erste Zelt (Der Alte Bund) Bestand hätte.“ Das dem Volk unzugängliche Allerheiligste, wo Gott über den Cherubim thronte, war nämlich das Bild des Himmels, welcher allen Menschen verschlossen war; der Hohepriester, welcher einmal im Jahr, am großen Versöhnungstag, nach Darbringung eines blutigen Opfers in dasselbe eintrat, bildete Christus vor, der durch sein blutiges Opfer am Kreuz in das Heiligtum des Himmels einging. Der Umstand, daß der Hohepriester dem Volk das Allerheiligste nicht aufschließen durfte, mahnte dasselbe, jenen Hohenpriester zu erwarten, der allen das wahre, durch das alttestamentliche Allerheiligste vorgebildete Heiligtum, den Himmel, zu erschließen imstande wäre. Darum zerriß auch beim Tode Christi der Vorhang, welcher das Allerheiligste von dem Heiligsten trennte, „von oben bis unter in zwei Stücke“ (Matth. 27, 51), zum Zeichen, daß von nun an das himmlische Heiligtum eröffnet sei.
War nun auch mit dem Augenblick des Todes Christi das Tor des Himmels wieder geöffnet, so ziemte es sich doch, daß der, welcher es erschloß, auch zuerst in dasselbe einging; denn erstens wäre es gewiß unpassend gewesen, wenn die Glieder in den Himmel eingezogen wären, während das Haupt noch auf Erden weilte; zweitens gebührte offenbar dem Hohenpriester vor dem Volk der Eintritt in das Heiligtum, dem wahren und eigentlichen Sohn vor den angenommenen Söhnen der Eingang ins väterliche Reich.
Wozu ist Christus in die Vorhölle hinab gestiegen?
1. Um die Seelen der Gerechten zu trösten und zu befreien; 2. um auch dort in der Unterwelt seine Macht und Herrlichkeit zu zeigen.
1. Durch seinen Tod hat Christus das eigentliche Werk der Erlösung vollbracht. Nunmehr wollte er auch sofort die Früchte desselben in vollem Maße austeilen. Er betrat demnach den Wohnort der frommen Altväter, nicht bloß um ihnen die Erlösung anzukündigen, sondern auch um ihre Seelen der höchsten Glückseligkeit, der Anschauung Gottes teilhaftig zu machen und sie in die ersehnte Freiheit der Kinder Gottes zu versetzen. (*) Dieses hatte Jesus dem reumütigen Schächer verheißen mit den Worten: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein!“ (Luk. 23, 43) Und was der dem Schächer verlieh, das hat er, wie Origenes bemerkt (Hom. 15 über 1. Mos.), auch allen verliehen, die sich in der Vorhölle befanden. Unter dem Ausdruck Paradies darf also hier weder das irdische Paradies, noch der eigentliche Himmel verstanden werden, in welchen Christus die Altväter erst bei seiner Himmelfahrt einführte. Derselbe bedeutet vielmehr den Zustand der Glorie und Seligkeit, in welche diese durch den in ihrer Mitte gegenwärtigen Erlöser eintraten. „Wer aber“, spricht der hl. Thomas (Sum. theol. p. 3. qu. 52. a. 4. ad 3), „im Genuss der göttlichen Glorie ist, von dem sagt man, er sei im Paradiese.“
Vom ersten Augenblick des Eintrittes Christi in die Vorhölle an waren demnach die gerechten Altväter keine Gefangenen mehr: die Erbschuld war getilgt, die letzte Fessel zerrissen, der letzte Riegel gesprengt, die Scheidewand zwischen Gott und diesen heiligen Seelen zusammen gestürzt, der Ort der Gefangenschaft in eine Wohnsitz der Freude und der Seligkeit umgewandelt. Auf diese Befreiung beziehen sich die Worte des Propheten Zacharias (9, 11): „Du wirst entlassen im Blut deines Bundes deine Gefangenen aus dem Kerker.“
2. Jesus stieg in die Unterwelt hinab, um auch da als Sieger über den Tod und den Fürsten des Todes seine Macht und Herrlichkeit zu offenbaren und dem Zoll der Huldigung zu empfangen, von dem es im Philipper-Brief (2, 10) heißt: „Im Namen Jesu sollen sich alle Knie beugen derer, die im Himmel auf der Erde und unter der Erde sind.“ – Aus dieser Schriftstelle ziehen einzelne Gottesgelehrte den Schluß, die Wirkung der Abfahrt Christi zur Unterwelt habe sich auch auf die Verdammten erstreckt, indem diese durch die Kunde davon beschämt und zur Anbetung des göttlichen Siegers gezwungen wurden. Doch ist es nicht wahrscheinlich, daß die Seele Christi auch in die eigentliche Hölle hinab gestiegen sei.
(*) Sowohl Bellarmin in der Erklärung des Symbolums als der römische Katechismus lehren mit dem hl. Thomas (Sum. Theol. p. 3. qu. 52. a. 5), daß Christus schon bei seinem Hinabsteigen in die Vorhölle den Altvätern jene vollendete Seligkeit verlieh, deren wir jetzt erst im Himmel teilhaftig werden, die Seligkeit nämlich der unmittelbaren Gottanschauung. Diese Lehre hält Suarez für unbezweifelbar, weil durch den Tod Christi das Erlösungswerk vollbracht war, mithin nicht mehr im Wege stand, weshalb die Seelen der hingeschiedenen Gerechten nicht also gleich den verdienten Lohn, die ewige Glückseligkeit, empfangen sollten. Versteht man demnach unter dem Ausdruck „Himmel“ die ewige Glückseligkeit, welche darin besteht, daß man Gott von Angesicht zu Angesicht schaut, so war derselbe schon durch den Tod Christi erschlossen; und alle, die nach demselben, ohne der Läuterung des Fegefeuers bedürftig zu sein, aus dieser Welt schieden, genossen sogleich nach ihrem Hintritt der göttlichen Anschauung. Versteht man aber unter „Himmel“ den Ort, wo die allerheiligste Menschheit Christi mit allen Seligen ewig thront, so wurde derselbe erst eröffnet, als Christus am vierzigsten Tage nach der Auferstehung mit den Altvätern in denselben einzog. Diese Lehre stimmt überein mit der des Papstes Benedikt XII. (Constit. „Benedictus Deus“ an. 1336): Auctoritate apostolica definimus, quod animae Sanctorum, qui de hoc mundo ante D. N. Iesu Christi passionemdecesserunt… post ascensionem Salvatoris nostri in coelum, fuerunt, sunt et erunt in coelo, … ac post D. N. Iesu Christi passionem et mortem viderunt et vident divinam essentiam visione intuitiva etc. – Christus stieg demnach in die Vorhölle hinab, nicht bloß um den daselbst weilenden Gerechten die baldige, nach vierzig Tagen statthabende Befreiung anzukündigen, sondern um sie wirklich „zu befreien und ihnen die Früchte seines Leidens anzuwenden“. So der römische Katechismus, und in demselben Sinne das IV. Konzil von Toledo. „Allein stieg er hinab“, sagt der hl. Märtyrer Ignatius in seinem Brief an die Trallianer, „aber mit einer großen Schar stieg er wieder heraus.“ Ebenso sprechen Thaddäus bei Eusebius (L. 1. hist. Eccl. Cap. Ult.) und Cyrillus von Jerusalem (catech. 14). Noch bestimmter drückt sich der hl. Epiphanius aus (Haeres. 77. n. 35): „Seine Gottheit“, schreibt er, „stieg mit der Seele in die Vorhölle hinab und befreite durch ihre Kraft und Macht diejenigen, welche daselbst gefangen gehalten wurden. Hierauf ging der Sohn Gottes mit seiner allerheiligsten Seele wieder aus derselben hervor, und begleitet von der Schar der Gefangenen, die er befreit hatte, stand er am dritten Tage mit Leib und Seele wiederum von denToten auf.“ –
Quelle: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 1, 1911, S. 401 – S. 405