Die Sünde Evas und die Sünde Adams

Eva, die Ahnfrau des Menschengeschlechtes

Die Sünde der Hoffart bei Eva und bei Adam

Doch nicht genug, die Sünde selbst begangen zu haben, verstrickte das Weib auch den Mann in dieselbe: „Sie gab auch ihrem Mann bei ihr und er aß.“ (1) Aus dem Worte des hebräischen Textes „bei oder mit ihr“ scheint hervorzugehen, daß Adam neben seinem Weibe stand, oder überhaupt gegenwärtig war, als sie die Frucht genoß. Ob er auch das Zwiegespräch der Schlange und des Weibes gehört, bleibt unsicher. Es ist dies das Abendmahl des Satans; und so hat, wie der Siracide (2) sagt, „vom Weibe die Sünde den Anfang genommen und um des Weibes willen sterben wir Alle“. Das Weib folgte der Schlange mehr, als Gott, und der Mann, dessen Schöpfung jener des Weibes voran ging, und welcher ihr Haupt war, bleibt beim Beginn der Sünde seines Weibes passiv, ja wird sogar in derselben ihr Nachahmer und Nachfolger. Über die Natur und Beschaffenheit der Sünde Adams herrschen verschiedene Meinungen. Augustinus (3) meint, daß Adam bloß seinem Weibe zu Liebe von der Frucht gegessen, und er konnte dazu um so leichter bewogen werden, da er sah, daß Eva nach dem Genuss nicht gestorben sei. (4) Doch nach der gemeinschaftlichen Ansicht der Theologen (5) haben wir bei der Sünde Adams denselben Stufengang einzuhalten, wie bei der Sünde des Weibes. Die Sünde der Hoffart war auch bei ihm grundlegend, mag er nun die Worte: eritis sicut Dii etc. unmittelbar aus dem Munde der Schlange mit vernommen (6), oder aber erst vom Weibe darüber belehrt (7) und zum Genuss aufgefordert (8) worden sein. Die hoffärtige Gesinnung Adams setzen die göttlichen Worte selbst voraus: „Siehe, Adam ist wie Unsereiner geworden, erkennend das Gute. und Böse.“ (9) Dieſe Worte sind nach der Ansicht der Väter (10) von Gott nicht ohne Ironie gesprochen, um auszudrücken, daß Adam nicht nur nicht das erreicht, was er begehrte, sondern auch das, was er besaß, verloren habe. Daß Adam durch dieselbe Sünde der Hoffart, wie Eva, zum Fall gebracht worden sei, lehren auch die Kirchenväter (11), zu der hoffärtigen Gesinnung soll zweitens, wie bei dem Weibe, auch die Verführung zum Zweifel an der Wahrheit des Gotteswortes und zur gläubigen Aufnahme der satanischen Verheißung getreten sein. In diesem Sinne nämlich scheinen viele Stellen der Väter (12) aufgefaßt werden zu müssen. Allein wenn dieselben dem Adam eine Verführung zur Sünde und eine gewisse Ungläubigkeit an der Wahrheit des Gotteswortes zuerkennen, so sind ihre Worte nicht überall im gleichen Sinne aufzufassen, sondern viele reden nicht so sehr von einer Verführung, als von einer Täuschung, nicht von einem theoretischen, sondern von einem praktischen oder tatsächlichen Irrtum, wie überhaupt von jedem Sünder gesagt wird, daß er irre. Augustinus (13) vergleicht in dieser Hinsicht den Adam mit Salomon, der zwar zum tatsächlichen Götzendienst von seinen Weibern bestimmt, keineswegs aber zur Anerkennung der Wahrheit desselben verleitet wurde (14). Damit ist auch das Wort des Apostels vereinbar, der da schreibt (15): „Adam non est seductus, mulier autem seducta in praevariatione fuit.“ Da diese paulinische Stelle in Widerspruch mit andern Aussagen zu treten scheint, so wurden zur Lösung dieser Schwierigkeit von den Kirchenlehrern verschiedene Wege eingeschlagen. Einige glauben, daß zu den Worten Pauli das Wort primo zu ergänzen sei: Adam ist nicht zuerst, sondern Eva, verführt worden; so scheint es schon Epiphanius (16) erklärt zu haben, der die Worte des Apostels also anführt: „Adam non est deceptus, sed Eva prima decepta in transgressione fuit.“ Andere fassen die Worte so, daß Adam nicht unmittelbar von der Schlange verführt wurde, wie das Weib, sondern durch das Weib, auch nicht Ursache der Verführung für das Weib war (17). Bei der oben entwickelten Ansicht ist nach der Erklärung des heiligen Augustinus (18) das Wort des Apostels in der Weise aufzufassen, daß Adam nicht auf dieselbe Weise, wie Eva, zur Sünde verleitet wurde. Diese ließ sich durch teuflische List zunächst zum Glauben verführen, daß der Genuss der Frucht nicht böse, mithin auch keine Sünde sei. Adam aber wurde auf diese Art nicht zum Genuss verleitet (19), indem er wohl wußte, daß dieser Genuss Sünde sei, also auch in einem Irrtum an der Wahrheit des Gotteswortes nicht befangen war, sondern er ließ sich zum Essen der Frucht aus einer untergeordneten Liebe zu seinem Weibe bestimmen. Deshalb heißt es auch nicht von ihm: „er sah, daß der Baum gut für das Essen und schon für die Augen sei”, sondern, daß er die vom Weibe ihm dargereichte Frucht genommen und genossen habe. Damit stimmt auch die Begründung der Sünde Adams im Munde Gottes überein (20): „Weil du der Stimme deines Weibes Gehör gegeben und von dem Baume gegessen hast.“ Wenn wir demnach beim Fall Adams von der Sünde des Unglaubens an der Wahrheit des göttlichen Ausspruches absehen, so traten doch zur Sünde der Hoffart noch andere hinzu, welche die Dogmatiker näher anführen, namentlich die Sünde, daß er nicht bloß sich, sondern auch als Haupt des Menschengeschlechtes nach dem Ausspruch des Apostels (21) alle seine Nachkommen in dieselbe verstrickt habe.

Es erübrigt noch die Frage, wessen Sünde größer gewesen, die des Weibes oder die des Mannes. An und für sich betrachtet ist nach der Ansicht des hl. Chrysostomus (22) und Thomas (23) die Sünde des Weibes größer, als die des Adam; dagegen schreibt Ambrosius (24) und nach ihm Bellarmin (25) und Cajetan (26) dem Adam eine größere Schuld zu, und zwar aus folgenden Gründen :

a) war Adam vollkommener und stärker als das Weib, und zugleich das Haupt derselben; b) wurde das Weib von einer höheren Kreatur und dazu von einem böswilligen Geist versucht, der mit allen Mitteln der List an sie heran kam, während Adam von einem schwachen, keineswegs ihm bös gesinnten Weibe versucht wurde. Konnte nun Adam dem Weibe nicht widerstehen, wie hätte wohl dieses dem höheren Geist Stand halten sollen? c) sei Adam empfindlicher (?) gestraft worden, als das Weib; d) hatte Adam unmittelbar das Gebot erhalten, während Eva bloß aus dem Munde ihres Mannes dasselbe vernommen hatte. Wenn nun die göttliche Stimme den Adam von der Sünde nicht abzuhalten vermochte, wie hätte es die menschliche Stimme beim Weibe vermocht? und e) das Weib hat zur Entschuldigung, daß es verführt wurde, Adam kann nur angeben, daß das Weib ihm die Frucht gegeben und er gegessen habe. –

Um uns hierüber ein richtiges Urteil zu bilden, müssen wir die Art und Zahl der Sünden Beider in Betracht ziehen.
Was zunächst die Sünde der Hoffart, Gott ähnlich zu werden, betrifft, war die Natur derselben bei Beiden gleich, wie dies der hl. Augustin (27) bestätigt ; doch in Anbetracht der Umstände war die Schuld Adams größer, als jene des Weibes; er erfreute sich nämlich einer höheren Erkenntnis und Kraft, konnte so hin leichter Widerstand leisten und musste dem göttlichen Gebot eine größere Aufmerksamkeit schenken, dazu war er das Haupt und hatte mithin auch eine größere Verpflichtung; endlich war auch die Versuchung des Weibes durch die Schlange zur Hoffart stärker und mächtiger, als die Überredung Adams durch das Weib. Doch war der Affekt oder der Grad der Hoffart bei Eva größer als bei Adam (28), denn nur um die Gottähnlichkeit zu erlangen, übertrat sie das Gebot; überdies glaubte sie an die Wahrheit der Rede Satans, während sie an jener der Gottesworte Zweifel hegte, ein Umstand, der bei Adam vermißt wird.

Erwägen wir dagegen, daß Eva nicht in böswilliger Absicht, sondern aus Liebe zu ihrem Manne diesem die Frucht reichte, um auch ihn der Gottähnlichkeit teilhaftig zu machen, so wiegt die Sünde Adams schwerer, welcher wissentlich, bloß aus ungeordneter Liebe zu seinem Weibe Gott beleidigte. Ebenso war der Ungehorsam gegen Gott an sich betrachtet bei Beiden gleich groß, in Anbetracht der größeren Weisheit und höheren Stellung Adams bei diesem schwerwiegender; dagegen sündigte mit Berücksichtigung des Motivs, des Ungehorsams, Eva mehr als Adam, denn der Ungehorsam Eva`s entsprang aus der unlauteren Quelle der Hoffart, jener Adams aus Schwäche und Liebe zu seinem Weibe. Bedenkt man dagegen, daß Eva nur als Privatperson gesündigt und somit auch nur sich selbst geschadet hat, Adam aber als das Haupt des Menschengeschlechtes gesündigt und somit an alle seine Nachkommen in die Sünde und ihre Folgen verstrickt, also nicht bloß gegen Gott, sondern auch gegen den Nächsten sich verschuldet habe, so überwiegt seine Sünde weit jene der Eva. Daß Adam seine hohe Stellung und somit auch die Tragweite des göttlichen Gebotes sowie dessen Übertretung wohl gekannt habe, lehrt nebst dem hl. Thomas (29) auch Bellarmin (30). Doch ist Eva von dieser Mitschuld nicht ganz freizusprechen, da ja Adam durch sie zur Sünde verleitet wurde und somit das Weib die eigentliche erste Ursache der Erbsünde und aller ihrer Folgen war, wie dies ausdrücklich die heilige Schrift (31) bestätigt. Wiegt man alle diese einzelnen Umstände ab, so neigt sich die größere Schwere der Schuld auf die Seite der Eva.

Anmerkungen:

(1) Gen. 3, 6.
(2) Eccli. 25, 23
(3) Aug. Gen. ad lit. 1. 11. cp. 42.
(4) Aug. Civ. Dei 1. 14. cp. 1; oder wie er in Gen. ad lit. 1, 11. cp. 30.
(5) Thomas, 1. c. q. 163. a. 2.; Bonaventura in 2. dist. 22.
(6) Cajetanus.
(7) Bellarmin. lib. 3 de am. grat. cp. 4.
(8) Aug. Gen. ad lit. 1. 11. cp. 30.
(9) Gen. 3, 22.
(10) Aug. Gen. ad lit. 1. 11. cp. 39; de Gen. cont. Man. 1. 2. cp. 21. Chrysost., hom. 18 in Gen.; Theodoretus, q. 40 in Gen.; Greg. Nys. 1. de cogn. Dei.
(11) Aug. Civ. Dei L1. 14. cp. 13; quaest. ad Oros. q. 4: (1. ec. cp. 42), so ist diese ungeordnete Liebe zu seinem Weibe nach der Ansicht des heiligen Kirchenlehrers keineswegs der Anfang der Sünde, sondern hat in der hoffärtigen Gesinnung seines Herzens bereits ihren Grund und ihre unlautere Quelle. Gregor. 1. 4. Mor. cp. 9.; Bernard. in serm. 1. Adv. u. 2. serm. in Oct. Pasch.; Basilius in orat.; Fulgentius lib. de Ine. et grat. cp. 22.
(12) Tertullian. 1. 2 cont. Mare. ep. 2; Irenaeus I. 3. cp. 37 ait: Prosper cont. Coll. cp. 19. Fulgentius, lib. de Ine. et grat. cp. 22.; Hilarius can. 3 in Matth.; Ambrosius sup. Ps. 39.; u. ö.; Aug. ad Ps. 68; Civ. Dei 1, 14. ep. 17; Gen. ad lit. 1. 11. cp. 34 u. 39.; Epiphanius, haer. 38. cont. Cain.; Leo serm. 3 u. 4 cp. 2 u. a. m.
(13) Gen. ad lit. 1. 11. cp. 42.
(14) Vgl. hierüber Suarez 1. c. 1. 4. cp. 4. n. 19 sq.
(15) 1. Tim. 2, 14.
(16) Epiph. haer. 49 cont. Quint.
(17) Hieronym. 1. 1. contr. Jovinian.; Aug., Gen, ad lit. 1. 11, cp. 42.; Ambros., lib. de par. ep. 12; cp. 14;. Chrysost. hom. 2 in Matth. 1.
(18) Gen. ad lit. 1. 11. cp. 42 u. Civ, Dei 1. 14. cp. 11 u. folg.
(19) Aug. 1. c.
(20) Gen. 3, 17.
(21) Röm. 5, 12 f.
(22) Hom. 7 ad pop.; Hom. 31 in ep. ad Rom. cp. 16,
(23) Sum. 2. 2. q. 163. a. 4.; Bonaventura in 2. dist. 22. a. 1 u. A.
(24) Lib. de instit. virg. cp. 4.
(25) Lib. 3 de amiss. grat. cp. 9.
(26) Ad Gen. 3.
(27) Aug. Gen. ad lit. 1. 11. ep. 35.
(28) Thomas in 2. dist. 22. q. 1. a. 3.
(29) Sum. 2. 2. g. 163. a. 3 ad 2 ct 3. part. q. 2. a. 2 ad 2.
(30) Bellarmin. lib. 3. de amiss, grat. cp. 9.
(31) Eccli. 25, 33. Vgl. Ambros. 1. de par. ep. 6.

aus: Hermann Zschokke, Die Biblischen Frauen des alten Testamentes, 1882, S. 20 – S. 24

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