Eva, die Ahnfrau des Menschengeschlechtes
Eva ist die Stammmutter alles Lebendigen
Das erste Menschenpaar wird von Gott bestraft, aber nicht verflucht.
Adam ist nach den Worten des hl. Bernard zwar ein filius irae divinae, aber nicht filius furoris divini und darum sind die göttlichen Strafen nach dem Ausdruck Gregors des Großen: sagittae amarae ex dulci manu Dei.
Dieses erfaßt auch Adam. Mitten in der geistigen Nacht, die ihn umhüllt, und niedergebeugt von dem göttlichen Urteilsspruch, erkennt er den matten Strahl, der wie aus einer anderen Welt herüber leuchtet, das Wort der Verheißung von dem Weibessamen. Angesichts der vernommenen Todesankündigung ist das ihm beigegebene Weib die Bürgschaft für den Fortbestand, aber auch zugleich für den Sieg seines Geschlechtes. Es erschließt sich ihm nun erst recht das Geheimnis der göttlichen Weisheit und Gnade, welche sich in der Schöpfung des Weibes kund tat. Adam weiß, daß sein Weib in Schmerzen gebären werde, aber er weiß auch, daß sie überhaupt gebären werde und daß ihr Mutterschoß der Quell sei, aus welchem neues Leben und neues Heil für ihn hervorgehen werde. (1) Darum nannte er den Namen seines Weibes (Eva), „denn sie ist eine Mutter alles Lebendigen geworden“ (2), d. h. nicht bloß die Mutter aller Lebendigen im generischen Sinne (3), sondern auch die Lebensmutter (bei Symmachus Lebensspenderin), d. i. die Mittlerin des Lebens in höherem Sinne. Es ist dies die erste Glaubensbetätigung Adams nach dem Falle, welche sich im Namen, welchen er seinem Weibe gab, kundgibt und zeigt, daß er nach der über ihn ergangenen Strafe an Gottes Barmherzigkeit nicht verzweifelt, sondern an der aus dem Fluche über die Schlange hervor schimmernden Verheißung und Hoffnung sich festgeklammert habe, um durch Buße und Reue das Verlorene wieder zu erlangen. So ist denn der Name Eva zum Unterschiede von (Weibe) ein Eigenname, welcher der Stammmutter ausschließlich eigen ist und ihr nunmehriges Verhältnis zur Menschheit bezeichnet, sie nämlich als Mutter des Lebens und der anzuhoffenden Gnade kennzeichnet. Dieser Name ist somit von heilsgeschichtlicher Bedeutung und macht Eva zu einem Typus Mariens und der Kirche, der Mutter der ewig Lebenden. (4)
Nun gibt Gott ihnen ein Zeichen seiner Gnade, welches die gegebene Verheißung und die bereits im Glauben ergriffene Vergebung der Sünde besiegeln soll. Und Jehova Elohim machte dem Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen und bekleidete sie damit. (5) „Gott verläßt also die gefallenen Menschen nicht ganz, sondern läßt sich zu ihrer Dürftigkeit herab und sucht ihnen in ihrem Elende behilflich zu sein. Eben im Begriff, das Paradies zu verlassen, bedürfen sie einer stärkeren Kleidung, als der, welche sie sich notdürftig aus Feigenblättern gemacht hatten, um die Unbilden des Klimas und der Witterung ertragen zu können. Durch die von Gott angeordnete Kleidung gab Gott dem Schamgefühl und der daraus fließenden Notwendigkeit der Bedeckung der leiblichen Blöße die höhere Weihe einer für den Sünder notwendigen Zucht und Ordnung. (6) Aus Tierfellen ließ er sie die Kleider bereiten, welche sie nur durch Schlachtung der Tiere gewinnen konnten, zur Erinnerung, daß sie eigentlich des Todes schuldig seien (7) und daß sie das Tierleben zur Erhaltung des Menschenlebens opfern dürfen, wodurch also zugleich der Grund zu den Tieropfern und den Opfern überhaupt gelegt wurde. Das rauhe Gewand war mithin ein Bußkleid, welches alltäglich sie ermahnen sollte, daß sie mit dem Kleid der Sterblichkeit bekleidet sind. (8)
Damit aber das gefallene Menschenpaar nicht etwa auch die Hand nach dem Lebensbaum ausstreckte, vertrieb Gott dasselbe aus dem Paradies. Es war dies eine auf das Heil des Menschen zielende Strafe, welche ihn zwar dem zeitlichen Tode entgegen führt, dagegen vor dem ewigen Tode bewahrt. Der etwaige Genuss der die Unsterblichkeit wirkenden Frucht vom Lebensbaum konnte dem Menschen in seinem dermaligen Zustande nur zum Verderben gereichen, er würde nämlich den sündhaften Zustand des Menschen verewigt und somit die Erlösung unmöglich gemacht haben. Das wahre Leben konnte eben nur durch den Tod hindurch erreicht werden. Darum wird das erste Menschenpaar aus dem Paradiese vertrieben, zu bebauen die Erde, von der es genommen war. (9) Im Bebauen des Ackers sollten sie ihre Herkunft und Zukunft stets vor Augen haben. Daß Adam und Eva bald nach der Sünde und dem Urteil Gottes aus dem Paradiese vertrieben worden seien, darüber herrscht wohl kein Zweifel. Anders verhält es sich mit der Frage, welcher Zeitraum zwischen der Schöpfung des ersten Menschenpaares und der Sünde desselben verflossen sei. Während Einige (10) behaupten, die Sünde der Stammeltern habe an demselben Tage ihrer Schöpfung stattgefunden, neigen sich Andere der Meinung zu, daß Adam und Eva eine wenn auch kurze Zeit im Paradiese verweilt und bald darauf, etwa am andern Tage, gesündigt haben und aus dem Paradiese gewiesen worden seien. (11)
Um für die Folgezeit dem Menschen die Rückkehr in das Paradies und das Essen vom Baume des Lebens unmöglich zu machen, stellte Gott an die Türe des Paradieses die Cherubim mit Flammenschwertern als Vollstrecker des göttlichen Zorngerichtes. Nachdem der Satan und das gefallene Menschenpaar gerichtet, treten nun auch die guten Geister auf den Schauplatz der heiligen Geschichte, zum Zeichen, daß eine Geschichte beginne, in welche der Himmel mit seinem ganzen Heere verflochten ist. Der Verlust des Paradieses für den Menschen ist ein Unglück, welches den ganzen Himmel in Bewegung bringt. Adam und Eva befinden sich außerhalb des Paradieses, aber noch in Eden. Nach der Vertreibung aus dem Paradiese beginnt die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes (12), die Bildung der Familie, welche die Grundlage aller menschlichen Verhältnisse ist. „Und Adam erkannte Eva, sein Weib, und sie ward schwanger und gebar den Kain.“ (13) Obgleich der Akt der Zeugung den Menschen mit den Tieren gemein ist, gebraucht doch die heilige Schrift für ersteren den euphemistischen Ausdruck des Erkennens.
Denn was bei dem Tiere naturnotwendiger Instinkt ist, das ist bei dem Menschen ein Akt persönlicher und sittlich verantwortlicher Willensfreiheit, welcher aus der göttlichen Stiftung der Ehe fließt und ein geistleibliches Erkennen des Weibes ist. Die Begattung ist, obgleich durch die Sünde befleckt, doch durch die Verheißung (Gen. 3, 15) in der Ehe geheiligt. Freudig erregt über die Geburt des ersten Kindes ruft Eva aus: „Ich habe erworben einen Mann durch (mit) Jehova!“ Diese Worte bilden eine Erklärung des Namens, welchen sie dem Kinde gab, nämlich Kain, d. i. des Erworbenen, und sind Ausdruck ihrer staunenden Überzeugung, daß sie durch die Hilfe und Mitwirkung Jehova’s das Kind zur Welt gebracht (14). Sie betrachtet demnach ihr Kind als ein Geschenk Gottes. Allein die Worte im Hebräischen lassen auch die Deutung zu: „Ich habe erworben einen Mann, Jehova“, welche Version ihre vorschnelle Hoffnung ausdrücken würde, daß ihr erstgeborenes Kind der versprochene Same, der Schlangentreter sein werde. Eine ähnliche Hoffnung drückt auch Lamech bei der Geburt seines Sohnes Noe aus. (15) Allerdings entgegnet man, daß diese Erklärung der Entwicklung der messianischen Idee vorgreife, da der Eva nicht beikommen konnte, ihr soeben geborenes Kind für den menschgewordenen Jehova zu halten, weil die Offenbarung in dieser Tiefe noch nicht an sie ergangen sei. Doch sei dem wie immer, der Gebrauch des Namens Jehova als des Gottes der Verheißung und des Heiles bürgt dafür, daß sie in der Geburt dieses Sohnes wenigstens den Anfang der Erfüllung der ihr gewordenen Verheißung vom Weibessamen erblickt und dem Herrn für diese Gnade ihren freudigen Dank abstattet. Der Irrtum Eva`s bezieht sich demnach auf die Person und die Zeit, aber die Hoffnung des Glaubens selbst ist nicht eitel. Doch die erste Mutterfreude schlägt bald in das Gefühl der Täuschung über, welches sich in dem Namen des zweiten Sohnes (Abel, Hauch, Nichtigkeit) offenbart, sei es, daß damit Eva überhaupt die Ohnmacht und Nichtigkeit des Menschen, wozu vielleicht das Betragen des kleinen Kain Veranlassung gegeben, oder aber in prophetischer Ahnung das hauchartige, schnell vorübergehende Leben dieses Sohnes ausdrückt. Der Name des Einen ist das gerade Widerspiel des Andern.
In Kain setzte die erste Mutter all ihr Sehnen und Hoffen, und siehe, der vermeintliche Schlangentreter wird zum Schlangensamen und Brudermörder; der Nachgeborene muss zur Folie ihres Wehes und Herzeleides dienen. Nach dem Tode Abels, der unter dem Fersenstich der Schlangennatur Kains gefallen, „erkannte Adam abermals sein Weib, und sie gebar einen Sohn und nannte seinen Namen Seth (Ersatz); denn, so sprach sie, gesetzt hat mir Elohim einen andern Samen für Abel, dafür, daß Kain ihn getötet hat”. (16)
Die bei der Geburt Kains hoffnungsfrohe, bei der Abels verzagte Mutter wird bei der Geburt Seths stille und getrost. Sie nennt hier den Geber Elohim, weil die göttliche Allmacht ihr das ersetzt hat, was menschliche Bosheit ihr geraubt. Weil aber Seth als Ersatz für Abel im Gegensatz zum Brudermörder Kain den Anfang einer neuen Nachkommenschaft, oder, um mit Augustinus (17) zu sprechen, den Anfang oder das Haupt des Staates Gottes, gleichsam eine neue Erstgeburt bildet, deshalb steht hier Same und nicht Sohn schlechthin. Ihr Glaube sieht in diesem Sohne einen neuen Anfang für die Verheißung vom Weibessamen, welcher auch die Bürgschaft des sicheren Fortganges in sich trägt; denn sie nimmt ihn gläubig hin aus der Hand des Herrn. Wenn dagegen Adam (Gen. 5, 3) als Namensgeber erscheint, so ist dies kein Widerspruch; denn die Namengebung war zugleich ein Werk Adams, von dessen Bestätigung wenigstens die Gültigkeit derselben abhing.
(1) Ambros. Lib. de inst. virg. cp. 4.
(2) Gen. 3, 20.
(3) Chrysost., hom. 18 in Gen. 3.
(4) Hieron. Epist. 123, 12.; August., de Gen. cont. Man. 1. 2. cp. 24.
(5) Gen. 3, 21.
(6) Thom. 1. c. q. 164. a. 2 ad 8.
(7) Aug., de Gen. cont, Man. 1. 2. cp. 21 u. Enarr. in Ps. 103, 8. Athanas.,
de pass. et cruc. n. 20.
(8) Epiphan., cont. haer. 1. 2. tom. 1; Chrysost., hom. 18 ad Gen. 3.
(9) Gen. 3, 22-24.
(10) Irenaeus, cont. haer. 1. 5. cp. 23; Aug., Gen. ad lit. 1. 1. cp. 10; L 11. cp. 33; 1. 9. cp. 4. Nach Dante (Göttl. Kom. Paradies) blieben sie nur sieben Stunden im Paradies.
(11) Vgl. Suarez, tract. I. de opere 6 dierum, 1, 4. ep. 8 u. Pererius, in Gen. 8, 28.
(12) Chrysost., hom. 58 ad Gen. 3; Hieronym., adv. Jovin. 1. 1. n. 2; Aug., de Gen.
ad lit. 1. 9. cp. 4. sermo 65 de tempore. Epiphan., cont. Haer. 1. 2. tom. 2.
(13) Gen. 4, 1.
(14) Chrysost., hom. 18 in Gen.
(15) Gen. 6, 29.
(16) Gen. 4, 25.
(17) Civ. Dei 1. 15. cp. 1.
aus: Hermann Zschokke, Die Biblischen Frauen des alten Testamentes, 1882, S. 35 – S. 39