Die Aszese des göttlichen Heilandes
Was sind die äußeren Mittel der Aszese
Die äußeren (objektiven) Mittel der Aszese, welche der Heiland vorgesehen sind teils gewöhnliche teils außerordentliche. – Die gewöhnlichen fließen alle von den drei großen Amtsgewalten der Kirche, dem Lehr-, Hirten- und dem Priesteramt.
Das erste Mittel ist die Verkündigung der Glaubens- und Sittenlehre. Die Aszese hat nur an dem Glauben und an den Gesetzen und Geboten eine unfehlbare äußere Richtschnur für ihr Leben und Streben. Es muss also ihr unablässiges Streben sein, Glauben und Gebote kennen zu lernen und sie in der Tat zu üben, wie wir dieses oben gesehen haben.
Das zweite Mittel ist die Leitung. Es ist hier nicht sowohl die Rede von der Leitung durch die höchsten kirchlichen Hierarchen, als vielmehr von der Leitung durch die mittelbaren geistlichen Vorgesetzten und Seelenführer. Die Anordnung Gottes und Christi, daß der Mensch durch Menschen zum Ziel geleitet, daß die Kirche durch die kirchliche Obrigkeit regiert werden soll (Mt. 16, 18; Joh. 21, 15; Mt. 18, 18) pflanzt sich auch auf den einzelnen bezüglich seiner nächsten und unmittelbaren Obern fort. Es ist im geistlichen Leben stets als ein verhängnisvoller Irrtum angesehen worden, keinen Meister anzuerkennen, sondern seine eigenen Wege gehen zu wollen. Sicher findet da das Wort des Herrn seine Anwendung: „Wer euch verachtet, verachtet mich“ (Lk. 10, 16), und: „Wenn ein Blinder den Blinden führt, fallen beide in die Grube“ (Lk. 6, 39). Es stimmt daher der Gehorsam gegen den Seelenführer sicher mit den Grundsätzen des Heilandes überein, und deshalb gilt es stets als ein Hauptsatz in der gesunden Aszese, sich leiten zu lassen.
Die Gnadenmittel sind das dritte unter den äußeren Mittel des Aszese. Es ist eine Hauptwahrheit des Christentums, daß wir im geistlichen Leben nichts sind ohne die heiligmachende Gnade und nichts vermögen ohne die wirkliche Gnade. Das Wesen des übernatürlichen Zustandes besteht eben im Besitz der heiligmachenden Gnade, und alles Heilswirken kann nur unter dem Beistand der wirklichen Gnade zustande kommen. Deshalb hat der Heiland die Gnadenmittel verordnet und eingesetzt in der Kirche, um uns dieses übernatürliche Leben und Wirken zu vermitteln. Diese Gnadenmittel sind nun die heiligen Sakramente und das Gebet. –
An Sakramenten hat der Heiland verordnet die Taufe, zur Mitteilung des übernatürlichen Lebens (Mt. 28, 19; Joh. 3, 3), die Buße zur Wiedergewinnung desselben nach der Taufe und die heilige Kommunion als dessen Erhaltung, Kräftigung und Entwicklung (Joh. 6, 54-59; Mt. 26, 26). Dieses sind die wichtigsten Mittel, um zu Gnaden zu gelangen. Auf sie sind wir also zum gedeihlichen Fortschritt im geistlichen Leben vor allem angewiesen. –
In einer Beziehung noch wichtiger ist das Gebet, weil wir es immer üben und alle Gnaden durch dasselbe uns verschaffen können. Unter dem Gebet versteht man sowohl den öffentlichen Gottesdienst als das Privatgebet, und unter diesem das mündliche wie das betrachtende. An Belehrung über dasselbe läßt es der Heiland nicht fehlen. Er belehrt vor allem über den Gegenstand unseres Gebetes, indem er selbst im Vaterunser uns eine Gebetsformel aufsetzt (Mt. 6, 9ff), ferner über die Eigenschaften, die unser Gebet haben soll. Überall streut er die eindringlichsten Beweggründe zum Beten ein und bestätigt alles durch sein Beispiel. Und mit Recht, wie konnte der Meister der Wahrheit und aller wahren Tugend und Gottseligkeit es fehlen lassen an Belehrung und Aufmunterung zum Gebet, das für das geistliche Leben des einzelnen und für den Bestand der gesamten Religion von so entscheidender Wichtigkeit ist? Das Gebet ist ja das große, allgemeine Gnadenmittel. In demselben, namentlich im betrachtenden, lernen wir die Wahrheiten der Glaubens- und der Sittenlehre in ihrer Begründung, Tiefe, Erhabenheit, Schönheit, Tröstlichkeit und Anwendbarkeit für das Leben kennen, wir prägen sie unserem Verstand und Willen ein und gewinnen an ihnen vermittelst Grundsätzen, die wir aus den Glaubens-Wahrheiten schöpfen, eine feste Richtschnur für das praktische Leben. Wir werden wirklich Männer des Glaubens und der Tugend. Es gibt keine gründlichere und leichtere Schulung des Herzens als das Gebet. Gott wandelt uns, während wir bei ihm sind, ins ein Ebenbild um. Deshalb ist nach der Ansicht der Gottesgelehrten für jeden, der nach der Vollkommenheit strebt, das betrachtende Gebet moralisch notwendig. Es ist die Hochschule der Tugend und Heiligkeit.
In das Gebiet des Gebetes schlagen auch die Andachten, die Betätigungen des Gebetes, der Vereinigung mit Gott und allgemeine Leiter des Gnadensegens sind. Die große Andacht des Heilandes war die zum himmlischen Vater. Er spricht von ihm mit der größten Ehrfurcht: er ist sein Ursprung und sein Ziel (Mt. 11, 25; Joh. 6, 58; 16, 27. 28); er selbst ist nur der Weg zum Vater (Joh. 14, 6), sein Gesandter (Joh. 3, 34); seine Lehre und seine Wunder sind die Lehre und die Werke des Vaters (Joh. 5, 19; 17, 16; 9, 4; 10, 37; 14, 10). Der Heiland betet zum Vater im geheimen und öffentlich (Mt. 6, 9; 11, 25; 15, 36; 26, 27; Joh. 11, 41; 17, 1; Lk. 23, 46). Die Sendung des Heilandes ist den Vater zu offenbaren, ihn zu verherrlichen und seine Ehre herzustellen, seinen Willen zu tun seine ganze Lebensaufgabe (Joh. 4, 34; 5, 30; 6, 38). – In geziemender Weise ehrt er auch den Heiligen Geist; er offenbart seine Herrlichkeit und Gottheit (Mt. 12, 32; 28, 19; Joh. 3, 5; 14, 16; 17, 26; 15, 26; 16, 13; 20, 22); er läßt sich vom Heiligen Geist leiten (Mt. 4, 1; Lk. 4, 18; 10, 21) und schreibt ihm seine Wunder zu (Mt. 12, 28). –
Selbst die Andacht zu seiner Mutter begründet und bestätigt er im Hinweis auf ihre Heiligkeit und Muttergottes-Würde (Lk. 11, 28). Es sind gerade die Andachten, welche nebst der Andacht zur göttlichen Menschheit der Christenheit die teuersten und liebsten sind. –
aus: Moritz Meschler SJ, Gesammelte Kleinere Schriften, 1. Heft: Zum Charakterbild Jesu, 1908, S. 19 – S. 23